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VW in der Krise | Experte: "Die Politik muss jetzt eingreifen"


Autobauer auf Sparkurs
Experte zur VW-Krise: "Die Politik muss jetzt eingreifen"

Von Matthias Zimmermann

21.09.2024 - 13:28 UhrLesedauer: 5 Min.
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Elektrofahrzeuge VW ID3 werden in einer Montagehalle in Zwickau montiert: Schließt der Konzern bald Standorte? (Quelle: IMAGO/Uwe Meinhold/imago)

Drohende Werksschließungen, bis zu 30.000 Stellen bei VW in Gefahr: Die Schreckensnachrichten rissen zuletzt nicht ab. Doch wie dramatisch ist die Lage tatsächlich?

Noch beschäftigt VW in Deutschland rund 120.000 Menschen. Doch diese Zahl könnte in den kommenden Jahren drastisch zurückgehen. Angesichts rückläufiger Umsätze kündigte der Vorstand in Wolfsburg harte Einschnitte an, wie sie die Belegschaft so noch nicht erlebt hat.

Bis zu 30.000 Jobs stünden auf dem Spiel, betriebsbedingte Kündigungen schließen Hardliner im Konzern nicht aus, berichtet das "Manager Magazin". Gleichzeitig drohten erstmals Werksschließungen im Stammland. Betriebsrat und Gewerkschaft kündigten Widerstand gegen diese Pläne an. Während einer Betriebsversammlung protestierten Tausende Mitarbeiter lautstark.

Wie schlimm sieht es bei VW tatsächlich aus? Und wie kann ein solches Szenario noch verhindert werden? t-online klärt die wichtigsten Fragen.

Wie ist die wirtschaftliche Lage bei VW?

Nicht so dramatisch, wie man womöglich denken könnte. Die nun genannten Zahlen der Arbeitsplätze, die angesichts der hohen Verluste auf der Kippe stehen sollen, hält Experte Jürgen Pieper für "eine Drohkulisse seitens des Vorstandes". Der Branchen-Analyst war lange Jahre Director Research beim Bankhaus Metzler.

Die Manager "haben wohl gemerkt, dass sie es mit den bisherigen Plänen nicht hinbekommen, ihr Sparziel von zehn Milliarden Euro zu erreichen". Um in diesem Zusammenhang Druck auf die bevorstehenden Tarifverhandlungen über Lohnerhöhungen auszuüben, werde nun "die große Keule ausgepackt". Pieper glaube "nicht daran, dass sie auch diesen Weg gehen" und diese harten Personaleinschnitte umsetzten. Zumal VW immer noch Geld verdiene.

Drohen tatsächlich betriebsbedingte Kündigungen?

Das ist zumindest möglich. Denn die Konzernspitze kündigte den seit 30 Jahren währenden Vertrag mit der Arbeitnehmerseite, der betriebsbedingte Kündigungen ausschloss. Das Management begründete dies mit Überkapazitäten in der Produktion, die über Altersteilzeitmodelle und Abfindungen nicht abzubauen seien.

Allen voran müsse die Verhandlungsbereitschaft sowohl auf Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmerseite stehen. Der "schwere Tanker" Volkswagen müsse umgebaut werden, so Experte Pieper. VW sei in vielen Bereichen "teuer und unflexibel". Ein großer Verwaltungsapparat müsse verkleinert werden. Außerdem müsse die Belegschaft zu neuen Beschäftigungsmodellen bereit sein, die auch Einschnitte für jeden Einzelnen bedeuten, erklärt der Experte.

Dies hat es bereits in den 1990er-Jahren gegeben, als VW in der Krise war. Damals wurde die Viertagewoche eingeführt, und die Volkswagen-Mitarbeiter mussten erhebliche Lohneinbußen hinnehmen. Dafür rang die IG Metall dem Konzern Beschäftigungsgarantien ab, die bis jetzt über drei Jahrzehnte fortbestanden. Hier müssten nun neue Modelle folgen, fordert Pieper weiter.

Video | Das sagen VW-Beschäftigte zum Sparkurs
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Quelle: t-online

Wird es zu Werksschließungen kommen?

Über den Standorten in Deutschland hängt nach wie vor das Damoklesschwert der Betriebsschließungen. Zumindest droht damit die VW-Konzernspitze. Bisher produziert der Autobauer in Hannover, Emden, Osnabrück, Braunschweig, Salzgitter, Kassel, Dresden und Chemnitz und – in Zwickau.

Hier laufen Elektrofahrzeuge vom Band. Allerdings schreibt Volkswagen an diesem Standort tiefrote Zahlen. Darum wird darüber spekuliert, ob diese Fabrik auf der Kippe steht.

"Es wäre völliger Unsinn, das Werk zu schließen", sagt Pieper dazu. Wenn auch jetzt dort Verluste eingefahren werden, sei dies "totaler Unsinn", sollte das Aus besiegelt werden. Das würde VW "die Fähigkeit absprechen, zukunftsfähig zu planen". Der E-Mobilität gehöre die Zukunft, auch wenn es beim Absatz zurzeit hakt.

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Auch an anderen Standorten befürchtet Pieper keine Schließungen. Das gelte beispielsweise für das Werk in Emden, das Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Freitag besuchte. Das wird schon das Land Niedersachsen als Anteilseigner mit Vetorecht nicht zulassen.

Denn neben den 8.000 Beschäftigten, die direkt bei VW arbeiten, wären von einer Schließung viele weitere der umliegenden Zulieferindustrie betroffen. Pieper schätzt, dass dadurch bis zu 12.000 Menschen ihren Job verlieren könnten. "Dieses Horrorszenario wird Niedersachsen nicht zulassen."

Und auch kleinere Standorte wie in Osnabrück mit etwa 2.500 Mitarbeitern sieht er keineswegs gefährdet. Vor einer Schließung stehe eher der Verkauf an die Konkurrenz – wenn es denn überhaupt so weit komme.

Wie viele Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel?

Dass letztlich tatsächlich 30.000 Jobs verschwinden, wie vom Vorstand angedroht, damit rechnet Jürgen Pieper nicht. Am Ende könnten es bis zu 8.000 Stellen in den kommenden zwei Jahren sein, und das ohne Kündigungen, so der Experte. So liefen Zeitverträge aus. Zudem gebe es das Angebot der Altersteilzeit sowie der Abfindungen. Letztere müssten den Mitarbeitern aber schon schmackhaft gemacht werden. Dafür müsse der Vorstand "mehrere Millionen zusätzlich bereitstellen", sagt der Experte.

Üblicherweise erhalte derjenige, der das Unternehmen mit dieser Zahlung verlassen will, für jedes Beschäftigungsjahr ein Monatsgehalt. "Das wird nicht reichen", glaubt Pieper. Sein Beispiel: Ein Ingenieur sollte bei zehn Berufsjahren mindestens 15 Monatsgehälter Abfindung bekommen. Bei einem geschätzten Monatslohn von 8.000 Euro erhielte er immerhin 120.000 Euro.

Was bringt der Autogipfel von Habeck?

Das bleibt abzuwarten. Nach seinem Besuch beim VW-Werk im niedersächsischen Emden am Freitag lädt für kommenden Montag Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grünen) zum Autogipfel. Sinkende Absatzzahlen, von der Industrie beklagte Bürokratie, Kostendruck, Konkurrenz aus China sowie E-Mobilität dürften auf der Tagesordnung stehen. Daran sollen Vertreter der Autoindustrie, dessen Dachverband VDA sowie die IG Metall teilnehmen.

Welcher Impuls ist von diesem Termin für die kränkelnde Branche zu erwarten? Angesichts der ernsten Lage sei es nach Piepers Ansicht "absolut richtig, sich auszutauschen". Er gehe davon aus, dass alle Seiten der Ernst der Lage bewusst ist, dass es so nicht weitergehen kann. Dass Habeck nun die Initiative zu diesem Treffen ergriffen hat, halte er für ein richtiges Signal. Pieper: "Die Politik muss jetzt eingreifen."

Allerdings dürfe kein Steuergeld dafür verschwendet werden, um VW bei seinen Sparplänen zu unterstützen. "Der Konzern hat viele Jahrzehnte gut verdient und verdient auch heute noch. Er kann das stemmen", sagt der Fachmann.

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Dennoch sieht er eine Möglichkeit, sowohl den Unternehmen als auch den Kunden finanziell behilflich zu sein, die Nachfrage anzukurbeln. "Eine Prämie für E-Autos ergibt volkswirtschaftlich Sinn, weil E-Mobilität die Zukunft sein wird", ist Pieper überzeugt. Solch eine staatliche Förderung bei Wagenneukauf, wie es sie bereits gab, müsse es wieder geben, um den Absatz anzukurbeln, sagt er.

Die Bundesregierung hatte den sogenannten Umweltbonus am 18. Dezember vergangenen Jahres auslaufen lassen. Danach gab es keine neuen Pläne für eine entsprechende Förderung, die erneut aus Steuern hätte finanziert werden müssen.

Bis wann gibt es Klarheit über den Umfang der Einschnitte bei VW?

Die Verhandlungen über die Einsparungen muss die Geschäftsführung mit dem Betriebsrat führen. "Ich gehe davon aus, das wird in drei Monaten erledigt sein", sagt Pieper.

Bis zum Jahresende wolle der VW-Vorstand die Verträge mit den Arbeitnehmervertretern in trockenen Tüchern haben, um die ersten Effekte bereits 2025 zu spüren, so Pieper. Dann könne dieses – ein erstes – Sparprogramm in den kommenden Jahren umgesetzt werden.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Experte Jürgen Pieper
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