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Verlage schließen Deal mit Facebook News: "Facebook sitzt am längeren Hebel"


Deal mit Verlegern
Darum will Facebook jetzt für Nachrichten bezahlen

InterviewVon Laura Stresing

25.05.2021Lesedauer: 7 Min.
Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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"Bild"-Nachrichten bei Facebook: Der Axel-Springer-Verlag zählte zu den schärfsten Kritikern von Facebook. Jetzt wollen beide Konzerne kooperieren.Vergrößern des Bildes
"Bild"-Nachrichten bei Facebook: Der Axel-Springer-Verlag zählte zu den schärfsten Kritikern von Facebook. Jetzt wollen beide Konzerne kooperieren. (Quelle: t-online)

Viele deutsche Medien pflegen eine Hassliebe zu Facebook: Das soziale Netzwerk sorgt für Reichweite und für Einnahmen. Doch taugt es auch als verlässlicher Partner? Ein Gespräch mit dem Autor des Buchs "Die Macht der Plattformen".

Falschmeldungen, Hasskommentare und Datenlecks: Facebook bietet regelmäßig Angriffsfläche für Kritik. Und die deutschen Medien sparen normalerweise nicht damit. Zum Start des neuen Nachrichtenangebots "Facebook News" in Deutschland wollen viele Verlage trotzdem mit dem US-Konzern kooperieren. Dabei geht es wie so oft ums Geld. Denn das weltweit größte soziale Netzwerk konkurriert mit den Medienhäusern um Werbegelder. Warum will Facebook die Einnahmen jetzt auf einmal teilen?

Der Netztheoretiker und Autor des Buchs "Die Macht der Plattformen" Michael Seemann erklärt im Interview, worum es in dem Deal geht – und worauf es wohl hinaus läuft, wenn sich Medien mit einem der mächtigsten Konzerne der Welt einlassen.

Kürzlich ist das neue Nachrichtenangebot "Facebook News" gestartet. Die Medien, die dort vertreten sind, werden von dem US-Konzern für die Inhalte entlohnt. Sogar der "Bild"-Zeitungsverlag Axel Springer hat sich auf den Deal eingelassen. Das hat viele Beobachter doch sehr überrascht. Was verrät uns dieser Vorgang über die Macht der Plattformen?

Es gab schon immer ein gewisses Konkurrenzverhältnis zwischen den großen Internetplattformen und den Presseverlagen. Bei diesen Konflikten ging es eigentlich immer um die Frage: Wer bekommt welche Leistungen von wem und wie viel soll dafür bezahlt werden? Die Verlage haben immer darauf gepocht, dafür bezahlt zu werden, dass ihre Inhalte bei Google und Facebook angezeigt werden. Die Plattformen wiederum haben damit argumentiert, dass die Verlage von der Sichtbarkeit profitieren.

Jetzt ist Facebook augenscheinlich eingeknickt und hat das Scheckbuch gezückt. Was steckt dahinter?

Oberflächlich könnte man tatsächlich denken, dass sich die Verlage durchgesetzt haben. Facebook verpflichtet sich jetzt dazu, für die Inhalte zu bezahlen. Ich glaube aber, dieser Eindruck täuscht. Facebook fährt da eine ganz ausgefeilte Strategie, die man zum Teil schon von Google kennt. Auf der einen Seite verteilen sie ein bisschen Geld und hoffen, damit die Presse ruhigzustellen. Gleichzeitig schaffen sie ein neues Abhängigkeitsverhältnis, das sich langfristig sogar noch besser ausbeuten lässt.

Wie das?

Die Verlage sind zunehmend abhängig von Plattformen wie Facebook, wie wir in der Vergangenheit gesehen haben. Einige Onlinemedien wie Buzzfeed oder Upworthy sind sogar erst durch Facebook groß geworden – ihr ganzes Geschäftsmodell basierte auf der Viralität der Inhalte im Facebook-Newsfeed. Als Facebook 2017 seinen Algorithmus angepasst hat und virale Nachrichteninhalte plötzlich nicht mehr so prominent zu sehen waren, wurden die ganz schön aus der Bahn geworfen. Da hat sich Facebook in vielen Redaktionen ziemlich unbeliebt gemacht.

Wenn es Facebook jetzt gelingt, durch Anzeigen oder sogar Bezahlschranken innerhalb der Plattform einen stetigen Einnahmestrom für die Verlage zu generieren, dann schafft das ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis, das weit über das reine Anzeigen von Links hinausgeht.

Indem der Konzern künftig Geld statt Klicks verteilt, kann er seine Machtposition behaupten oder sogar ausbauen. Ist es das, was Sie befürchten?

So in etwa. Kurzfristig sieht es so aus, als ob sich Springer durchgesetzt hätte und jetzt seine "Link-Dividende" einkassieren kann. Aber langfristig wird sich daraus eine Abhängigkeit ergeben, bei der Facebook am längeren Hebel sitzt und als Besitzer der Infrastruktur seine Bedingungen diktieren kann. Das wird ähnlich laufen wie bei Apple im App Store, wo der Betreiber 30 Prozent von den Einnahmen einkassiert, ohne etwas dafür zu tun.

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Gibt es einen Weg, sich mit Facebook zu arrangieren, ohne dieses Risiko einzugehen?

Das ist eine gute Frage. Die Abhängigkeit ist natürlich größer, je weniger alternative Zugänge zu seinem Publikum oder zu den Finanzierungsquellen man hat. Ich glaube, den Verlagen ist sehr wohl bewusst, dass sie Facebook nur als einen zusätzlichen Ausspiel- beziehungsweise Einnahmekanal unterhalten dürfen. Man muss die Abhängigkeit sorgfältig austarieren, indem man sich auf mehrere Standbeine stellt.

Die Frage ist allerdings, wie mächtig Facebook wiederum bei den Nutzerinnen und Nutzern wird. Schon heute gilt das Netzwerk für viele Menschen als erste Anlaufstelle, wenn sie sich informieren wollen. Wenn es Facebook gelingt, zur allgemeinen Infrastruktur für News zu werden, dann haben die Verlage verloren. Dann hätte Facebook die Verbindung zur Leserschaft sozusagen komplett in der eigenen Tasche und könnte jegliches Lösegeld verlangen.

Umgekehrt besteht doch aber auch ein Abhängigkeitsverhältnis: Facebook braucht die Inhalte, um sich für Nutzer interessant zu machen. Wieso sollten Inhalteanbieter diese Macht nicht auch ausspielen können?

Natürlich gibt es da eine wechselseitige Abhängigkeit. Der Unterschied ist aber, dass Facebook über eine riesengroße Öffentlichkeit verfügt, über die der Konzern als Gatekeeper ganz alleine bestimmen kann. Auf der anderen Seite haben wir es mit einer verstreuten Inhaltelandschaft zu tun. Das heißt: Während das soziale Netzwerk im Zweifel auf den ein oder anderen Verlag verzichten kann, gilt das umgekehrt nicht. Aus der Sicht jedes einzelnen Verlages entsteht daraus ein Mächteungleichgewicht und Facebook kann das ausnutzen. Eine strategische Option wäre hier offensichtlich für die Verlage eine Art Kartell zu bilden. Das ist natürlich nicht schön. Aber letztendlich wäre das ihre beste Handelsoption.

Hier spreche ich ausschließlich über die strategischen Interessen der Presseverlage. Im Interesse der Nutzerinnen und Nutzer und der Öffentlichkeit ist das natürlich nicht.

Der Kulturwissenschaftler Michael Seemann (@mspro) ist unter anderem bekannt für seinen Blog "CRTL-Verlust", in dem er seit 2010 über den Verlust der Kontrolle über die Daten im Internet schreibt. Seine Thesen hat er im Oktober 2014 auch als Buch veröffentlicht: "Das neue Spiel, Strategien für die Welt nach dem digitalen Kontrollverlust". Im Mai 2021 ist sein neues Buch "Die Macht der Plattformen – Politik in Zeiten der Internetgiganten" beim Christoph-Links-Verlag erschienen.

Wie stellen Sie sich das vor?

Es gibt dafür sogar ein schönes historisches Beispiel aus der Musikindustrie: Nach dem Napster-Schock (die ehemalige Musiktauschbörse Napster wurde 2001 aufgrund der urheberrechtlichen Probleme geschlossen, Anm. d. Redaktion) galt der iTunes Store als Hoffnungsträger der Musikindustrie. Steve Jobs konnte den Musikverlagen damals die Bedingungen diktieren. Das konnte er deswegen machen, weil Apple durch den iPod den Zugang zu den Kunden hatte – und weil die Musikverlage gegeneinander gearbeitet haben.

Bei Spotify war das anders. Da haben die Musikverlage bereits im Vorfeld angefangen, miteinander zu kooperieren. Sie sind dann als kollektiver Akteur aufgetreten und haben Spotify nur nicht-exklusive Lizenzen gewährt. Das heißt, alle anderen Streamingdienste haben mehr oder weniger das gleiche Angebot erhalten. Das hat Spotify in eine gewisse prekäre Lage versetzt und von Anfang an Konkurrenzdruck erzeugt.

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Die Verlage könnten gegenüber Facebook ebenfalls als kollektiver Akteur die Kontrolle über die gemeinsame Ressource übernehmen und ihr Netzwerk als Pfund in die Waagschale werfen.

Vor ein paar Jahren noch hat Facebook Abstand genommen vom Nachrichtengeschäft. Die Plattform wollte weniger politisch sein, dafür mehr Privates zeigen. Woher kommt dieser Sinneswandel, jetzt doch einen Nachrichtenfeed zu produzieren – der auch noch Geld kostet?

Ich finde das gar nicht so unlogisch. Diese Entscheidung, den Algorithmus zu ändern, war aus meiner Sicht eine Art von Panikreaktion auf die Präsidentschaftswahl von Donald Trump, die ja auch ganz stark auf die angebliche Beförderung von "Fake News" durch den Facebook-Algorithmus geschoben wurde. Das hat Facebook wohl dazu veranlasst zu sagen: Okay, wir müssen den Newsfeed entschärfen. Der darf nicht so viral sein. Wir sollten stattdessen wieder mehr lokale Community-Strukturen fördern.

Im Nachhinein muss man ganz klar sagen, dass das eine Kurzschlussreaktion war. Im Endeffekt hat es nämlich dazu geführt, dass die Facebook-Gruppen an Einfluss gewonnen haben und mindestens genauso toxisch geworden sind. Jetzt kommen neue Bedrohungen aus den Gruppen heraus, die "Fake News" in einem wahnsinnigen Tempo weiterverbreiten. Die haben vielleicht eine andere Sozialdynamik, sind aber im Endeffekt auch nicht besser.

Deshalb kann ich mir gut vorstellen, dass Facebook mit seinem Strategiewechsel jetzt quasi Wiedergutmachung gegenüber den Verlagen leisten will, weil die zum Teil sehr unter dem Reichweitenverlust gelitten haben.

Bei "Facebook News" sollen nur handverlesene journalistische Inhalte vorkommen. Anders als bisher gibt es also eine Art von Qualitätskontrolle. Das ist doch schon mal ein Fortschritt im Kampf gegen "Fake News", oder?

Ich sehe das Ganze nicht besonders positiv. Dieser neue Facebook-Newsfeed bedeutet letztendlich eine positive Diskriminierung von kommerziellen Inhalteanbietern. Das heißt, kommerzielle Informationsangebote kriegen einerseits Gelder zugeteilt und andererseits bekommen sie eine höhere Sichtbarkeit. Und das diskriminiert natürlich umgekehrt alle nichtkommerziellen Inhalteanbieter, also kleine Blogs, irgendwelche Vereine oder NGOs, die dadurch weniger sichtbar werden.

Insofern bedeutet dieser neue Facebook-Newsfeed einen gewissen Rückschritt in der Demokratisierung der Öffentlichkeit, ohne dass er aus meiner Sicht eine echte Lösung für das Problem mit Falschinformationen im Netz bietet. Nur weil ein Angebot kommerziell arbeitet, ist das schließlich noch lange kein Qualitätskriterium.

Natürlich gibt es eine ganze Menge Blogs, die Fake News verbreiten. Aber die meisten sind keine Fake-News-Schleudern. Auf der anderen Seite hat man mit Axel Springer einen Verlag dabei, der wirklich am laufenden Band Falschnachrichten produziert. Das tut der Qualität des Facebook-Newsfeeds aus meiner Sicht nicht unbedingt gut.

Es ist natürlich die Frage, was da noch alles passiert. Vermutlich ist der Nachrichtenfeed nur ein Teil von einer größeren Strategieänderung. Vielleicht wird auch noch der Algorithmus angepasst. Das muss man abwarten.

Letztendlich hängt alles wieder davon ab, was Facebook aus der Situation macht. Lässt sich die Macht der Plattformen denn überhaupt noch begrenzen oder ist es dafür längst zu spät?

Ich denke schon, dass man Möglichkeiten hat, die Macht der Plattformen zu begrenzen. Nutzer, Creator oder auch Mitarbeiter könnten sich beispielsweise zu Zugangsgewerkschaften zusammenschließen, wie ich sie nenne. Als Kollektiv-Akteur könnten sie sehr viel stärker in die Verhandlungen gehen und ihre Interessen durchsetzen. Im Lieferbereich zum Beispiel sehen wir bereits entsprechende Tendenzen, wo sich die Mitarbeiter organisieren.

Staatlicherseits wünsche ich mir, dass mehr Alternativen geschaffen werden. Dass sich der Staat selbst als digitaler Anbieter begreift, der im Sinne des Gemeinwohls Infrastruktur bereitstellt – natürlich Open Source, also öffentlich, für alle benutzbar, erreichbar und weiter entwickelbar.

Drittens könnte man den Plattformen regulatorisch vorschreiben, Drittanbieter für Algorithmen einzuführen – damit beispielsweise ein Newsfeed nicht mehr alternativlos ist. Der Nutzer könnte dann selbst entscheiden, welche Art der Sortierung er in seiner Timeline haben möchte. Das würde auf Anhieb eine Art Marktkonkurrenz schaffen, die einerseits für mehr Vielfalt und ein größeres Angebot sorgt. Gleichzeitig würde es die Plattformen disziplinieren und verhindern, dass sie ihre Macht allein im Eigeninteresse ausspielen können.

Vielen Dank für das Gespräch!

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