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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Gasumlage "Es wird teuer"
Die Gasumlage wird zur Doppelbelastung: Neben den Zusatzkosten bei der Heizrechnung treibt sie die Inflation weiter an, warnt der Ökonom Sebastian Dullien.
Seit Juli ist sie beschlossene Sache, jetzt steht auch fest, wie hoch sie ausfällt: Ab dem 1. Oktober müssen Gaskunden pro Kilowattstunde 2,419 Cent zusätzlich für die Gasumlage zahlen. Damit will der Staat vermeiden, dass Energiekonzerne, Versorger und Stadtwerke langfristig in Schwierigkeiten geraten – und die Mehrkosten bei der teureren Gasbeschaffung auf die Schultern aller Gaskunden verteilen.
Für viele Haushalte bedeutet das erhebliche Mehrbelastung, die sie angesichts ohnehin steigender Preise kaum stemmen können. Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomik und Konjunkturforschung (IMK), erklärt, weshalb die Gasumlage die Inflation weiter befeuern dürfte – und welche Maßnahmen er für besser geeignet hält.
Herr Dullien, die Gasumlage steht fest, ab Oktober werden 2,4 Cent extra je Kilowattstunde fällig. Klingt nach gar nicht so viel, oder?
Sebastian Dullien: Das stimmt, für sich genommen ist das natürlich ein sehr geringer Betrag. Doch auch wenn es sich zunächst harmlos anhört: Da kommt schnell eine große Summe zusammen. Zum Vergleich: Anfang 2021 haben Verbraucher durchschnittlich 6,5 Cent pro Kilowattstunde bezahlt. Allein die Umlage bedeutet also ein Plus von fast 50 Prozent – und da sind die ohnehin gestiegenen Gaspreise noch nicht einmal berücksichtigt.
Was bedeutet das für Verbraucher?
Das heißt erst einmal: Es wird teuer. Die Gasumlage wird denen am meisten wehtun, die jetzt schon von wenig Geld leben müssen. Wir dürfen nicht vergessen: Die Umlage kommt zu einer Zeit, in der die Preise ohnehin hoch sind. Die Gasumlage kommt on top. Viele werden im Winter Probleme haben, ihre Gasrechnung zu bezahlen.
Wen wird die Gasumlage besonders hart treffen?
Ich denke da vor allem an Personen, die knapp über der Transfergrenze liegen. Im Gegensatz zu Grundsicherungsempfängern bekommen sie keine Erstattung der Heizkosten. Einige dürften am Ende des Monats netto nach den Heizkosten weniger zur Verfügung haben als ein Hartz-IV-Empfänger. Das ist aber nicht das einzige Problem.
Sondern?
Die Gasumlage wird sich in erheblichem Maße auf die Inflation auswirken. Da Energie ein wesentlicher Bestandteil des Warenkorbs ist, werden wir die Umlage direkt in der Teuerungsrate sehen.
Sebastian Dullien, geboren 1975, leitet seit 2019 als wissenschaftlicher Direktor das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Dullien studierte Volkswirtschaftslehre in Bochum und Berlin und arbeitete nach dem Studium als Journalist bei der "Financial Times Deutschland". Seit Herbst 2007 ist er Professor für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin.
Wie groß schätzen Sie diesen Effekt?
Unsere Berechnungen haben gezeigt, dass die Inflation bei den angekündigten 2,419 Cent zuzüglich Mehrwertsteuer um einen Prozentpunkt zulegen würde. Im September wird sich zusätzlich der Wegfall des Tankrabatts und des 9-Euro-Tickets bemerkbar machen, beides hat in den vergangenen Monaten die Inflation etwas abgemildert. Ich befürchte: Im Winter knackt die Inflation die Zehn-Prozent-Marke. Die Gasumlage ist deshalb in der aktuellen Situation ein schlechtes Instrument.
Wie sehr könnte die von der Ampel geplante Ausnahme von der Mehrwertsteuer helfen?
Das könnte die anziehende Inflation zumindest ein bisschen dämpfen. Laut unseren Berechnungen könnte der Gasumlage-bedingte Anstieg von einem auf 0,8 Prozentpunkte reduziert werden. Allerdings fällt damit der Anreiz zum Gassparen auch für Vielverbraucher wie Villenbesitzer mit Pool geringer aus.
Wie könnte ein Weg aussehen, der weniger auf die Inflation wirkt und dennoch zum Sparen anhält?
Ich halte es für sinnvoll, einen Grundverbrauch zu definieren, dessen Preis staatlich gedeckelt ist. Jede Kilowattstunde, die darüber hinausgeht, würde dann beim Endverbraucher mit dem aktuellen Marktpreis zu Buche schlagen. So lohnt sich das Sparen weiterhin.
Aber ist das nicht ein Gießkannenprinzip? Schließlich würden in diesem Fall auch Gutverdiener entlastet.
Es stimmt, davon würden auch die hohen Einkommen profitieren. Aber für die überwiegende Mehrheit der Menschen wäre das eine Entlastung, die sie dringend brauchen. Wir dürfen nicht unterschätzen, wie stark die Gasumlage selbst die Mittelschicht belastet. Wenn eine vierköpfige Familie von 3.000 Euro netto lebt, tun Zusatzkosten in Höhe von 400 Euro im Monat richtig weh. Außerdem: Die Besserverdienenden würden allein schon darüber mehr belastet, dass sie tendenziell in größeren Häusern und Wohnungen leben.
Viele Energiekonzerne konnten ihre Gewinne zuletzt vervielfachen. Shell und RWE haben angekündigt, die Mittel aus der Gasumlage nicht in Anspruch nehmen zu wollen. Welchen Effekt hätte ein breiter Verzicht der Krisengewinner auf die Höhe der Gasumlage?
Die Umlage wird auf Grundlage der prognostizierten Ersatzbeschaffungskosten der Gasversorger berechnet. Wenn mehr und mehr Unternehmen die Mehrkosten aus eigener Tasche decken, würde das die Höhe der Umlage für die Verbraucher in der Tat drücken. Ich frage mich aber, ob dieser Verzicht von Dauer ist. Die Umlage wird alle drei Monate neu berechnet. Es ist denkbar, dass die Unternehmen ihre Meinung wieder ändern.
Ich danke Ihnen für das Gespräch, Herr Dullien.
- Gespräch mit Sebastian Dullien