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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Abschaffung der Rente mit 63? "Das bedeutet Malochen bis zum Tode"
Im t-online-Interview hat der Wirtschaftsweise Martin Werding umfassende Rentenreformen gefordert. In der Politik sind seine Ideen umstritten.
Das Rentensystem wankt. Immer weniger junge Menschen müssen für immer mehr Rentnerinnen und Rentner zahlen. Das Problem spitzt sich zu: Bald drängen die geburtenstarken Jahrgänge, die sogenannten Babyboomer, in den Ruhestand.
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will in Kürze ein neues Rentenpaket vorlegen. Doch der Wirtschaftsweise Martin Werding bezweifelt, dass das reichen wird. Im Interview mit t-online fordert er einschneidende Reformen.
Für den Experten ist klar: Nimmt die Lebenserwartung weiter zu, werden die Bürgerinnen und Bürger länger arbeiten müssen. Zusätzlich fordert er die Abschaffung der "Rente mit 63" – ein Stufenmodell, das bis zum Jahrgang 1963 einen etwas früheren Renteneintritt ohne Abzüge ermöglicht. Diese Regelung belaste die Rentenkasse zu stark, so Werding. Auch die Abschläge bei einem früheren Renteneintritt müssten seiner Meinung nach deutlich erhöht werden. Hier lesen Sie das ganze Interview.
"Rente mit 63"
Aktuell betroffen von einem baldigen Aus der "Rente mit 63" wären die geburtenstarken Jahrgänge 1959 bis 1963. Diese dürfen der Regel nach zwar nicht mehr mit 63 Jahren, aber nach 45 Beitragsjahren in Abstufungen einige Monate vor 65 Jahren in den Ruhestand. Jemand, der heute 63 ist, könnte damit etwa im Alter von 64 Jahren und vier Monaten abschlagsfrei in Rente gehen.
Die Ideen sorgen im politischen Berlin für Diskussionen. Manche Parteivertreter teilen das Ziel, andere warnen vor "sozialer Kälte".
"Weil sie es wollen und weil sie es können"
"Auf unserem Arbeitsmarkt können wir auf niemanden verzichten", sagt der arbeitsmarktpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Pascal Kober, t-online. Es müsse daher das Ziel sein, dass möglichst viele Beschäftigte länger arbeiten – "weil sie es wollen und weil sie es können". Deshalb komme es auf verbesserte Prävention und Rehabilitation an.
Kober fordert ein System mit flexiblem Renteneintrittsalter, wie es in Schweden genutzt wird. "Dort arbeiten die Menschen durchschnittlich zwei Jahre länger als in Deutschland – dieses Potenzial sollten wir nutzen."
- Österreich, Holland, Schweden: Wie Deutschlands Nachbarn in Rente gehen
Gleichzeitig müssten sich Bürgerinnen und Bürger auf gesetzliche Regelungen verlassen können. "Anpassungen dürfen daher nicht mit der Brechstange erfolgen und nicht Zwang, sondern Freiwilligkeit in den Fokus setzen", so der FDP-Politiker.
Keine "Endlos-Debatten"
Für den CDU-Rentenexperten Kai Whittaker müsste nicht das Rentenalter entscheidend sein, sondern die Anzahl der Jahre, für die in die Rentenversicherung eingezahlt wurde. "Das würde für Akzeptanz und Gerechtigkeit sorgen", sagt der Oppositionspolitiker t-online.
Statt solche "Endlos-Debatten" zu führen, müssten Whittaker zufolge eher neue Ansätze verfolgt werden. "Zum Beispiel ein von mir geforderter Generationenfonds, der eine echte kapitalgedeckte Rente ermöglicht und nicht nur ein Tropfen auf dem heißen Stein ist, wie die sogenannte Aktienrente der Ampelregierung", so der CDU-Abgeordnete.
Auch Ökonom Werding hat im t-online-Interview gefordert, dringend in eine kapitalgedeckte Vorsorge einzusteigen. Die von der Bundesregierung auf den Weg gebrachte Aktienrente hält er für nicht ausreichend: "Die genauen Pläne, die Herr Lindner dazu vorlegt, gehen nicht weit genug und können unsere Probleme nicht lösen."
"Das ist nichts anderes als soziale Kälte"
"Es ist zum Verzweifeln", sagt der rentenpolitische Sprecher der Linken, Matthias W. Birkwald, t-online. "Professor Werding sollte wissen, dass die Rente ab 63 schon lange keine solche mehr ist und schrittweise auf 65 Jahre ansteigt." Er bezieht sich damit auf das Stufenmodell (siehe Infokasten). "Aktuell geht der Jahrgang 1959 ab 64 Jahren und drei Monaten ohne Abschläge in Rente, sofern 45 Jahre lang gearbeitet und Rentenbeiträge eingezahlt wurden", so Birkwald.
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"Diesen Menschen nach einem so langen, harten und verdienstvollen Arbeitsleben einen vorzeitigen Renteneintritt zu verweigern, ist nichts anderes als soziale Kälte und bedeutet für zu viele Menschen Malochen bis zum Tode."
Er plädiert für mehr "alters- und alternsgerechte Arbeitsplätze". Dies sei eine Bringschuld der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber. "Die Gesellschaft hätte viel davon, wenn ältere Menschen ihre jahrzehntelangen Erfahrungen zu angemessenen Bedingungen weiter einbringen könnten", sagt der Linken-Politiker.
"Haben sich die 'Rente mit 63' verdient"
"Wer die 'Rente mit 63' abschaffen will, kennt nicht die reale Arbeitswelt und die Arbeitsbedingungen im Niedriglohnsektor", sagt auch Verena Bentele vom Sozialverband VdK. "Menschen, die 45 Jahre lang hart gearbeitet haben, haben sich die 'Rente mit 63' verdient."
Unter ihnen seien viele Frauen, die zu geringen Löhnen als Putzkraft gearbeitet oder im Supermarkt Regale eingeräumt haben. "Niemand kann ernsthaft verlangen, dass diese künftig noch höhere Abschläge bei vorzeitigem Rentenbeginn in Kauf nehmen müssen", sagt Bentele. Wer sein Leben lang hart gearbeitet habe, müsse vorzeitig abschlagsfrei in Rente gehen können.
"Höheres Alter ist keine Lösung"
So sieht das auch Anja Piel vom Deutschen Gewerkschaftsbund. "Ein höheres Rentenalter ist keine Lösung", sagt Piel t-online. Zahlreiche Menschen arbeiteten bereits jetzt länger. Viele andere hielten in ihrem Job schlicht nicht länger durch.
"Es gibt auch keine Entlastung für den Sozialstaat, wenn mehr Menschen zwischen Ende des Erwerbslebens und Beginn der Rente Arbeitslosengeld oder Grundsicherung beziehen müssen", so Piel.
Dazu hat Ökonom Werding im Interview gesagt: "Wir sollten die allgemeinen Regeln nicht an den Härtefällen ausrichten." Er sei nicht dagegen, für diejenigen Personen, die hart körperlich arbeiten und diesen Beruf unter Umständen nicht bis zu einem höheren Alter ausüben könnten, Sonderregelungen zu finden. "Wir könnten beispielsweise für sie die Abschläge senken, wenn sie früher in Rente gehen wollen", so der Wirtschaftsweise. Die Politik müsse darüber nachdenken, wie dies in der Praxis umgesetzt werden könne.
- Anfragen an Pascal Kober, Kai Whittaker, Matthias W. Birkwald, Verena Bentele und Anja Piel