MÜNCHEN (dpa-AFX) - Hasskommentare, Gewaltandrohungen und Fake News: Einer Umfrage in zehn Ländern zufolge wünschen sich die meisten befragten Menschen eine Einschränkung solcher Inhalte in sozialen Medien. Zugleich denke die Mehrheit der Nutzerinnen und Nutzer inzwischen, dass es unvermeidlich ist, in sozialen Medien Grobheit, Intoleranz oder Hass ausgesetzt zu sein, teilte die Technische Universität München (TUM) mit, die die Umfrage gemeinsam mit der University of Oxford initiiert hat.
"Wir stellen eine weit verbreitete Resignation fest", sagte Studienleiter Yannis Theocharis von der TUM. "Dieser Gewöhnungseffekt ist ein enormes Problem, weil er nach und nach gesellschaftliche Normen untergräbt und Hass und Gewalt normalisiert."
"Besorgniserregendes Ausmaß an Hassreden, Falsch- und Desinformation"
Ursprünglich seien soziale Medien als Räume angesehen worden, die Meinungsaustausch fördern und Nutzern ermöglichen, unterschiedliche - insbesondere konträre - Perspektiven einzunehmen, heißt es im Bericht der Forschenden. "Inzwischen gibt es jedoch Belege dafür, dass diese Plattformen ein besorgniserregendes Ausmaß an Hassreden, Falsch- und Desinformation und gesellschaftlicher Spaltung ermöglichen."
Das Team um Theocharis hatte im Herbst 2024 rund 13.500 Menschen in sechs europäischen Staaten sowie in den USA, in Brasilien, Südafrika und Australien einen Fragebogen vorgelegt. Fast vier Fünftel der Befragten befürworten demnach, dass Anstiftungen zu Gewalt in sozialen Medien gelöscht werden sollten. Die größte Zustimmung gab es mit 86 Prozent in Deutschland, Brasilien und der Slowakei, in den USA waren es der Auswertung zufolge 63 Prozent.
Nur wenige wollen Gewaltandrohungen online lassen
Rund 14 Prozent aller Befragten finden demnach, dass Gewaltandrohungen online bleiben sollten, damit Nutzerinnen und Nutzer mit Gegenrede darauf reagieren können. Etwa 17 Prozent denken, dass beleidigende Posts über bestimmte Gruppen als Kritik erlaubt sein sollten. In Deutschland sind es 15, in den USA 29 Prozent, wie es von der TUM heißt.
Müssten die Befragten zwischen dem Verzicht auf die Kontrolle von Inhalten und einer Plattform wählen, die frei von Hassrede und Fehlinformationen ist, würden die meisten Befragten die Moderation bevorzugen, insbesondere um Fehlinformationen zu reduzieren.
Mehrheit wünscht Maßnahmen gegen Hass und Gewalt
"Einflussreiche Unternehmer wie Mark Zuckerberg und Elon Musk haben mit dem Vorrang der Meinungsfreiheit gegen die Moderation der Inhalte von sozialen Medien argumentiert", sagte Theocharis. Die Umfrage zeige aber, dass sich die Mehrheit der Menschen in Demokratien Plattformen wünsche, die gegen Hass und Gewalt vorgehen. "Das gilt sogar für die USA, wo eine weit ausgelegte Meinungsfreiheit als besonders hohes Gut zählt."
In den USA hatten zuletzt mehrere Social-Media-Plattformen ihre Regularien hin zu uneingeschränkter Meinungsfreiheit geändert. Australien wiederum hat den Social-Media-Zugang für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren verboten.
Global große Unterschiede
Dass es bei den Abwägungen zwischen Meinungsfreiheit und Moderation keinen globalen Konsens gibt, zeigt Co-Autor Spyros Kosmidis von der University of Oxford zufolge auch die Umfrage. "Die Vorstellungen der Menschen hängen stark von kulturellen Normen, politischen Erfahrungen und rechtlichen Traditionen in den jeweiligen Ländern ab."
Die Hauptverantwortung bei der Einschränkung problematischer Inhalte sehen viele Menschen bei den Plattform-Betreibern (Mittel: 35 Prozent, Deutschland: 39 Prozent), in sehr unterschiedlichem Maß auch bei der Regierung (Deutschland: 37 Prozent, Slowakei 14 Prozent). Unterschiedlich groß ist den Daten zufolge auch der Anteil derjenigen, die in erster Linie die Bürgerinnen und Bürger selbst in der Verantwortung sehen: In Schweden ist er mit 39 Prozent am größten, in Deutschland mit 17 Prozent am kleinsten.
Viel Gutes - und sehr viel Böses
Soziale Medien hätten dazu beigetragen, wichtige Anliegen wie die #MeToo-Bewegung, den Arabischen Frühling und die Black-Lives-Matter-Bewegung zu verbreiten, heißt es im Bericht. Aber sie hätten auch die Verbreitung von Verschwörungstheorien, Hassreden und spaltender Rhetorik begünstigt.
"Einst waren diese Arten von Reden und Ideen in den Randbereichen der Offline-Gemeinschaften angesiedelt, jetzt sind sie zum Mainstream geworden." Und obwohl Untersuchungen zeigten, dass nur eine kleine Minderheit von Nutzern solche Inhalte poste, neigten die meisten Menschen dazu zu glauben, dass die sozialen Medien mit Hass und Fehlinformationen überflutet sind.
Wie sich die Übernahme von Twitter - nun X genannt - durch den Musk und die Bewegung sowohl von X und Meta hin zu keiner Kontrolle und keiner Bekämpfung von Fehlinformation längerfristig unter anderem auf Nutzerzahlen und Werbeeinnahmen auswirken werden, sei noch weitgehend unklar. "Was wir jedoch mit einiger Sicherheit sagen können, ist, dass die meisten Menschen keine unmoderierten Plattformen wollen", so das Team um Theocharis. "Sie ziehen es vor, dass einige Schritte unternommen werden, um Fehlinformationen und Hassreden in ihren Feeds zu reduzieren."/kll/DP/zb
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