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Anwalt Joachim Steinhöfel: "Für Alu-Hüte kämpfe ich nicht"


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Corona-Verschwörungstheorien
Anwalt Steinhöfel: "Für Alu-Hüte kämpfe ich nicht"

  • Lars Wienand
InterviewVon Lars Wienand

Aktualisiert am 29.04.2020Lesedauer: 7 Min.
Joachim Steinhöfel: Der Hamburger Anwalt für Medien- und Wettbewerbsrecht wird oft gerufen, wenn Facebook & Co. löschen oder sperren.Vergrößern des Bildes
Joachim Steinhöfel: Der Hamburger Anwalt für Medien- und Wettbewerbsrecht wird oft gerufen, wenn Facebook & Co. löschen oder sperren. (Quelle: Markus Hibbeler)
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Wenn Facebook & Co. Beiträge löschen, dann wird er oft gerufen: Anwalt Joachim Steinhöfel positioniert sich als Deutschlands Vorzeigekämpfer für Meinungsfreiheit. In der Corona-Krise bekommt er abwegige Anfragen.

Es war doch ein für die "für die Menschheit essentielles" Posting, und Facebook hat es trotzdem gelöscht. Auf einer deutschsprachigen Seite für "alternative" Heilmethoden war die Empörung groß und der Ruf um Hilfe wurde laut: Facebook hatte den Beitrag entfernt über ein Desinfektionsmittel als mögliches Corona-Medikament. Die Fans sollen spenden für eine Klage gegen diese "faschistoide Löschung" mit Joachim Steinhöfel.

Der Hamburger Anwalt für Medien- und Wettbewerbsrecht wird oft gerufen, wenn Facebook & Co. löschen oder sperren. Den Kampf für auch drastische Meinungsäußerung führt er meist, aber nicht nur, für Mandanten aus dem konservativen oder auch neurechten Lager.

Von dem aktuellen Fall auf der "Heiler"-Seite erfuhr der Jurist erst von t-online.de. Im Interview beklagt er einerseits, dass die Netzwerke in der Corona-Krise aus Unsicherheit noch mehr zulässige Beiträge löschten und wichtige Debatten einschränkten. Andererseits seien viele Löschungen aktuell auch berechtigt und nachvollziehbar. Bei ihm melden sich nun viele Anhänger abwegiger und rechtswidriger Theorien.

Bei dem gelöschten Posting auf der vorgeblichen Heiler-Seite ging es um eine angelaufene Studie in Kolumbien, getragen von einer "Kirche" in Florida. Dieser "Kirche" haben US-Behörden gerade den Verkauf ihrer Scharlatan-Medizin untersagt. Dabei handelt es sich um eine Art Chlorbleiche: Mittel unter Namen wie MMS und CDL, vor denen Gesundheitsbehörden in Europa und den USA seit Jahren warnen.

In der Vergangenheit hatte Facebook ganze Gruppen und Seiten gelöscht, in denen sich Anhänger über den Einsatz auch an Kindern austauschten. Anhänger des Mittels haben aktuell Auftrieb: US-Präsident Donald Trump hat laut darüber nachgedacht, ob das Injizieren oder Einführen solcher Mittel nicht eine Möglichkeit gegen das Coronavirus sein könnte.

Herr Steinhöfel, würden Sie gegen die Löschung eines Beitrags kämpfen, wenn da die Einnahme von Chlorbleiche als mögliches Mittel gegen das Coronavirus dargestellt wird?

Joachim Steinhöfel: Das ist nicht fragwürdig, sondern Bullshit. Wenn einer sagt, trinken Sie Chlorbleiche und morgen sind Sie gesund, dann muss das natürlich gelöscht werden. Das ist nichts, was man ernsthaft diskutieren kann. Ich habe mir den konkreten Fall nicht bis in jedes Detail angesehen, aber wenn da, sobald so etwas entfernt wird, von "faschistoider Willkür" die Rede ist, dann sagt der erste Eindruck schon viel. Da denkt man schon: alles klar, der Aluhut regiert.

Das entfernte Posting wurde als "für die Menschheit essentiell" bezeichnet, und Sie wurden als Anwalt für die Klage gegen das Zensieren des Beitrags genannt. Mehr als 5.000 Euro Spenden für die Klagen wurden gesammelt.

Wenn ich so was erfahre und das ohne meine Zustimmung erfolgt, gehe ich sofort dagegen vor. Ich finde das unglaublich und es dürfte sogar strafbar sein. Ich habe im konkreten Fall auf dem kleinen Dienstweg meine Kontakte bei Facebook angeschrieben und dort hat man schnell reagiert und den Post sofort gelöscht.

Holt Sie jetzt ein, dass Sie in manchen Kreisen einen fast legendären Ruf als der Kämpfer gegen Löschungen erworben haben?

Wir haben in Deutschland die Rechtsprechung etabliert, wonach soziale Medien legitime Inhalte nicht nach Gutsherrenart löschen dürfen. Das war für die Meinungsfreiheit im Netz von großer Bedeutung, und deshalb waren internationale Medien bei mir. Ich bin für viele Menschen offenbar derjenige, der vermeintlich alles wieder freischalten kann bei Facebook, Twitter und YouTube. Das ist auch so, wenn die Inhalte legal sind, aber natürlich nicht, wenn sie Straftatbestände erfüllen. Und ich nehme auch keine Mandate an, wo die Leute erkennbar verschwörungstheoretischen Unsinn verbreiten. Dafür stehen wir nicht zur Verfügung.

Und das kommt jetzt häufiger vor?

Seit Beginn der Corona-Krise häufen sich Mandatsanfragen und Mails, bei denen es um Löschungen von Inhalten geht, die sich mit der Pandemie befassen. Da brauchen Sie nur auf Facebook und YouTube zu gehen, da treffen Sie schnell auf Inhalte, die auch der Hobbyvirologe schnell als greifbaren Unsinn entlarven kann. Und die laufen auch bei mir an, wenn sie gelöscht werden. Ich kann das nicht alles bis ins Letzte prüfen. Aber man merkt ja schnell: Wenn ein Zusammenhang zwischen dem Ausbruch der Pandemie und dem Erwerb einer Biotech-Firma durch Bill Gates im letzten Herbst hergestellt wird, lesen Sie nicht weiter.

Und so etwas wird viel gelöscht.

Wenn Gefahr für Leib und Leben begründet werden durch Äußerungen, wenn Falschmeldungen über medizinische Behandlungen verbreitet werden, dann darf oder muss man das natürlich löschen, da könnten auch Straftatbestände erfüllt sein. Die Meinungsfreiheit ist nicht absolut und sie ist keine Befugnis, jemand anderem Schaden zuzufügen, der zu Krankheit oder Tod führen kann.

Können Sie das immer beurteilen?

Ich als Anwalt kann das nur juristisch prüfen. Und dann habe ich natürlich eine staatsbürgerliche Verantwortung. Wenn ich der Meinung bin, dass man etwas zwar sagen darf, aber ich selbst bin überzeugt, dass es Menschen gefährdet, dann würde ich auch für so einen Inhalt nicht kämpfen. Aber ich persönlich würde auch keinen Pädophilen oder Islamisten oder Holocaustleugner vertreten, obwohl auch die einen Anwalt haben müssen. Das garantiert unsere Rechtsordnung richtigerweise.

Keine Meinungsfreiheit für Aluhüte und Medizinschwurbler?

Da muss man sorgfältig abwägen. Wenn man einerseits für die Meinungsfreiheit eintritt, dann kann man nicht sagen, das gefällt mir politisch nicht, das mache ich nicht. Wenn es erkennbar wirr ist nach kursorischer Prüfung, dann übernehme ich die Mandate nicht. Wenn für mich als Nichtmediziner etwas erkennbarer Unsinn zu sein scheint, nehme ich es ebenfalls nicht an. Wobei in einem Fall ein Ersteller von einem gelöschten Video unbedingt wollte, dass ich das prüfe. Wenn ihm meine Kurzeinschätzung nicht genügt, ich abrate, er das aber trotzdem juristisch ausgearbeitet haben möchte, dann bekommt er das. Auch wenn ich vorher gesagt habe, er solle sich das Geld besser sparen. Beim Geld hört es auch bei den meisten auf.

Wie sieht das aus?

Viele Menschen glauben, man könne von morgens bis abends pro bono arbeiten und ihren Fall "mal eben kurz" klären. Wer einmal gesehen hat, wie ein 800-Seiten-Schriftsatz von Facebook aussieht, den man zerpflücken muss, erkennt, dass das nicht geht. Der Arbeitsaufwand ist teilweise sehr hoch. Das hat dazu geführt, dass wir für eine Mandatsübernahme eine Mindestpauschale von 1.000 Euro verlangen. Ich kann nicht die kostenlose öffentliche Stelle zur Abhilfe von massenhaften Verstößen der IT-Riesen sein.

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Massenhafte Verstöße?

Das Löschen, die digitale Massenexekution, wie ich das martialisch nenne, hat zugenommen in letzter Zeit. Es gibt eine große Zahl an Löschungen, die erkennbar unter keinen rechtlichen Umständen haltbar sind. In der Corona-Krise herrscht da offenbar große Verunsicherung bei den Netzwerken, wie sie damit umgehen sollen. Die schwimmen, wenn Leute die Gefahr dieses Virus in Frage stellen. Sie wollen auf Nummer sicher gehen und löschen oft leichtfertig, was nicht mit den Positionen der täglich in den Medien auftauchenden RKI, Drosten und Kekulé übereinstimmt. Dabei kommt es zu massenhaft Übergriffen in legitime Inhalte hinein wie in den Beitrag von Prof. Homburg.

... ein Finanzwissenschaftler aus Hannover, der aus der Reproduktionszahl von 1 zum Zeitpunkt des Lockdowns den umstrittenen Schluss gezogen hat, dass der Lockdown unnötig gewesen sei. Ein Interview mit ihm war laut seiner Gesprächspartnerin gesperrt.*

Correctiv: Keine Sperrung*
Correctiv hat nach Angaben von Faktencheckerin Alice Echtermann keinen Beitrag mit Prof. Homburg gesperrt. Am 22. April sei mit einem Faktencheck ein Beitrag mit Homburg vom 17. April als "teilweise falsch" bewertet worden, so Echtermann auf Anfrage. Seither wird auf Facebook ein entsprechender Hinweis gezeigt, der auch beim Teilen warnt. Der Beitrag sei aber nicht "gesperrt" worden. Auch Facebook erklärt, der Beitrag sei weiterhin verfügbar.

Kommen Sie mir nicht mit dem Begriff "umstritten". Das fungiert ja heute als Begründungssubstitut. Was ist denn aktuell nicht "umstritten"? Welche Klarheit haben wir in welchem Bereich, abgesehen, dass das Virus viel gefährlicher als Fußpilz ist. Inbesondere in einer Zeit, wo schwerwiegende Eingriffe in die Grundrechte stattfinden, sind "Diskussionsorgien" wichtiger denn je, sie sind das Wesen eines freien, demokratischen Rechtsstaats. Man kann eine Einschätzung teilen oder man lässt es. Es ist nicht haltbar, dass ein Beitrag mit einem Link aufs Robert Koch-Institut gesperrt wird*, in dem Prof. Homburg Thesen aufstellte, die nicht jeder teilt. Auch manche Entscheidungen der Bundes- oder Landesregierungen sind hochproblematisch und wurden in den vergangenen zwei Wochen mehrfach kassiert. Die Debatte muss erlaubt sein, gerade jetzt. Renommierte Wissenschaftler zu stigmatisieren, weil sie nicht auf der von Staats wegen verkündeten Virologenlinie sind, ist ein Unding.

Eine seriöse Quelle zu verlinken heißt aber nicht, dass sie nicht von einem Nutzer völlig falsch dargestellt sein könnte. Gelöscht oder gesperrt wird ja nicht wegen des Links zum Robert Koch-Institut.

Wenn ein rechtswidriger Inhalt geteilt wird, schützt natürlich auch der Link zum Robert Koch-Institut nicht. Denn niemand auf diesem Planeten kann sich auf den Standpunkt stellen, dass er das Recht hat, etwas belegbar Falsches zu verbreiten. Darauf existiert kein Rechtsanspruch. Fordert jemand auf, nehmt die Schutzmasken ab, umarmt Euch, demonstriert, das wäre möglicherweise schon strafbar. Aber um solche Sachen geht es hier nicht, hier liegt der Fall ganz anders.

Wie liegt der Fall hier?

Hier wird in den politischen Meinungskampf eingegriffen. Und das, weil jemand etwas falsch findet, eine bestimmte eigene, sachlich begründete Wertung vornimmt. Wenn jemand Zahlen interpretiert, so wie Homburg das gemacht hat, dann kann auf keinen Fall der Faktenchecker kommen und sagen, ich bin aber anderer Meinung, ich sperre das. Das ist ein Eingriff in die Meinungsfreiheit, und der ist in Deutschland nicht erlaubt. Und ich bezweifele auch, dass die virologische Expertise ausgerechnet bei Correctiv so weit geht, dass es hinzunehmen ist, dass diese umstrittene Einrichtung (ich nehme Ihren Terminus mal auf) mit der Macht des Monopolisten Facebook in das Grundrecht der Meinungsfreiheit hineinredigiert.

Correctiv ist ein als gemeinnützig anerkanntes Recherchebüro, das in Deutschland neben dpa für Facebook als Fakten-Checker tätig ist und Beiträge bewertet. Mit "Tichys Einblick" haben Sie eine Klage gegen eine Bewertung von Correctiv am Landgericht Mannheim verloren.

Und gehen gegebenenfalls auch bis zum Verfassungsgericht. In der Sache unterstützen unsere Position in umfangreichen wissenschaftlichen Veröffentlichungen zwei renommierte Rechtswissenschaftler, Prof. Karl-Heinz Ladeur, der für Google die Verfassungsbeschwerde zum Netzwerkdurchsetzungsgesetz geschrieben hatte, und Prof. Alexander Peukert, renommiert auch als Sachverständiger im Rechtsausschuss des Bundestags. Das Landgericht hat es als legitim angesehen, dass ein Faktenchecker eine Meinungsäußerung als "falsch" bewerten darf. Das ist ein kolossales Missverständnis unserer Grundrechte. Tatsachen oder Fakten können falsch sein. Meinungen nie, die sind grundsätzlich von der von der Verfassung garantierten Meinungsfreiheit gedeckt.

Kommen wir wieder zur aktuellen Situation. Haben Sie auch Verständnis für die Netzwerke? Die Menschen haben viel Zeit, und es sind viele Falschinformationen unterwegs.

Ich sage nicht, Facebook & Co. haben es leicht. Das ist eine wahnsinnige Herausforderung aktuell, die Seite der Netzwerke muss man auch sehen. Aber das ist deren Geschäftsmodell, sie verdienen damit Milliarden. Dann muss man eben auch hinreichend geschultes Personal beschäftigen um den Risiken des eigenen Geschäftsmodells zu genügen. Die Netzwerke waren personell noch nie hinreichend ausgestattet. Jetzt wird das viel stärker sichtbar, weil massenhaft seriöse Debatten über die Maßnahmen und insbesondere die Grundrechtseingriffe en Masse exekutiert werden.

*Der Text wurde mit der Erklärung von Correctiv und Facebook ergänzt.

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