Ministerin unter Druck Eine Ministerin mit wenig Interesse am Job
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Die Bildungsministerin steht im Kreuzfeuer der Kritik. Nun muss sich Bettina Stark-Watzinger auch dem Bundestag stellen. Sie wird etwas Ungewöhnliches erleben.
Bettina Stark-Watzinger hat einen undankbaren Job: Das Bildungssystem in Deutschland steckt seit Jahren in einer fetten Krise. "Pisa-Schock" ist ein gängiger Begriff, den wir schon so oft gehört und gelesen haben, dass man ihn gar nicht mehr erklären muss. Das ist ein Skandal. Das Pisa-Problem wäre aber selbst für eine Bildungsministerin mit mehr Interesse am Job, als Stark-Watzinger es hat, schier unmöglich zu lösen. Einem beherzten Eingreifen und dem schon so lange so überfälligen Start von tiefgreifenden Reformen steht der Föderalismus im Weg. Bildung ist Ländersache. Der Bund ist machtlos. Kinder und Jugendliche sind dem ausgeliefert.
Zur Person
Die Fernsehjournalistin Nicole Diekmann kennt man als seriöse Politikberichterstatterin. Ganz anders, nämlich schlagfertig und lustig, erlebt man sie auf der Plattform X – wo sie über 120.000 Fans hat. Dort filetiert sie politische und gesellschaftliche Aufreger rund ums Internet. Ihr Buch "Die Shitstorm-Republik" ist überall erhältlich. In ihrem Podcast "Hopeful News" spricht Diekmann jede Woche mit einem Gast über die schönen, hoffnungsvollen – einfach GUTEN Nachrichten. Bei t-online schreibt sie jeden Mittwoch die Kolumne "Im Netz".
Das ist schlimm, da gibt es kein Vertun. Das ist ein Verbrechen an der Verantwortung einer Gesellschaft an den Jüngeren. Aber Stark-Watzinger kann wenig dafür.
Ein Satz, den die FDP-Politikerin auch gern im Zusammenhang mit der Fördermittel-Affäre hören möchte, die ihr Haus seit über einer Woche erschüttert und zum Rausschmiss einer Staatssekretärin geführt hat. Was war passiert? Am 8. Mai veröffentlichten Hochschullehrer einen offenen Brief, in dem sie sich hinter die pro-palästinensischen Proteste an Universitäten stellten. Die Nahost-Frage ist überall eine sehr heikle, zumal in Deutschland. Solidarität mit Israel, so ist es hier in Deutschland seit Jahrzehnten gute Sitte und steht es auch im aktuellen Koalitionsvertrag der Ampelregierung, ist Staatsräson. Deutschland ist das Land der Täter. Der Holocaust wurde hier erdacht und durchgeführt. Das größte Verbrechen der Menschheit.
Drahtseilakt für Hochschullehrer
Bei den Protesten wurde nun nicht nur völlig legitime Kritik an der in Teilen rechtsextremen Regierung des israelischen Premiers Benjamin Netanjahu und dem Vorgehen von Israels Armee geübt, sondern die Grenze zum Antisemitismus immer wieder gestreift und auch überschritten. Immer wieder griffen Hochschullehrer und -präsidentinnen ein und versuchten den Drahtseilakt zwischen klarer Kante gegen Judenhass, aber auch einem starken Bekenntnis zur Meinungsfreiheit.
Den meisten glückte es, bei manchen ging es schief. Interessanterweise auch in den sozialen Medien, wie im Falle von Geraldine Rauch: Die Präsidentin der Technischen Universität Berlin versah Tweets mit zweifelhafter Bildsprache mit einem "Gefällt mir". Ohne hier weiter in die Details gehen zu wollen, hier ein Tipp: Man fährt in der Regel immer gut damit, nichts zu liken, was ein Hakenkreuz beinhaltet. Das gilt universell, vertrauen Sie mir.
Ein illiberaler Akt einer liberalen Ministerin
Zurück zum Fall Stark-Watzinger. In ihrem Bildungsministerium wurde nach Erscheinen des offenen Briefes eine Prüfung veranlasst, die sich auch auf den Bezug von Fördermitteln für die Unterzeichner des Briefes bezog. Um es deutlicher zu formulieren: Es wurde nachgeschaut, ob man denjenigen, die den ganz klar nicht antisemitischen offenen Brief unterschrieben hatten, nicht die Gelder für ihre Forschung streichen oder zumindest zusammenstreichen könne. Was einen krassen Machtmissbrauch bedeutet hätte, einen ungeheuren Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit. Einen illiberalen Akt – vollzogen unter der Aufsicht einer liberalen Ministerin.
Die aber will von all dem nichts gewusst haben. Verantwortlich soll stattdessen Staatssekretärin Sabine Döring gewesen sein, die Stark-Watzinger am 16. Juni in den einstweiligen Ruhestand versetzte. Interessant daran und äußerst bemerkenswert: Döring postete an einem Sonntagabend Mitte Juni um 20.35 Uhr beim Kurznachrichtendienst X diese Mitteilung: "So wird nun dieser Abschnitt meiner beruflichen Laufbahn ein jähes Ende finden. Stay tuned." Und 13 Minuten später dies: "Habe gerade Anruf bekommen, muss den Tweet löschen."
Eine Affekthandlung vermutlich, von der man halten kann, was man will – die aber vor allem eines zeigt: Döring wollte Aufmerksamkeit. Und die deshalb die These vom Bauernopfer, das die geschasste politische Beamtin darstellt, noch zusätzlich stützt. Denn wer sich einer Schuld bewusst ist, sucht nicht noch die Öffentlichkeit, Döring wird gewusst haben: Was einmal im Netz ist, bleibt. Egal, ob man dann löscht oder nicht.
Jetzt wird ihr zugehört
Zusätzliches Futter für die Annahme, dass Stark-Watzinger sehr wohl von den mehr als fragwürdigen Vorgängen in ihrem Hause wusste (und übrigens eine schlechte Ministerin wäre, wenn sie es nicht tat): Die Initiative "Frag den Staat" hat in Zusammenarbeit mit dem ARD-Magazin "Panorama" auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes E-Mails aus dem Ministerium erhalten, die sich mit dem Vorgang beschäftigen – und veröffentlicht. Sie kursieren nun in den sozialen Netzwerken, sind also für jedermann einsehbar – und setzen Stark-Watzinger weiter unter Druck. Und das ist gut so. Dann können die Stärken von sozialen Netzwerken tatsächlich voll ausgespielt werden: Der Pöbelmob interessiert sich eher selten für Themen rund um Bildung, sodass tatsächlich Lust, Raum und Zeit bleiben, sich in Ruhe alles Veröffentlichte anzusehen, es zu bewerten und zu diskutieren.
Stark-Watzinger muss sich nun heute dem Bundestag stellen. So aufmerksam hat man ihr in ihrer bisherigen Tätigkeit noch nie zugehört. Und das spricht nicht für sie. In keinerlei Hinsicht.
- Eigene Meinung