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"Operation Aluhut": So wollen die Anonymous-Hacker ihre Identität schützen


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Juristischer Trick
So will sich Anonymous gegen Twitter wehren


Aktualisiert am 04.10.2021Lesedauer: 5 Min.
Anonymous: Die Hackergruppe ist dafür bekannt, dass ihre Mitglieder nicht bekannt sind und allenfalls mit Guy Fawkes-Maske auftreten. (Symbolfoto)Vergrößern des Bildes
Anonymous: Die Hackergruppe ist dafür bekannt, dass ihre Mitglieder unerkannt bleiben und allenfalls mit Guy-Fawkes-Maske auftreten. (Symbolfoto) (Quelle: imago-images-bilder)

"Anonymous"-Mitglieder schützen ihre Identität schon immer und sind in Gefahr, weil Attila Hildmann Kopfgeld ausgesetzt hat. Jetzt wollen sie klagen – aber das geht anonym nicht. Die Lösung klingt zunächst aberwitzig.

Das Hackerkollektiv Anonymous kämpft um die Freigabe seines Twitteraccounts und zieht dafür auch den Gang vor Gericht in Betracht. Das erfuhr t-online von der Gruppe und von einem Anwalt, der die Gruppe vertritt.

Twitter hatte den Account @AnonNewsDE mit 100.000 Followern gesperrt, nachdem dort brisante Veröffentlichungen über Attila Hildmann angekündigt worden waren. Der Kochbuchautor verbreitet von der Türkei aus Hakenkreuzbilder und antisemitische Hasspostings und wird von deutschen Behörden wegen Volksverhetzung gesucht. Anonymous hatte die Daten nicht selbst veröffentlichen wollen, sondern angekündigt, sie Behörden und ausgewählten Pressevertretern zur Verfügung zu stellen.

Anonymous ließ Twitter abmahnen

Die Sperre hatte viel Unverständnis ausgelöst. Die Aktion von Anonymous ist Teil der #OpTinfoil (Operation Aluhut), mit der Anonymous seit Monaten Licht in Strukturen und Arbeitsweisen der Verschwörungsideologen-Szene bringt. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat angekündigt, den Informationen zu Hildmann nachzugehen. Unter anderem geht es auch darum, wie ein Haftbefehl an ihn durchgestochen wurde.

Twitter hat den Account trotz einer zwischenzeitlichen anwaltlichen Abmahnung zum Ablauf der Frist am 24. September nicht freigegeben. Deshalb geht es nun um ein Eilverfahren und eine einstweilige Verfügung, die Twitter dazu zwingen soll.

Dabei steht aber eine Frage im Raum: Gibt es für die anonyme Gruppe die Möglichkeit, ihr Recht vor deutschen Gerichten einzuklagen? Das ist eigentlich ein Problem. Ein renommierter Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz, der Anonymous vertritt, sagt: "Twitter denkt vielleicht, Anonymous sei rechtlos gestellt, und Twitter bräuchte nicht zu handeln."

Es gilt nämlich: Bei einer Klage muss der Name des Klägers genannt werden, anonyme "John Doe"-Verfahren wie in den USA gibt es in Deutschland nicht. Der Anwalt sagt aber: Es gibt auch ein Recht auf Anonymität im Netz. "Was ist das wert, wenn sich damit im Falle einer Streitigkeit nichts erreichen lässt?" Im konkreten Fall hat der wütende Hildmann sogar ein Kopfgeld ausgesetzt, es gibt eine potenzielle Gefährdungslage für an Anonymous Beteiligte und damit schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen. "Solchen Schwierigkeiten muss das Verfahrensrecht Rechnung tragen", meint der Anwalt von Anonymous.

Um die Namen nicht preiszugeben und dennoch gegen die Sperre kämpfen zu können, könnte es zu einer kuriosen Situation kommen: Die geheimnisumwitterte Gruppe aus dem Netz macht sich eine mehr als 100 Jahre alte Regelung im Bürgerlichen Gesetzbuch zunutze. Sie tritt als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) auf: Eine solche Gesellschaft liegt vor, wenn sich Personen zur Ausübung eines rechtlichen Zwecks zusammengeschlossen haben. Das gilt für Fahrgemeinschaften, das gilt für WGs. Registriert sein müssen GbRs nicht.

Zwei Neu-Mitglieder als Kläger?

Auch die Anonymous GbR könnte als GbR klagen, es bräuchte aber echte Menschen, die sie nach außen vertreten und zum Beispiel eine Prozessvollmacht unterschreiben, die im Original dem Gericht vorgelegt werden kann. Dazu müssten sich allerdings nicht bisherige Aktivisten outen, so der Plan. "Zwei mutige Menschen könnten der GbR beitreten und dann dem Anwalt Prozessvollmacht geben, ohne offenzulegen, wer die anderen Gesellschafter sind." Das Prozessrecht müsse der Anonymität Rechnung tragen können. "Man wird sehen, ob Gerichte da mitgehen." Der Fall könnte Rechtsgeschichte schreiben.

Bei dem Kollektiv gibt es offenbar noch keine konkrete Vorstellung, welche Personen dazu namentlich neue "Anonymous"-Mitglieder werden könnten. Auf Nachfrage von t-online wurde gewitzelt: "Es gibt ja einige Politiker, die demnächst weniger zu tun haben und sich hier um Rechte im Netz verdient machen könnten." Aber auch Prominente sind vorstellbar: Jan Böhmermann als Gesellschafter der Anonymous GbR gegen Twitter.

Die Möglichkeit, etwa eine Gruppe wie den "Chaos Computer Club" oder "Reporter ohne Grenzen" für sich klagen zu lassen, gibt es nicht, so der Anwalt. Der einfache Grund: Mit der Twitter-Nutzung besteht ein Vertragsverhältnis zwischen Nutzer und Anbieter – und Verträge können nicht ohne Zustimmung des Vertragspartners übertragen werden.

Vor Sperrung nicht angehört

Die vertraglichen Rechte von Anonymous sieht der Anwalt durch Twitter klar verletzt. Ein Twitter-Sprecher hatte t-online gesagt, der Account habe gegen drei Richtlinien der Plattform verstoßen – die Richtlinie zur Verbreitung von gehacktem Material, die Richtlinie zu privaten Informationen und die Richtlinie zu Plattformmanipulation und Spam.

Nur: Zum einen sei Anonymous nicht zuvor angehört worden, wie das kürzlich der Bundesgerichtshof sozialen Netzwerken aufgegeben hat (III ZR 179/20). Zum anderen habe Twitter @AnonNewsDe mitgeteilt, dass die beiden Tweets zum Fall Hildmann gegen keine Richtlinie verstoßen haben. "Damit ist völlig unklar, wo Twitter einen Verstoß gesehen hat. Die beanstandeten Tweets sind in Ordnung, aber der Account wird gesperrt – ein unvereinbarer Widerspruch."

Twitter habe natürlich das Recht auf Regeln und deren Durchsetzung. "Aber wenn es sich von einem Vertragspartner trennt, muss es auch sagen, worin der Verstoß lag. Das Vorgehen von Twitter ist kafkaesk."

Ein Hack liege auch in dem Fall gar nicht vor: Anonymous waren von Kai E., einem engen Vertrauten und Administrator von Hildmann, E-Mails, Nachrichten und Dateien übergeben worden, die E. für Hildmann verwaltet hatte. Anonymous selbst hatte nach der Sperre in einem Blogeintrag kritisch gefragt: "Wie viel Macht über Meinungspluralismus wollen wir den Unternehmen wie Twitter zugestehen, die ihre eigenen Richtlinien mal sehr weit, mal sehr eng auslegen?"

Aus Sicht des Anwalts wirft das Vorgehen grundsätzliche Fragen auf: Anonymous habe nicht anders gehandelt als eine internationale Journalistengruppe aktuell bei den "Pandora Papers", die fragwürdige Geschäfte unter anderem von Regierungspolitikern offenlegen. "Der Fall Anonymous wirft die grundlegende Frage auf, ob soziale Netzwerke Accounts nur deshalb sperren dürfen, weil darin von Whistleblowern, Journalisten oder Gruppen wie Anonymous darauf hingewiesen wird, man habe brisante Informationen erhalten und würde diese weitergegeben oder veröffentlichen."

Netzwerke müssen schnell entsperren

In einem Blogbeitrag der Anwaltskanzlei Löffel Abrar, die selbst von einer Sperrung betroffen war, heißt es, dass Twitter auch auf das massenhafte Melden völlig harmloser Tweets reagiere und dann die Opfer des Meldemissbrauchs sperre. Auch Anonymous hatte berichtet, pausenlos gemeldet worden zu sein. Nach der Sperrung hatten andere Accounts triumphierende Postings abgeschickt.

Nach solchen Sperren gehen immer wieder Nutzer gegen Netzwerke vor – und das durchaus mit Erfolg. Wenn Facebook, Twitter & Co. nicht bereits auf eine Abmahnung reagieren, dann meist innerhalb von ein oder zwei Tagen nach einer einstweiligen Verfügung.

Sonst kann es teuer werden: YouTube wurde kürzlich vom Oberlandesgericht Dresden mit 100.000 Euro Ordnungsgeld bestraft, weil dort trotz entsprechender Entscheidung ein gelöschtes Video wochenlang nicht wieder online gestellt worden war (Az. 4 W 396/21).

Verwendete Quellen
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