"Totale Bereicherung" Zehn Jahre Bundesfreiwilligendienst
Mainz (dpa) - Wer nach einer Operation in der BG Klinik in Ludwigshafen im Aufwachraum langsam aus der Narkose zu sich kommt, blickt vielleicht in das Gesicht von Clara Mansmann. Die 20-Jährige aus Neustadt an der Weinstraße arbeitet seit vergangenem August als Helferin im Bundesfreiwilligendienst (BFD) in dem Krankenhaus.
Sie ist dabei mitunter erste Ansprechpartnerin für Operierte. Außerdem hilft sie beim Bettentransport mit oder putzt die Überwachungsmonitore, auf denen der Zustand von Patienten angezeigt wird. "Ich habe viel Freude bei meiner Tätigkeit und fühle mich auch in dem Team sehr wohl", erzählt sie.
Hilfe bei beruflicher Orientierung
Der jungen Frau hat der Bundesfreiwilligendienst bei ihrer beruflichen Orientierung geholfen. Sie hat sich im Anschluss um eine Ausbildung als Pflegefachkraft in einem Krankenhaus in Speyer beworben.
In ihrem Abijahrgang seien einige Mitschülerinnen und Mitschüler gewesen, die ebenfalls in einen der Freiwilligendienste gegangen sind, berichtet Mansmann. Da sie nicht genau wusste, wohin es beruflich einmal gehen sollte, war sie froh, dass es den BFD gibt. "Leerlauf mag ich nicht haben" - und Reisen ins Ausland waren wegen der Corona-Pandemie nicht möglich", berichtet sie.
Dass sie "etwas Soziales" machen wollte, wusste sie schon als Schülerin. Eine Tätigkeit im medizinischen Bereich hatte sie vorher für sich nicht vorstellen können. "Aber durch dieses Jahr habe ich gemerkt, dass es mir eigentlich doch liegt und mich total interessiert." Gern würde sie nach ihrer Ausbildung zur Pflegefachkraft Medizin studieren, doch schätzt sie die Chancen dafür angesichts ihrer eher durchschnittlichen Abinote als eher gering ein.
Taschengeld, Urlaub und sozialversichert
Für ihre Tätigkeit als Freiwillige erhält sie ein Taschengeld von 380 Euro im Monat, 26 Tage Urlaub und ist sozialversichert. Sie wird von ihren Eltern finanziell unterstützt. Mansmann hätte sich eine bessere Einarbeitung gewünscht und würde gerne mehr vom allgemeinen Klinikbetrieb mitbekommen. Freiwillige werden nach ihrer Beobachtung oft als volle Arbeitskraft gesehen, das hätten ihr auch andere Freiwillige so berichtet.
Für die 20-Jährige endet das Jahr im Bundesfreiwilligendienst bald. Es war eine Erfahrung, die sie nicht missen möchte. "Für mich war das eine totale Bereicherung. Ich habe das Gefühl, dass ich als Mensch gewachsen bin - in meinem Selbstbewusstsein und meiner Art, mit Menschen umzugehen."
Programm für Interessenten ab 27
Doch nicht nur ganz junge Menschen, die noch am Anfang ihres Berufsweges stehen, nutzen den BFD. Es gibt auch ein spezielles Programm für Interessenten ab 27, die schon Berufserfahrungen gesammelt haben und sich vielleicht neu orientieren wollen.
So wie Michael Steinhage. Der heute 53-Jährige aus Bruttig-Fankel (Landkreis Cochem-Zell) nahm schon in den Anfangsjahren des BFD an dem Programm teil, das - wie er selbst sagt - sein Leben verändert und bereichert hat. Er hatte damals seinen Job als Verkäufer verloren und bewarb sich 2013 beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) in seinem Landkreis als Freiwilliger. Die Arbeit im Fahrdienst erfüllte ihn so, dass er seine Dienstzeit von 12 auf 18 Monate verlängerte.
Steinhage bekam im Anschluss eine Festanstellung beim DRK Cochem-Zell. Er fährt nun Kinder zu Förderschulen oder Fördertagesstätten. Er sieht die Zeit rückwirkend als einen Wendepunkt in seinem Leben: "Ich habe ein erfülltes Leben dank dieser Sache." Der Vorteil des Freiwilligendienstes liege darin, dass "die Tätigkeit einem die Angst nehmen kann, etwas Neues zu wagen."
Überzeugungsarbeit notwendig
Probleme hatte er damals damit, die Bundesagentur für Arbeit von seinem Engagement als Freiwilliger zu überzeugen. "Die haben nicht nachvollziehen können, dass ich als Freiwilliger für theoretisch umgerechnet zwei Euro die Stunde gearbeitet und mich nicht um eine andere Arbeit bemüht habe", erzählt er. Es sei sicherlich "ein anderes Ding, wenn du als junger Mensch in den Freiwilligendienst kommst oder als gestandener Vater, der sich natürlich auch Sorgen macht, wie man seine Familie über die Runden bringt."
Doch diese Sorgen sind längst überwunden. Mit seiner Festanstellung hat er materielle Sicherheit, der tägliche Kontakt mit den Kindern und Jugendlichen in seinem Kleinbus macht ihm nach wie vor Spaß. "Seit der Festanstellung bin ich auf der Sonnenseite des Lebens."
Steinhage ist kein Einzelfall, weiß Sandra Schollmeyer, die sich im DRK Rheinland-Pfalz vor allem um die Freiwilligen über 27 kümmert, für die andere Regelungen gelten als für die jüngere Altersgruppe: "Der BFD funktioniert als Türöffner für beide Seiten. Mehr als zwei Drittel in dem Programm BFD 27plus finden nach dem Dienst eine feste Beschäftigung oder Ausbildung."
Viele machen Riesenschritte in ihrer Entwicklung
Viele derFreiwilligenseien am Anfang verunsichert, weil sie vielleicht langzeitarbeitslos waren und sich nun beruflich neu orientieren wollen. "Oder es handelt sich um Menschen mit Migrationshintergrund, die noch Sprachbarrieren haben und unsicher sind, der Gesellschaft aber etwas zurückgeben wollen", berichtet Schollmeyer. "Viele von ihnen wachsen in diesem Jahr, werden selbstbewusster und machen Riesenschritte in ihrer Entwicklung."
Etwa 900 Freiwillige zählt das DRK als größter Anbieter in diesem Bereich pro Jahrgang in Rheinland-Pfalz. Davon sind 200 beimBFD, der Rest macht ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ). 25 bis 30 davon nehmen am Programm BFD 27plus teil. Die derzeit Ältesten sind laut Schollmeyer zwei Freiwillige im Alter von 60 und 61, die im Fahrdienst beziehungsweise bei der Hausaufgabenbetreuung helfen.