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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Angstfach Mathe "Nicht alle scheinen exponentielles Wachstum verstanden zu haben"
Mathematik gilt als "Angstfach" in der Schule. Dabei könnten Grundkenntnisse in Statistik gerade in der Pandemie nützlich sein. Ein junges Mathegenie erklärt, warum sich viele Menschen ungern mit Zahlenwerk beschäftigen – und was dagegen helfen könnte.
Maximilian Janisch ist 17 Jahre alt und macht gerade seinen Masterabschluss in Mathematik. Wir wollten von ihm wissen, was ihn an dem Fach so fasziniert – und wie man andere auch dafür begeistern könnte.
Herr Janisch, gerade in der Corona-Pandemie werden wir immer wieder mit mathematischen Konzepte wie exponentiellem Wachstum oder Wahrscheinlichkeitsrechnung konfrontiert. Das ist eigentlich keine höhere Mathematik, fast jeder hat das mal in der Schule gelernt. Trotzdem scheint in einigen Teilen der Gesellschaft das Verständnis für solche Zusammenhänge zu fehlen. Wie erklären Sie sich das?
Stimmt! Wenn ich mir so anschaue, wie manche Regierungen auf die Corona-Pandemie reagieren, scheinen nicht alle exponentielles Wachstum verstanden zu haben. Ich weiß nicht, woran das liegt. Möglicherweise hat das Bildungssystem ein bisschen Schuld daran. Man könnte sagen: Die Mathematik hat einen schlechten Ruf. Sehr viele Freundinnen und Freunde von mir sagen immer: "Oh, ich war ganz schlecht in Mathe. Ich habe das Fach immer gehasst. Zum Glück muss ich das nicht mehr machen." Dabei könnte Mathematik sehr nützlich sein.
Mathe gilt als Angstfach – woher kommt das?
Die Mathematik hat den Einstieg in die Populärwissenschaft verpasst. Die Physik auf der anderen Seite hat das ganz wunderbar geschafft: Viele Leute interessieren sich für Schwarze Löcher, das Universum, den Urknall und so weiter. Aber es ist sehr viel seltener, dass sich Menschen aus Spaß mit der Mathematik beschäftigen.
Das liegt vielleicht auch daran, dass ihnen das Fach einfach nicht schmackhaft gemacht worden ist. Es wird nicht immer mit Freude unterrichtet, sondern ist oft relativ langweilig und zu abstrakt. Kein Wunder, dass sich die Leute dann denken: "Wofür brauche ich das überhaupt? Ich habe überhaupt keine Freude daran, irgendwelche Integrale auszurechnen." Ich würde aber sagen, das ändert sich so langsam. Es gibt immer mehr Leute, die Interesse an den Erkenntnissen haben, die man aus der Mathematik ziehen kann.
Wie stellen Sie sich denn Matheunterricht vor, der Freude macht?
Ich gebe mal ein konkretes Beispiel: Es gibt einen sehr beliebten YouTube Kanal, der heißt "3Blue1Brown". Darin kommen viele einschlägige mathematische Themen vor – von einfacheren Sachen wie komplexe Zahlen bis hin zur Fourier-Transformation. Das ist zum Teil schon höhere Mathematik, aber in einem visuell sehr spielerischen Stil und gut verständlich. Die Videos haben mehrere Millionen Zuschauer, was beeindruckend ist, weil es eben Mathematik ist und keine Musikvideos (lacht).
In den genannten Videos geht es hauptsächlich darum, wie die Ideen entstanden sind, mit denen man sich in der Mathematik beschäftigt. Das ist vielleicht interessanter, als wenn man zu hören bekommt: "Das ist eben so! Lern diese Formel auswendig und im Test musst du sie 30 Mal anwenden."
Sie gelten als hochbegabt. Begegnen Ihnen andere Menschen dadurch anders?
Das ist eine interessante Frage. Aber mir ist nichts dergleichen aufgefallen. Ich fühle mich als ein ganz normaler 17-jähriger Jugendlicher. Auf mein Umfeld hat das relativ wenig Einfluss, dass ich mich mit diesem "komischen" Fach beschäftige. Alle Leute, die mir an der Uni Zürich begegnen, interessieren sich auch für Mathematik. Da falle ich nicht weiter auf.
Wissenschaftliches Arbeiten bedeutet, Fragen zu stellen. Ist die Mathematik in dieser Hinsicht eine Wissenschaft wie jede andere? Wie forscht ein Mathematiker?
Die Mathematik hat einen großen Vorteil gegenüber allen anderen Wissenschaften. In der Mathematik hat man Gewissheit. Das hat man in allen anderen Wissenschaften naturgemäß nicht.
Nehmen wir zum Beispiel die Sozialwissenschaft. Ketzerische Leute wie Richard Feynman, einer der bekanntesten Physiker aller Zeiten und Nobelpreisträger, behaupten ja, Sozialwissenschaften seien keine Wissenschaft. Feynman war da ziemlich radikal und ich teile seine Meinung nicht unbedingt.
Aber es stimmt, dass man in der Sozialwissenschaft am wenigsten Gewissheit hat. Menschen und Gesellschaften verhalten sich auf sehr komplizierte Weise. Das zu modellieren, ist sehr schwierig. In der Physik ist es schon besser. Das Universum verhält sich meistens regulärer als die Menschen. Wenn ich eine Kanone abfeuere, kann ich genau berechnen, wie sich die Kugel verhält.
Obwohl sich die Welt netterweise oft brav genug entlang passender mathematischer Modelle verhält, hat man auch in der Physik leider keine Gewissheit. Man kann ein noch so schönes mathematisches Modell oder eine noch so schöne Theorie haben – wenn sich 100 Jahre später herausstellt, dass es doch ein Experiment gibt, das überhaupt nicht meiner Theorie entspricht, muss man alles ändern oder zumindest die Theorie durch eine neue Idee ergänzen. Das ist ja in der Vergangenheit schon häufiger passiert, beispielsweise ergänzt die Relativitätstheorie von Einstein sehr elegant die Gravitationstheorie von Newton.
Wenn man dagegen in der Mathematik etwas bewiesen hat, ist es richtig, und es stimmt für immer und man muss sich nicht darum sorgen, dass man doch etwas falsch gemacht hat.
Big Data und künstliche Intelligenz sind zwei beliebte Buzzwords in der Wirtschaft. Aber sind das wirklich die Zukunftsthemen, als die sie oft dargestellt werden?
Auf jeden Fall. Ich bin eigentlich erstaunt, dass die KI so spät kommt. Es ist ja interessant: Die Mathematik hinter Machine Learning zum Beispiel ist keine neue Mathematik. Das ist im Prinzip eine Kombination aus Analysis und Wahrscheinlichkeitstheorie. Beides gab es schon vor 50 Jahren. Aber da existierten noch keine schnellen Computer und keine großen Datenmengen. Heute sind wir an einem Punkt, wo die Computer so schnell und die Programmiersprachen so angenehm und abstrahiert (also benutzerfreundlich) sind, dass man Mathematik direkt implementieren kann.
In welchem Lebensbereich bringt das die größten Umwälzungen mit sich?
Ich denke, die Diagnostik und Behandlung von Patienten in der Medizin wird sich stark verändern. Man wird Patientendaten in Zukunft sehr viel besser auswerten und vielleicht bessere Vorhersagen machen können, zum Beispiel bei Krankheiten wie Diabetes oder Krebs. Hier wird es den größten Fortschritt geben.
Wie sehen Ihre eigenen Karrierepläne aus?
Aktuell schreibe ich meine Masterarbeit in Mathematik. Darin beschäftige ich mich mit den Euler-Gleichungen. Das sind die grundlegenden Gleichungen der Hydrodynamik, die das Verhalten von Wasser und anderen Flüssigkeiten beschreiben. Das geht also schon in Richtung theoretische Physik. Mit der Masterarbeit bin ich wahrscheinlich im Juli fertig. Dann geht es weiter mit der Promotion. Ich muss mich noch entscheiden, in welche Richtung ich gehen will.
Entweder ich promoviere ebenfalls zu den Euler-Gleichungen. Oder ich promoviere in eine ganz andere Richtung, nämlich eben in Richtung Machine Learning. Das wäre dann ein Mix aus industrienaher und akademischer Arbeit, aus Theorie und Praxis.
Das klingt nach einer sehr grundsätzlichen Entscheidung.
Die Euler-Gleichungen sind aus mathematischer Sicht sehr viel anspruchsvoller. Die Mathematik dahinter ist sehr schwierig. Das geht schon in Richtung der berühmten Millennium-Probleme. Das sind sieben mathematische Probleme, die vom Clay Institut ausgeschrieben wurden. Für jedes Problem, das man löst, gibt es eine Million US-Dollar. Das wirkt zwar großzügig, ist aber sehr sparsam, wenn man sieht, was zur Lösung von einem erwartet wird. Viele Leute würden sagen, das ist die schwierigste Art, eine Million Dollar zu verdienen.
Wie entstehen eigentlich Fotos von Schwarzen Löchern? In diesem Video-Vortrag aus der "Sparx"-Reihe der Big-Data-Firma Trivadis erklärt Maximilian Janisch, welche Rolle die Auswertung von großen Datenmengen bei der Weltraumforschung spielt und wie uns Matehmatik dabei hilft, das Universum besser zu verstehen und zu visualisieren.
Einige der Probleme sind schon seit Jahrhunderten ungelöst. Ein einziges Problem wurde inzwischen gelöst, von einem russischen Mathematiker namens Grigori Perelman. Der hat das Preisgeld interessanterweise abgelehnt.
Aber es gibt immer noch sechs ungelöste Probleme. Eines davon sind die Navier-Stokes-Gleichungen. Das ist eine allgemeinere Form der Euler-Gleichungen. Ich bin also ganz nah dran an einem der schwierigsten ungelösten Probleme aller Zeiten. Ich werde es bestimmt nicht lösen, aber ich könnte vielleicht einen ganz kleinen Beitrag leisten, dass wir etwas mehr über diese Gleichung wissen.
Machine Learning ist etwas ganz anderes. Sagen wir es so: Es ist die einfachere Art, eine Million Dollar zu verdienen. Es ist interessanter für viele Leute, vor allem auch für die Wirtschaft. Dafür ist es aber mathematisch wohl nicht so anspruchsvoll.
Wir wünschen Ihnen viel Erfolg und danken für das Gespräch.