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Maßnahmen gegen Hass und Hetze: Ich bin entsetzt über die Entscheider dieser Republik


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Maßnahmen gegen Hass und Hetze
Ich bin entsetzt über die Entscheider dieser Republik

  • Nicole Diekmann
MeinungEine Kolumne von Nicole Diekmann

Aktualisiert am 10.12.2021Lesedauer: 3 Min.
Bundeskanzler Olaf Scholz: Bei der Ministerpräsidentenkonferenz fanden er und die Minister keine geeigneten Maßnahmen gegen Hass und Missinformation im NetzVergrößern des Bildes
Bundeskanzler Olaf Scholz: Bei der Ministerpräsidentenkonferenz fanden er und die Minister keine geeigneten Maßnahmen gegen Hass und Missinformation im Netz (Quelle: Michael Kappeler/ap)
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Scholz und die Ministerpräsidenten wollen gegen Hetze und Lügen im Netz vorgehen. Doch sie planen viel zu wenig

Wir schreiben das Jahr 1995. Griechenland, ein 2-Sterne-Hotel. Meine Freundin Larissa und ich sind 16 und das erste Mal ohne Eltern im Urlaub. Im Bad hängt ein Zettel: "Toilettenpapier bitte stets in den Abfalleimer werfen." Die Rohre hier sind enger als in Deutschland. Wir tun das natürlich nicht.

Eines Abends steht das Zimmer unter Wasser, und zwar bis zum Knöchel. Die Toilette ist verstopft. Ich bin entsetzt. Larissa denkt nicht lange nach, schnappt sich unsere Luftmatratze und paddelt los.

Ich lasse ihr einige unbeschwerte Momente, bis ich ihr erkläre, worin sie gerade badet. Larissa würgt kurz. Dann aber lacht sie und sagt: "Du gehst jetzt bitte zum Hausmeister und ich zu irgendwem zum Duschen."

Bis zu den Knöcheln in der Kloake

An diese Szene, über die wir heute noch lachen, musste ich gestern Abend bei der Pressekonferenz nach der Ministerpräsidentenkonferenz denken. Als Kanzler Scholz, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Wüst und Berlins Regierender Müller erklärten, die Politik wolle nun an Messengerdienste ran. Diese seien "zunehmend" verantwortlich für Hass und Hetze und Desinformation. "Morddrohungen und Fackelaufzüge vor Privathäusern sind inakzeptabel", hieß es.

Gemeint ist Telegram. Auf Facebook und anderen tobt der Mob. Auf Telegram der Mob des Mob-Mobs. Es ist die schwefelig stinkende Social-Media-Hölle. Zu Telegram werden diejenigen gespült, die sogar den anderen Plattformen zuwider sind. Attila Hildmann zum Beispiel zog weiter, als Instagram ihn sperrte. Der Wendler ist da. Die "Identitäre Bewegung". Holocaustleugung, Mordpläne, zum Beispiel gegen den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer, finden sich bei Telegram.

Der von der Bund-Länder-Runde erwähnte Fackelmarsch führte vor das Privathaus von Kretschmers Gesundheitsministerin. "Querdenker" und Rechtsextremisten organisieren solche Aktionen in geschlossenen, aber auch offenen Gruppen, denen bis zu 200.000 Menschen folgen können. Und Telegram tut nichts dagegen – nein, ganz im Gegenteil: Es ist der Markenkern, mit dem das dubiose Unternehmen für sich wirbt: "Bis zum heutigen Tag haben wir 0 Byte Nutzerdaten an Dritte weitergegeben, einschließlich aller Regierungen", steht dort zu lesen.

Telegram brüstet sich damit, nicht mit Staaten zu kooperieren

Nur: Das steht da nicht erst seit Neuestem. Sondern seit Jahren. Und auch das Problem Hass und Hetze dort sind alles andere als neu. Schon in seinen Hochzeiten nutzte etwa der "Islamische Staat" Telegram für seine mörderische Propaganda. Und ebenso wenig neu ist die Verbreitung von Fake News über solche Dienste. Selbst die Weltgesundheitsorganisation warnte bereits mit Blick auf Corona vergangenes Jahr vor einer "Infodemie".

Soziale Netzwerke, hieß es, spielten eine zentrale Rolle bei gefährlichen Halb- oder Gar-Nicht-Wahrheiten. Komplett falsche Aussagen wie die der AfD-Fraktionschefin Alice Weidel, die meisten Covid-Patienten auf den Intensivstationen wären geimpft, finden sich tausendfach bei Telegram – und gehören dort noch zu den harmloseren, wenngleich aber verhängnisvollen Lügen.

Jetzt also soll Telegram unter das Netzwerkdurchsetzungsgesetz – kurz: NetzDG genommen werden. Das NetzDG trat 2017 und damit viel zu spät in Kraft. Es ist der Versuch der deutschen Politik, die Hetze in den sozialen Netzwerken einzudämmen.

Seit 2017 versucht man vergeblich, Plattformen zu regulieren

Mit Betonung auf "Versuch". In den langen Jahren, in denen sich die Regierungen dieser Welt nicht so recht für dieses Interweb interessierten und in denen sich die Plattformen ausschließlich aufs Geldverdienen konzentrierten, breitete sich eine unappetitliche Suppe auf den Plattformen aus.

Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politik-Berichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf Twitter – wo sie bereits Zehntausende Fans hat. In ihrer Kolumne auf t-online filetiert sie politische und gesellschaftliche Aufreger rund ums Internet. Ihr Buch "Die Shitstorm-Republik" ist überall erhältlich.

Als dem Gesetzgeber auffiel, dass das gar nicht mal so ungefährlich ist, waren die Tech-Riesen bereits Giganten. Entsprechend hilflos waren die hektischen Bemühungen hierzulande dann, sich ihnen entgegenzustellen. Und jetzt kommt man wieder zu spät auf eine Idee. Telegram ist eine Mischung aus Messengerdienst wie WhatsApp und einem Sozialen Netzwerk. Und deshalb fällt es nicht unter das NetzDG. Noch nicht.

Jetzt tut sich was – aber viel zu wenig und viel zu spät

Nun könnte man natürlich sagen: Dann wird es ja Zeit, dass sich was tut. Und es ist gut, dass sich Justizminister Marco Buschmann der Sache nun annimmt, wie es gestern Abend hieß. Larissa würde es so sehen. Und ich beneide sie darum. Denn ich weiß gar nicht, wo ich hin soll mit meinem Entsetzen. Darüber, dass die Entscheider dieser Republik tatsächlich meinen, sie nähmen sich eines neuen Phänomens an. Von dem eben dieser Justizminister noch vor gut einer Woche sagte, es sei nicht so dringlich. Oder dass sie uns das so verkaufen wollen.

Meinen Pessimismus, wie viel das bringen wird. Twitter lässt deutsche Behörden am ausgestreckten Arm verhungern, bei Facebook ist auch noch sehr viel Luft nach oben. Warum sollte Telegram etwas an seiner Einstellung ändern? Die Politik ist gefragt. Sie muss sich ändern. Vor allem ihr Tempo. Denn das, was Telegram und andere nach oben spülen, lässt sich nicht einfach abwaschen.

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