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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Fitness Kinesio-Tape: Hauptsache, es hilft
Als die Fußball-Legenden David Beckham, Mario Balotelli und Bastian Schweinsteiger vor einigen Jahren ihre trainierten Körper im TV zeigten, staunten die Fans weltweit. Auf ihren Muskeln klebten bunt leuchtende Klebestreifen. Inzwischen hat sich das Kinesio-Tape auch gegen Zerrungen im Sportstudio durchgesetzt. Der Fitness-Experte Jörn Giersberg und der Physiotherapeut Max Heim erklären, was es wirklich bringt.
Es sieht interessant aus, verursacht keine Nebenwirkungen und erzielt immer wieder erstaunliche Heilungsverläufe bei Sportverletzungen: Das bereits 1973 vom japanischen Therapeuten Kenzo Kase entwickelte Kinesio Tape soll die Durchblutung der Muskulatur sowie deren Spannung steigern oder senken, zudem die Körperhaltung gezielt korrigieren und so die Heilung von Sportverletzungen fördern. Es besteht aus atmungsaktiven, hochelastischen Streifen fein gewebter Baumwolle, die mit einer dünnen Schicht Acrylkleber versehen sind.
Wirkung bisher klinisch nicht bewiesen
Um einen therapeutischen Effekt zu erzielen, müssen die Streifen sehr exakt etwa in den Nacken, auf den Rücken, an den Arm- oder Beinmuskeln positioniert werden. Seriöse und unabhängige Studien über die Wirksamkeit gibt es bislang nicht – doch sehr viele Hochleistungssportler sind inzwischen vom Effekt überzeugt. Daher sind die bunten Streifen schon seit einigen Jahren bei der Fußball-WM, den Olympischen Spielen, der Tour de France und der Handball-Nationalmannschaft zu sehen.
National-Physiotherapeut rät zu den Tapes
1996 kam das Kinesio-Tape durch den früheren niederländischen Bundesliga-Profi Alfred Nijhus nach Europa. Der ehemalige Spieler des MSV Duisburg und von Borussia Dortmund ließ seine Karriere bei einem Verein der ersten japanischen Liga ausklingen. Als ihm dort ein Gegenspieler einen schmerzhaften "Pferdekuss" verpasste, verordnete ihm sein Physiotherapeut Kenzo Kase nach dem Abpfiff weder Pillen noch Therapie, sondern nur sein präzise platziertes Tape. "Der Druck hat sofort nachgelassen, drei Tage später stand ich wieder auf dem Platz", sagte Nijhus damals der Kölner Boulevardzeitung "Express". Das sprach sich unter den Profi-Kickern herum. Seit 2002 empfiehlt sogar Klaus Eder, Physiotherapeut der deutschen Nationalmannschaft, seinen Kickern den Einsatz.
Keine Wunderheilung und dennoch effektiv
Doch Personal Trainer und Fitness-Experte Jörn Giersberg (www.figurtrainer.de) warnt vor überzogenen Erwartungen. Er betont: Wunderheilungen gebe es damit keine. "Die Heilung einer Sportverletzung lässt sich – außer mit illegalen Dopingmitteln – nicht beschleunigen. Man kann sie mit Kinesio-Tape aber hervorragend unterstützen", sagt der Sportwissenschaftler. Der Physiotherapeut Max Heim, der immer wieder mit ihm zusammen arbeitet, sieht das ebenso: "Der Heilungsprozess etwa einer überdehnten oder angerissenen Sehne kann nicht beschleunigt werden. Die Wundheilungsphase ist ein hoch komplexer Prozess, der bei jedem Menschen anders verläuft. Aber mit Kinesio-Tape lässt sich der Stoffwechsel hervorragend aktivieren, die Muskelspannung sehr genau regulieren und die Haltung eines Körperteils korrigieren. Das alles fördert die Heilung sehr intensiv."
Für den Patienten verlaufe die Heilung mit Kinesio-Tape daher subjektiv schneller als ohne, weil die Bedingungen perfekt gestaltet werden könnten. "Sehr gute Effekte lassen sich bei der Tonussteigerung und -senkung erzielen, auch bei der Stabilisierung beispielsweise des Sprunggelenks. Auch bei der Haltungskorrektur und der Schmerzreduktion durch Entlastung [...] gibt es sehr positive Effekte", beschreibt Heim die Wirkung.
Psychosomatische Wirkung
Doch es gibt noch einen weiteren Effekt: Viele Sportler glauben fest an die heilende Wirkung der Farben des Tapes – sie sind etwa in Schwarz, Blau, Pink und im Hautton zu haben. "Ich vermute, der psychosomatische Effekt ist dabei der wirksamste Effekt", fügt Giersberg hinzu, der auch regelmäßig TV-Prominente trainiert. Dazu kommt vor allem der Ego-Kick: Wenn Promis wie Bastian Schweinsteiger und Mario Balotelli das bunte Tape auf ihren viel bewunderten Stahlkörpern zeigen, erzeugt es bei Fitnessstudio-Schönheiten ein sehr gutes Gefühl, wenn sie das gleiche Tape ebenso gut sichtbar tragen. Ego kann Heilung fördern. Wenn's hilft – umso besser.
Unterschiedliche Farben
Die verschiedenen Farben entstanden als Folge einer zufälligen Begebenheit, die Kase in Interviews gern als Anekdote erzählt: Er habe die ersten Jahre ausschließlich hautfarbene Tapes produzieren lassen. Doch vor über 20 Jahren sei eine seiner Schülerinnen zu ihm gekommen, um sich zu beschweren: Das Tape würde so scheußlich aussehen. Der Farbton mache sie krank. Meister Kase nahm den Vorwurf ernst und wies seine Herstellerfirma an, das Tape in Pink und Blau zu fertigen. Bald darauf kamen die ersten Profi-Sportler zu ihm. Sie teilten ihm mit, Schwarz würde doch viel stärker aussehen. Wahrscheinlich meinten sie damit: Schwarz würde im Fernsehen viel stärker wirken. Tatsächlich verwenden Sportlegenden Kinesio-Tape nur in Signalfarben. Bastian Schweinsteiger etwa steht auf knalliges Blau, David Beckham zeigte meist Pink auf der Haut. Inzwischen ist das japanische Tape in rund einem Dutzend Farben zu haben.
Zum Aufkleben am besten zum Profi
Doch zum richtigen Kleben ist eine Menge Wissen und Erfahrung nötig. Das Kinesio-Tape abrollen, abschneiden und irgendwie auf die Zerrung zu pappen, wird die Heilung nur moderat bis gar nicht befördern, warnt Giersberg. "Das Tape erzeugt einen mechanischen Reiz auf die Hautrezeptoren", erklärt Physiotherapeut Heim, "daher ist es sehr wichtig, ihn mit der richtigen Klebetechnik an den richtigen Stellen auszulösen." Mit einem Anleitungsbuch könne man das Kinesio-Tape bei leichten Beeinträchtigungen durchaus selbst aufkleben – aber nur, wenn man beide Hände einsetzen könne. "Ist die Verletzung am Arm, an einer Hand oder am Rücken, wird das nicht funktionieren", betont Heim. In diesem Fall sei es sinnvoll, sich an einen erfahrenen Profi zu wenden.
Individuelle Tragedauer
Ist das Tape fachgerecht geklebt, sollte es im Normalfall etwa sieben bis zehn Tage auf der Haut bleiben. "Damit kann man problemlos duschen und schwimmen gehen", weiß Giersberg. Wenn sich die Kanten durch Abtrocknen, An- oder Ausziehen lösen, könnten sie im Regelfall einfach abgeschnitten werden. "Die Tragedauer ist aber abhängig von der Körperregion und ihrer Bewegung, der Körperbehaarung und dem Körperschweiß, daher sind die Tragezeiten individuell unterschiedlich", erklärt der Fitness-Profi den Umgang. Dabei gilt in dieser Zeit vor allem eins: Hauptsache, es hilft.
- Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.