Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Markus Söder Er ist wie besessen
CDU-Chef Merz ist heute zu Besuch bei der CSU-Klausur. Auch dort betont Markus Söder einmal mehr die Brandmauer. Allerdings nicht die zur AfD.
Manche Aussagen hat man schon so oft gehört, dass man sie irgendwann gar nicht mehr hört. Sondern überhört. Weil man sich an ihnen überhört hat. Zum Beispiel, dass die Schule in Deutschland morgens zu früh anfängt (stimmt), Ostwestfälinnen die klügsten, witzigsten, schönsten und bescheidensten Frauen der Republik sind (stimmt auch, an dieser Stelle schöne Grüße an meine Verwandtschaft in Gütersloh), oder dass Böllern nicht irgendwie komisch, sondern ziemlich behämmert ist. Stimmt auch. Oder aber: "Mit uns wird es kein Schwarz-Grün geben."
Zur Person
Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politikberichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf X – wo sie über 120.000 Fans hat. Dort filetiert sie politische und gesellschaftliche Aufreger rund ums Internet. Ihr Buch "Die Shitstorm-Republik" ist überall erhältlich. Bei t-online schreibt sie jeden Mittwoch die Kolumne "Im Netz".
Ein Satz, den Markus Söder in vielen Varianten mittlerweile schon oft gesagt und auch geschrieben hat. Man würde einen Leberschaden riskieren, würde man ein Trinkspiel daraus machen. Wer sich näher mit Söders Social-Media-Accounts befasst, der lernt Dreierlei: Erstens isst Markus Söder gern vor Kameras. Zweitens findet Markus Söder sich total super. Drittens findet Markus Söder, dass die Grünen so circa das Schlimmste seit – sagen wir: Tschernobyl sind.
Besessen von den Grünen
Wer sich ausschließlich auf Grundlage der Postings des bayerischen Ministerpräsidenten über die Grünen informiert, muss vom Super-GAU unter den deutschen im Bundestag vertretenen Parteien ausgehen. Und über immensen Willen verfügen, sich so richtig schlimme Politiker vor seinem inneren Auge auszumalen. Es wirkt, als wäre Söder gebannt von der Faszination des Bösen.
Wie besessen zieht Söder die Brandmauer quasi Tag für Tag, Stück für Stück immer höher. Die Grünen? Laut Söder "wirtschaftlich inkompetent", "Hauptbremser beim Thema Migration". Robert Habeck? "Das Gesicht der wirtschaftlichen Krise". Wäre Söder eine Platte, hätte er einen Sprung.
Etwas zu vehement
Nun kann man ja durchaus skeptisch bis entsetzt auf die Wirtschaftsdaten schauen. Stagnation, das weiß selbst ich als ökonomisch nicht Ausgebildete, ist nur für sehr schwer zu findende Minderheiten ein Grund zur Freude. Es läuft nicht, Habeck ist Wirtschaftsminister, beides lässt sich nicht leugnen. Wie kurz die Kausalkette ist, liegt im Auge des Betrachters, aber sagen wir es mal so: Als Wirtschaftsturbo würde ich Robert Habeck ebenso wenig bezeichnen wie die quälenden Ampeljahre als die blühendste Landschaft unter den Legislaturperioden der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Nur: Womöglich schießt Söder sowohl in Frequenz als auch in Vehemenz ein wenig – schauen Sie, wie zurückhaltend ich formuliere – übers Ziel hinaus. Und auch in der Begründung für die permanente Schwarzmalerei der Grünen. "Wenn die Union Schwarz-Grün propagiert", so sagte er zum Auftakt der CSU-Klausur im Kloster Seeon am Montag, "wird es viele Wähler zu anderen Parteien treiben." Und das würde "zu einem extremen Erstarken" von Kräften wie der FPÖ in Österreich und der AfD in Deutschland führen.
Vorsicht vor österreichischen Zuständen
Moment – FPÖ? Das war doch was? Ach ja, richtig: Die steht womöglich vor einem historischen Durchbruch. Da ist nichts mehr mit Mauer. Der nächste österreichische Kanzler könnte Herbert Kickl heißen. Ein Rechtsextremist. Der soll jetzt jedenfalls eine Regierung bilden. Zwar war die Mauer bei unseren Nachbarn längst nicht mehr so hoch wie hierzulande, wo bislang niemand mit der AfD koalieren will: Die FPÖ saß bereits fünfmal mit in einer Bundesregierung. Aber den Regierungschef stellte sie auch in Zeiten mit weniger radikalem Personal noch nie.
Und warum dann jetzt? Einmal, weil die ÖVP dazu bereit ist. Sie will anscheinend gemeinsame Sache mit der Kickl-FPÖ machen. Das ist ein grundlegender Unterschied zur Situation in Deutschland. So klar, wie es zumindest Markus Söder ist, dass die Grünen für nichts anderes als Bashing infrage kommen, ist es CDU und CSU, dass die AfD ein No-Go ist. Wie lange, kann ich Ihnen nicht sagen, aber Stand jetzt ist das so. Der zweite Grund: Es gibt in Österreich anscheinend keine Alternative mehr dazu, nachdem die Gespräche zwischen ÖVP, SPÖ und Neos gescheitert sind. Die bürgerlichen Parteien haben es nicht geschafft, einen Kompromiss zu schmieden. Es gibt, auch vor dem Hintergrund einer ähnlich schwierigen Haushaltslage wie in Deutschland, keine ausreichend große Schnittmenge für eine stabile Regierung.
Vielleicht müssen die Grünen aber mit an den Tisch
Das könnte eine Warnung sein. Denn wer einigermaßen rechnen kann, und zwar auch damit, wie unberechenbar mittlerweile der deutsche Wähler ist und wie zerfasert das Parteiensystem, der weiß: Einfach dürfte das nicht werden nach der Wahl am 23. Februar.
Nehmen wir mal an, die Union gewinnt. (Falls nicht, dürften übrigens auch Finger auf Söder zeigen und seine Querschüsse zu einem Problem für ihn werden.) Dann wird sie mit anderen Parteien verhandeln müssen. Mit solchen, die die Fünfprozenthürde genommen haben. Und nicht AfD heißen. Und auch nicht BSW. Da bleiben nicht mehr so viele.
Wenn also die Grünen rein rechnerisch mit am Tisch sitzen müssen, wäre es ganz gut, sie im Vorfeld nicht zu oft und zu kategorisch ausgeschlossen zu haben. Weil es nämlich Glaubwürdigkeit kostet, einen Pakt mit denen zu schließen, die man zuvor verteufelt hat. Und der Glaubwürdigkeitsverlust der einen zahlt auf das Konto der anderen ein. Auf das Konto vor allem derjenigen, die nicht mit am Tisch sitzen. Sondern jenseits der Brandmauer.
Söder ist frustriert
Es könnte deshalb ein Trugschluss sein, wenn Alexander Dobrindt, Landesgruppenchef der CSU im Bundestag, Söder sekundiert, indem er sagt: "Wer verhindern will, dass es Entwicklungen wie in Österreich gibt, und wir wollen genau das verhindern, der muss dafür sorgen, dass die Grünen in Deutschland nicht regieren."
Und es könnte ein großes Problem für Friedrich Merz werden, den gemeinsamen (!) Kanzlerkandidaten von CDU und CSU. Aber womöglich nimmt Söder das billigend in Kauf. Mindestens. Womöglich geht es nicht nur um Brandmauern. Sondern auch ums Zündeln – einfach aus dem Frust heraus, wieder nicht Kanzlerkandidat geworden zu sein. Beides ist riskant.
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