Untergewicht Zu dünn? Wann ein Kind wirklich zu wenig wiegt
Viele Kinder haben heutzutage mit Übergewicht und Fettsucht zu kämpfen. Doch es gibt auch ganz andere Fälle, in denen die Waage zu wenig anzeigt. Wenn diese Kinder auch noch schlechte Esser sind, machen sich Eltern häufig Sorgen. Nicht immer ist aber eine Essstörung das Problem.
Spätestens im Kindergarten fängt das Vergleichen an: Ist mein Kind dünner als Gleichaltrige? Isst es nicht viel weniger als andere? Auch Untergewicht ist in Deutschland ein durchaus ernstzunehmendes Problem. "Etwa vier bis fünf Prozent der Drei- bis Sechsjährigen sind laut dem Ernährungsbericht 2008 untergewichtig. Bei den 13-Jährigen sind es sogar etwa 9,5 Prozent, die zu wenig auf die Waage bringen", sagt Ökotrophologin Sylvia Becker-Pröbstel.
Nicht in jedem Fall liegt es an einer Essstörung
Ein Grund für den Anstieg bei älteren Kindern ist vor allem die Zunahme von Essstörungen wie Magersucht, die immer häufiger schon im Alter von elf bis zwölf Jahren beginnen. Doch nicht in jedem Fall müssen ernste Ursachen oder Krankheiten dahinterstecken, wenn Kinder und Jugendliche merklich schlanker als Freunde und Mitschüler sind. Denn Statur und Gewicht werden auch durch unsere Gene und Hormone bestimmt.
"Es gibt Familien, die schlank und hochgewachsen sind", erklärt Becker-Pröbstel. Das Schilddrüsenhormon zum Beispiel könne einen großen Einfluss auf das Gewicht in beide Richtungen haben. Weitere Faktoren wie das Temperament des Kindes, das Umfeld, das Maß an Bewegung sowie das Essverhalten in der Familie beeinflussen das Gewicht außerdem.
Energiebedarf variiert von Kind zu Kind
Isst ein Kind weniger als andere, deutet das nicht unbedingt auf eine problematische Entwicklung hin. Denn auch beim Essverhalten spielen anlagebedingte Faktoren mit. "Allein der Grundumsatz, der tägliche Energiebedarf im Ruhezustand, kann abhängig vom individuellen Stoffwechsel bei zwei gesunden Kindern, die in Größe und Gewicht identisch sind, um bis zu 300 Kilokalorien variieren", erläutert Becker-Pröbstel.
Auch hinsichtlich der Esscharaktere gibt es Unterschiede, die Eltern tolerieren sollten. "Es gibt die vorsichtigen Esser und die Trennköstler", sagt die Expertin. Das seien Kinder, die sehr intensiv schmecken und den Eigengeschmack von Lebensmitteln lieben. "Dann ist eben nicht der Gemüseeintopf angesagt, sondern dann sind es tatsächlich die Spaghetti mit nebendran vielleicht der Tomatensoße und dem Käse."
Wann ist ein Kind tatsächlich untergewichtig?
Sorgen müssen sich Eltern nicht, solange die Kinder nicht häufiger krank sind und keine Veränderungen in ihrem Verhalten zeigen. Hegen Eltern Zweifel, ob die Schlankheit ihres Kindes eventuell über das normale Maß hinausgeht, gehen sie am besten zu einem Kinder- und Jugendarzt. Idealerweise hat er bereits die Vorsorgeuntersuchungen gemacht und kennt das Kind über lange Zeit, rät Frank Jochum, Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Evangelischen Waldkrankenhaus Spandau in Berlin.
"Die Frage untergewichtig oder nicht, lässt sich durch bloßes Anschauen des Kindes nicht klären", weiß der auf Ernährungsmedizin spezialisierte Arzt. Erst das Verhältnis von Körpergröße und Gewicht - der Body Mass Index (BMI) - und der Abgleich der Daten mit den für Kinder dieser Altersgruppe normalen Werten macht deutlich, ob das Kind Untergewicht hat. Eine gewisse Bandbreite sei normal. Ein Kind gilt dann als untergewichtig, wenn es deutlich vom altersüblichen Kurvenverlauf abweicht.
Einen ersten Anhaltspunkt bietet auch unser BMI-Rechner für Kinder.
Dabei müssen die Entwicklung des Kindes von Geburt an und seine gegenwärtige Lebenssituation immer berücksichtigt werden. Bewegt sich ein Kind beispielsweise von Geburt an eher an der Grenze zum Untergewicht und behält diese Entwicklung stetig bei, ist das geringe Gewicht sehr wahrscheinlich anlagebedingt. Ein plötzliches Abweichen vom individuellen Kurvenverlauf oder starkes Untergewicht deuten dagegen auf eine ernste Ursache hin.
"Du musst mehr essen!" Bloß nicht permanent Essen aufdrängen
Eltern schätzen die Situation mitunter falsch ein. "Vor allem bei kleineren Kindern, die aus Sicht der Eltern zu wenig essen oder zu dünn sind, stellt sich bei den Untersuchungen dann doch oft heraus, dass alles normal ist", sagt Thomas Kauth. Er ist Mitglied des Präsidiums des Bundesverbands Deutscher Ernährungsmediziner (BDEM) und niedergelassener Kinder- und Jugendarzt.
Nach den Erfahrungen des Mediziners machen Eltern häufig Druck und versuchen dünnen Kindern ständig Essen aufzudrängen, selbst beim Fernsehen oder Spielen. "Normalerweise wird die Nahrungsaufnahme über Hunger reguliert. Diese normale Regulation wird damit ausgehebelt", warnt Kauth. Eine Essstörung könne sich so immer weiter verstärken. Manche Kinder landeten später im Übergewicht. Andere entwickelten Frust und verweigerten sich dem Essen nur noch mehr.
Kinder müssen ein natürliches Gefühl für Hunger entwickeln
Die Essensmenge und die Zahl der Mahlzeiten müssen nicht erhöht werden. Eltern könnten stattdessen kalorienärmere Nahrungsmittel durch kalorienreichere ersetzen und zum Beispiel statt fettarmen Joghurt einen Sahnejoghurt anbieten. "Es geht nicht darum, das Kind mit Süßigkeiten vollzustopfen. Die Zusammensetzung muss trotzdem ausgewogen sein", sagt Kauth.
Freude am Essen statt Druck und feste Mahlzeiten, bei denen die ganze Familie gemeinsam am Tisch sitzt, sind hilfreich und wichtig. Aber auch Essenspausen von drei bis vier Stunden ohne Naschen machen Sinn. Denn nur so können Kinder ein Gefühl für Hunger entwickeln.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.