LEVERKUSEN/WASHINGTON (dpa-AFX) - Bayer wendet sich in der Hoffnung auf eine Lösung der US-Glyphosat-Rechtsstreitigkeiten erneut an das oberste Gericht des Landes. Laut einer Mitteilung vom Freitagabend wurde die Überprüfung des Falls "Durnell" beim US Supreme Court beantragt. Der Agrarchemie- und Pharmakonzern hatte einen solchen Schritt angekündigt, allein der Zeitpunkt war unklar. Zunächst musste ein aus Sicht des Unternehmens geeigneter Fall gefunden werden. Die Leverkusener hoffen auf ein Grundsatzurteil der Richter, sollten diese sich der Sache annehmen. Ein für Bayer positives Urteil könnte die Rechtsstreitigkeiten weitgehend eindämmen, so die Hoffnung.
Hintergrund sind widersprüchliche Urteile von Bundesberufungsgerichten im Streit um angebliche Krebsrisiken durch glyphosathaltige Unkrautvernichter. Dabei steht die grundsätzliche Frage im Raum, ob das US-Bundesrecht zu Warnhinweisen beim Verkauf von Unkrautvernichtern über dem Recht von Bundesstaaten steht. Denn aus Sicht der US-Umweltbehörde EPA birgt Glyphosat keine Gesundheitsrisiken, wenn es entsprechend der Vorschriften angewendet wird. Die EPA hatte das Produktlabel entsprechend ohne Warnung genehmigt.
Beim Gang vor den US Supreme Court verweist Bayer auf ein Urteil eines Bundesberufungsgerichts zum Fall "Schaffner". Die Richter waren darin einstimmig zu dem Schluss gekommen, dass das Bundesgesetz eine Klage wegen angeblich fehlender Warnung ausschließt. Es hatte also pro Bayer entschieden.
Im Fall "Durnell" basiere das Urteil der Geschworenen gegen Bayer aus dem Jahr 2023 hingegen nur auf der Annahme, dass das Gesetz im US-Bundesstaat Missouri eine Krebswarnung bei Glyphosat vorschreibe. "Das ist aber genau die Warnung, die die EPA ablehnt", so Bayer. "Das Produktlabel kann daher nicht ohne Genehmigung der EPA geändert werden." Bayer war in Berufung gegangen, hatte aber verloren. Anschließend beantragte der Konzern die Prüfung durch den Missouri Supreme Court. Diese wurde am 1. April 2025 abgelehnt. Dadurch wurde für Bayer der Weg frei, sich an den US Supreme Court zu wenden.
Für Analyst Richard Vosser von der Bank JPMorgan ist der Schritt leicht positiv. Im Fokus stehe nun aber die Reaktion des Gerichts.
Wann sich die Richter der Sache annehmen und ob sie es überhaupt tun, ist nämlich erst einmal unklar. Bayer dürfte hoffen, dass noch vor der Sommerpause, also bis Ende Juni, entschieden wird, ob der Fall angenommen wird. Sollte das passieren, wäre ein Urteil bis zur Sommerpause 2026 denkbar.
Experte Charlie Bentley vom Investmenthaus Jefferies sieht die Erfolgswahrscheinlichkeit zwar eher als gering an. Sollte Bayer aber erfolgreich sein, würden die Risiken in den Rechtsstreitigkeiten deutlich begrenzt. So setzt der Experte aktuell rund 7 Milliarden Euro verbliebene Rückstellungen für die Glyphosat-Streitigkeiten an. Sollten diese aufgelöst werden können, entspreche das einem Kurspotenzial von rund einem Drittel.
Die Probleme rund um den glyphosathaltigen Unkrautvernichter Roundup hatte Bayer sich 2018 mit der über 60 Milliarden Dollar teuren Übernahme des US-Agrarchemiekonzerns Monsanto ins Haus geholt. Im selben Jahr folgte ein erstes Urteil gegen das Dax-Unternehmen. Dies setzte in den USA eine Klagewelle in Gang, die den Konzern schon viele Milliarden gekostet hat, unter anderem für Vergleiche mit Klägern.
Zehntausende Fälle sind gleichwohl noch offen: Stand 31. Januar 2025 wurden von insgesamt circa 181.000 angemeldeten Ansprüchen in der Causa Glyphosat rund 114.000 per Vergleich beigelegt, oder sie erfüllen aus verschiedenen Gründen nicht die Vergleichskriterien.
Neben dem schon länger geplanten Gang vor das höchste US-Gericht hatte Bayer vor einige Zeit schon die Lobbyarbeit in US-Bundesstaaten mit Blick auf Gesetzesänderungen intensiviert. Im Kern geht es hier ebenfalls um die Debatte, ob Bundesrecht zu Warnhinweisen beim Verkauf solcher Unkrautvernichter über dem Recht von Bundesstaaten steht.
Die Bayer-Aktien notierten am Montag mit rund 19 Euro gut fünf Prozent im Minus. Das hatte aber nichts mit der aktuellen Glyphosat-Entwicklung zu tun. Vielmehr hielten die Papiere sich sogar besser als der Dax, der infolge des von den USA ausgelösten weltweiten Zollkrieges seine Vorwochentalfahrt fortsetzte und um mehr als sechs Prozent absackte.
Das Thema Glyphosat lastet gleichwohl schon seit Jahren auf dem Bayer-Kurs. Seit einer ersten Gerichtsschlappe im Sommer 2018, die die Klageflut in den USA erst so richtig in Gang brachte, summieren sich die Kursverluste auf rund 80 Prozent. Mit einer Marktkapitalisierung von nur noch gut 19 Milliarden Euro ist Bayer mittlerweile einer der kleineren Werte im deutschen Leitindex Dax./mis/lew/men
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