Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Abhärtung im Netz Posten Sie Currywurst-Pommes für ein dickeres Fell
Die hohe Aufregungsbereitschaft im Netz kann nerven – sie lässt sich aber auch therapeutisch einsetzen. Wer sich hier regelmäßig abhärtet, steckt auch im Alltag mehr weg. | Eine Kolumne von Nicole Diekmann
Die ganze Welt wartet auf den Impfstoff. Corona nervt, Corona schränkt uns alle ein (zumindest uns, die wir uns an die Regeln halten), und Corona ist potenziell gefährlich. Im Moment schützt leider nichts vor Ansteckung außer Aufpassen plus Glück. Gegen allzu krasse Dünnhäutigkeit aber ist durchaus schon was auf dem Markt: Facebook, Twitter und andere. Regelmäßige Aufregung und Anfeindungen sind dort garantiert. Hier eine Anleitung für alle, die gern ein dickeres Fell hätten.
Idee Nummer 1: Schreiben Sie über einen innerdeutschen Flug
Nun ist Fliegen ja ohnehin schon verpönt, und Fliegen innerhalb Deutschlands erst recht. Wir haben die Deutsche Bahn, die wiederum verfügt über ein Streckennetz, da gibt es keine Rechtfertigungen mehr für derlei Unternehmungen.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich halte Fridays for Future für keine als Demo getarnte Schulschwänzerei und finde erwachsene Männer, die Greta Thunberg verächtlich machen, weder erwachsen noch männlich. Und Natur mag ich auch. Wenn man aufs Fliegen verzichten kann, sollte man es also auch tun.
Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politik-Berichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf Twitter – wo sie bereits Zehntausende Fans hat. In ihrer Kolumne auf t-online.de filetiert sie politische und gesellschaftliche Aufreger rund ums Internet.
Nun gibt es aber Termine, die muss man wahrnehmen, und da kommen einem der Zugfahrplan und seine Unzuverlässigkeit ab und zu in die Quere. Und außerdem gibt es die Möglichkeit, erst mal nachzufragen, wenn man schon meint, sich in die Angelegenheiten seiner Mitmenschen einmischen zu müssen. So zum Beispiel: Warum bist du geflogen? Gab es keine Zugverbindung?
Aber nein, so läuft das nicht in den sozialen Medien. Es finden sich immer ein paar, die direkt die Keule rausholen und ohne jegliche Details zu kennen dennoch genau wissen, wie es lief und vor allem: warum schief. Nämlich weil man eine egoistische Umweltsau ist oder zu doof, einen ICE zu besteigen. Oder zu faul. Oder zu elitär. Auch findet sich immer jemand, der ungefragt einen Link zur Website der Deutschen Bahn schickt. Um nachzuweisen, dass die existiert.
Idee Nummer 2: Posten Sie was mit Fleisch
So wie ich neulich nach einem langen Arbeitstag. Ich will mich nicht beklagen, aber anmerken: Knapp acht Stunden im Schnitt – ein Wellnesstag sieht anders aus. Also belohnte ich mich anschließend mit Currywurst und Pommes Schranke. Fett, Kohlehydrate, Schärfe, dazu allein genossen vorm Imbiss, ohne mit jemandem reden zu müssen – diese halbe Stunde WAR Wellness.
Ich twitterte ein Foto von meinem Vier-Euro-Abendessen – und wissen Sie was? Die Prophezeiung eines meiner Follower, gleich gäbe es einen Shitstorm, bewahrheitete sich nicht. Auch zu meiner Überraschung.
Denn diese Ausnahme bestätigt nur die Regel: Eigentlich meldet sich in einem solchen Fall zuverlässig ein Rudel Vegetarierinnen und Vegetarier, die nachbohren, wie man Fleischkonsum denn mit dem eigenen Gewissen vereinbaren könne?
Hier meine Antwort: Ich kann super verdrängen. Und ich habe für mich herausgefunden, dass es mich sehr unzufrieden macht und – Achtung – ungenießbar, wenn ich kein Fleisch esse. Ich finde vegetarisch und auch vegan leben beeindruckend konsequent und logisch, wirklich. Ich habe "Tiere essen" gelesen und danach monatelang auf Fleisch und Fisch verzichtet, auf Eier und auf Milch. (Milch trinke ich bis heute in der Hafervariante, denn Kuhmilchverzicht macht mich anders als der auf Fleisch nicht miesepetrig.) Dann aber unterlag der Kopf im Kampf mit dem Bauch. Der wollte Fleisch. Und er bekam es.
Der Twitter-Account hilft bei der Abhärtung
Man kann das blöd finden. Ich kann das sogar verstehen. Kann ich aber auch mit leben. Ich tummle mich seit neun Jahren auf Social Media, und bei mir hat es geklappt: An mir prallt einiges ab. Mehr als vor Einrichtung meines Twitter-Accounts. So wie alles im Leben zwei Seiten hat, so hat es auch die Abhärtung durch die sozialen Netzwerke. Hornhaut an den Füßen, sorry für den unappetitlichen Kontext jetzt mit Essen, hat ja auch ihren Sinn.
Sie ärgern sich drüber und würden es aber gerne ignorieren oder elegant und souverän an sich abperlen lassen, wenn die Kollegin Sie wieder piesackt, jemand Sie offensiv belächelt, weil Sie in den vergangenen Wochen "Sommerhaus der Stars" geguckt haben (Respekt!), oder Ihnen wer blöd kommt, weil Sie ein Auto besitzen und benutzen? Na, dann nix wie los ins Social Web! Abhärtungskur de luxe!
Vielleicht gab es sogar einen Shitstorm wegen meiner Mantaplatte (so sagen wir Profis zu Currywurst-Pommes). Und ich hab ihn nur verpasst. Auch gut. Ich habe Besseres zu tun.