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Medizinische Videos auf YouTube: Hausarzt erklärt Chancen und Risiken


Vom Arzt zum Influencer
"Die Vorteile überwiegen um das Hundertfache"

InterviewVon Marcel Horzenek

16.03.2025 - 17:42 UhrLesedauer: 4 Min.
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Gesundheitliche Aufklärung am Laptop: Patienten können Ärztevideos als Vorbereitung auf einen Termin nutzen. (Quelle: Andriy Popov/imago-images-bilder)
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Medizinische Videos gewinnen in den sozialen Medien immer mehr an Bedeutung. Arzt und YouTuber Sebastian Alsleben spricht im Interview über die Vor- und Nachteile.

Wer gesundheitliche Beschwerden hat, recherchiert oft die Symptome erst einmal im Internet, noch bevor der erste Termin beim Hausarzt vereinbart ist. Doch während früher eher Gesundheitsforen und Wikipedia konsultiert wurden, informieren sich heute immer mehr Menschen mithilfe von kurzen Videos in den sozialen Medien über medizinische Themen. Allein in Deutschland wurden vergangenes Jahr 4,5 Milliarden Gesundheitsvideos bei YouTube aufgerufen – weltweit über 200 Milliarden.

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Sebastian Alsleben, Hausarzt aus Solingen, sieht darin auch eine Chance. Im Interview mit t-online spricht der 31-Jährige über das veränderte Informationsbedürfnis seiner Patienten, wie digitale Aufklärung die knappe Sprechzeit ergänzen kann und wo die Grenzen der Online-Medizin liegen.

t-online: Herr Alsleben, haben Sie sich selbst schon mal dabei erwischt, Krankheitssymptome zu googeln?

Sebastian Alsleben: Klar, das macht doch jeder mal. Das Problem ist nur: Wer Symptome googelt, landet oft auf Webseiten mit reißerischen Schlagzeilen. "Oh mein Gott, das ist Krebs – in sechs Monaten bist du tot!" So etwas verbreitet Angst und Panik, aber natürlich klicken die Leute darauf. Solche reißerischen Inhalte bekommen Reichweite – und genau das nutzen manche, um Geld zu verdienen.

Trotz der Gefahren, die für Patienten im Netz lauern, nutzen Sie ganz bewusst soziale Medien für medizinische Videos. Warum?

Die Vorteile sind riesig. Ich bin Hausarzt und sehe ein extrem breites Spektrum an Erkrankungen – von Depressionen über Bluthochdruck bis zu urologischen Fragen. In meiner Praxis habe ich im Durchschnitt sieben Minuten pro Patient. Wenn jemand sich vorab informiert hat, läuft das Gespräch viel effektiver. Auch im Anschluss an das Arztgespräch: Eine Diagnose wie Diabetes ist erst einmal ein Schock – viele bekommen in dem Moment gar nichts mehr mit. Da können gut gemachte Videos helfen, die wichtigsten Informationen noch einmal nachzuvollziehen.

(Quelle: Dr. Sebastian Alsleben)

Zur Person

Dr. Sebastian Alsleben ist Ernährungs- und Sportmediziner in Ausbildung. Er arbeitet als niedergelassener Hausarzt in Solingen (NRW) und gehört zu einer wachsenden Gruppe von Medizinern, die den Sprung in die digitale Welt gewagt haben. Mit kurzen und verständlich aufbereiteten Videos zu Volkskrankheiten, Präventionsthemen und aktuellen Gesundheitsfragen erreicht der 31-Jährige inzwischen ein Publikum, das weit über seine Praxistüren hinausgeht.

Wie sind Sie auf die Idee zu Ihren "Dr. Sebastian"-Gesundheitsvideos gekommen?

Angefangen hat alles mit Rückenübungen. Früher gab es in der Praxis veraltete Zettel, die niemand genutzt hat. Ich dachte: Warum nicht ein Video aufnehmen, das ich meinen Patienten mitgeben kann? Mittlerweile mache ich Videos zu Bluthochdruck, Diabetes und psychischen Erkrankungen. Das spart nicht nur Zeit, sondern verbessert die Kommunikation. Außerdem macht es mir einfach riesigen Spaß.

Die Gefahr, dass Patienten aufgrund der Informationsflut bei unseriösen Quellen landen und falsche Hobby-Diagnosen stellen, sehen Sie nicht?

Das Risiko besteht, klar. Besonders bei psychischen Erkrankungen sehen wir das oft. Social Media ist voll von Menschen, die angeblich Symptome haben. Aber die Vorteile überwiegen um das Hundertfache: Es ist besser, wenn jemand frühzeitig auf ein Problem aufmerksam wird, sich damit auseinandersetzt und dann zum Arzt geht. Denn im schlimmsten Fall wird aus einer leichten Depression eine schwere Depression und irgendwann kommt man da nicht mehr raus, weil man keine Hilfe in Anspruch genommen hat.

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Werden nicht auch Ärzte beeinflusst, wenn sie von Anfang an in eine falsche Richtung gelenkt werden?

Ich glaube, dafür ist die evidenzbasierte Medizin zu gut strukturiert. Gerade bei psychischen Erkrankungen gibt es ganz klassische Fragebögen und Bewertungskriterien – außerdem habe ich ja noch das Gespräch mit dem Patienten. Trotzdem muss ich sagen, dass die Leute vor allem durch YouTube-Inhalte deutlich besser informiert in meine Praxis kommen. Dort werden ja bewusst Inhalte vorausgewählt und prominent angeboten, die zertifiziert sind – und das funktioniert meiner Erfahrung nach sehr, sehr gut. Ich arbeite auch gerade daran, meine Inhalte zertifizieren zu lassen. Es dauert aber eine Weile, bis man die Voraussetzungen erfüllt.

Prüfsiegel

Vertrauenswürdige Gesundheitsinformationen sind bei YouTube anhand eines Prüfsiegels zu erkennen. Dieses steht in Form eines hellblauen Kastens unter dem Namen und wird an Kanäle von Ärzten, Krankenhäusern und Gesundheitsorganisationen vergeben. Das Siegel zeigt, dass die Informationen von einer qualifizierten und geprüften Quelle stammen, die Inhalte aus dem Video sind jedoch kein Ersatz für eine professionelle medizinische Beratung.

So ein Video aufzuzeichnen und zu produzieren, ist ziemlich aufwendig. Wie schaffen Sie das neben der Praxis?

Es ist ein enormer Aufwand. Neben meiner Vollzeitstelle als Hausarzt habe ich noch drei Weiterbildungen abgeschlossen. Zeitlich ist das natürlich eine Herausforderung. Aber es macht Spaß und es ist sinnvoll. Ich sehe den Mehrwert für meine Patienten und für die Allgemeinheit. Viele Ärzte spielen Golf oder Tennis – ich mache YouTube-Videos (lacht).

Welche Unterstützung würden Sie sich von der Politik oder den Krankenkassen wünschen?

Weil der Aufwand so groß ist und ich Expertise, Technik und Zeit brauche, wäre es ein großer Schritt, wenn Krankenkassen oder die Politik die Produktion fördern würden. Warum nicht Filmteams oder Postproduktion unterstützen, damit Ärzte einfach nur ihre Expertise einbringen können? Wir haben mit Formaten wie "FAQ YOU" gesehen, wie gut das funktionieren kann. Stattdessen gibt es noch zu viele bürokratische Hürden, die uns Steine in den Weg legen.

"FAQ YOU"

Das Format "FAQ YOU" ist eine Videoreihe von Funk, dem Content-Netzwerk von ARD und ZDF. Der Name ist ein Wortspiel aus "FAQ" (Frequently Asked Questions – häufig gestellte Fragen) und dem englischen Kraftausdruck "Fuck". In der Sendung werden gesellschaftlich relevante Fragen auf unterhaltsame Weise beantwortet – oft aus den Bereichen Politik, Gesellschaft, Umwelt oder digitale Themen. Das Format richtet sich vorrangig an eine junge Zielgruppe, die sich über Social Media informiert und keine langen, trockenen Erklärungen mag.

Was genau meinen Sie?

Zum Beispiel die rechtliche Lage. Als Arzt bin ich für die Inhalte verantwortlich, sogar für Kommentare unter meinen Videos. Das ist ein riesiger Graubereich. Theoretisch könnte ich dafür belangt werden, wenn sich Menschen in meinem Kommentarbereich medizinisch austauschen. Es wird dringend Zeit, dass die Berufsordnung an die digitale Welt angepasst wird. Andernfalls werden sich die Menschen solche Videos aus anderen Ländern anschauen. Und das ist dann deutlich gefährlicher, wenn Tipps und Tricks gegeben werden, die die Patienten missverstehen, weil sie in einer anderen Sprache sind.

Glauben Sie, dass digitale Gesundheitsangebote Ärzte irgendwann ersetzen können?

Nein, auf keinen Fall. Studien zeigen zwar, dass Technik in manchen Bereichen sogar empathischer wirken kann als Ärzte. Aber Videos oder Algorithmen können den menschlichen Austausch nicht ersetzen. Gerade bei sensiblen Themen wie psychischen Erkrankungen braucht es das persönliche Gespräch. Abgesehen davon ersetzen die Videos natürlich keine Behandlung, ich gebe ja auch keine Heilungsversprechen. Es geht darum, die Menschen aufzuklären, sie abzuholen und die Ungewissheit zu nehmen, indem sie besser vorbereitet in die Praxis kommen.

Trotzdem klingt es so, als ob digitale Aufklärung die Zukunft sei.

Ja, das glaube ich auch. Menschen informieren sich heute online, ob wir das gut finden oder nicht. Warum sollten wir diesen Raum nicht sinnvoll nutzen? Wenn gute Videos schlechte Inhalte ausstechen, ist das ein riesiger Erfolg.

Herr Alsleben, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Dr. Sebastian Alsleben
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