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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Start der dritten Staffel "Babylon Berlin": Die Nazis auf dem Weg zur Macht
Die Weimarer Republik beginnt zu zerfallen, eine Schauspielerin stirbt am Filmset. Klar, dass das kein Unfall war. Auch die dritte Staffel des deutschen Welterfolges "Babylon Berlin" überzeugt. Warum man die Fortsetzung nicht verpassen sollte.
Es kriselt in den Zwanzigerjahren der Weimarer Republik – und damit sehen auch die Figuren aus "Babylon Berlin" immer schwereren Zeiten entgegen. Rechte sägen an der Demokratie, Börsenspekulanten gefährden die Wirtschaft. Inmitten dieser explosiven Gemengelage geht das Ermittlerduo Gereon Rath (Volker Bruch) und Charlotte Ritter (Liv Lisa Fries) einem Mord nach.
An einem Filmset wird Star Betty Winter (Natalia Mateo) von einem Scheinwerfer erschlagen. Nur ein Unfall? Es steckt natürlich mehr dahinter, und bei einem Mord zahlt die Versicherung nicht. Aus dem Fall entspinnt sich im Laufe der Staffel eine veritable Verschwörung, die weit über die Filmbranche hinausgeht. Krimifans dürfen sich darauf freuen.
In der zweiten Staffel "Babylon Berlin" verlor die Hauptstadt bei einem Anschlag mit Regierungsrat Benda (Matthias Brandt) einen echten Demokraten. Den hatte Greta (Leonie Benesch) zuvor unter falschem Vorwand ausgeführt und muss sich nun vor Gericht verantworten. In der aktuellen Staffel versuchen die Nazis, besagten Anschlag Kommunisten zuzuschieben. Zudem wirkt die revisionistische "Schwarze Reichswehr" mehr und mehr auf eine "Konservative Revolution" hin.
Damit bietet "Babylon Berlin" erneut mehr als nur Krimi. Die Schauwerte gehören zu den besten der letzten Jahre und verkaufen sich auf dem Weltmarkt. Kein Wunder: Das prunkvolle Berlin der Zwanzigerjahre hat sich selten in derartiger Schönheit gezeigt.
Prachtvoller Untergang der Weimarer Republik
Seien es die Berliner Börse, in der Banker am "Schwarzen Freitag" ihren Glauben verlieren, die Filmsets oder Bars, in denen es nur so vibriert, Jazz spielt, sexuelle Freiheit herrscht. Eine der beeindruckendsten Szenen zeigt einen okkulten Maskenball in einer Villa, auf den sich Rath und Ritter begeben. Sie werden Zeugen eines seltsamen Rituals, bei dem sich die Berliner Prominenz tummelt, singt und betet, nahezu manisch.
Diese Pracht begeistert. Sie uferte in den ersten Staffeln aber auch in Armutskitsch aus. Kriminalassistentin Lotte erkämpft sich ihren Platz im Berlin der Zwanziger oft mit einer trügerischen Leichtigkeit, die ihrer bitterarmen Familie nicht gerecht wird. Die Serie ist in dieser Hinsicht mehr Kostümstück, als dass sie die Zwanzigerjahre dokumentieren würde.
Immerhin ändert sich in dieser Staffel der Ton. Sie spielt 1929, wenige Monate vor dem großen Börsencrash, mit dem die Weimarer Republik begann unterzugehen. Ihre Totengräber, die Nazis, gewinnen an Einfluss. Denn auch das muss die Serie zeigen, um authentisch zu bleiben. Bisher traten nur die Konservativen rund um die "Schwarze Reichswehr" in Erscheinung. Das ändert sich nun.
Mal zeigt sich das subtiler, an Hitler-Porträts im Hintergrund. An anderer Stelle stürmen SA-Schläger die "Tempo"-Zeitung, sprechen von der "Lügenpresse". Auch Richter und Polizisten beugen sich dem Druck der Nazis. Die Arbeiterjugend, Vorläufer der Hitlerjugend, rekrutiert spielerisch neue Mitglieder – darunter auch Raths Sohn Moritz (Ivo Pietzcker).
Weiterentwicklung der Romanvorlage
Die Figur des Gereon Rath gewinnt an Tiefe, denn er muss sich als Vater beweisen. Bisher reduzierten ihn die Macher teils zu sehr auf sein Kriegstrauma aus dem Ersten Weltkrieg. Obwohl die Serie weiter auf den gleichnamigen Kriminalromanen Volker Kutschers basiert, unterscheidet sie sich doch allmählich in relevanten Punkten. So entfällt etwa bei Charlotte Ritter, dass sie sich politisch engagiert. Zugleich emanzipiert sich sie sich stärker, deckt Verschwörer bei der Polizei auf und lässt sich als einzige weibliche Ermittlerin nicht einschüchtern.
Greta als zweite große Frauenrolle enttäuscht hingegen. In der Romanvorlage agiert sie selbstbewusst, den Menschen zugewandt. In der Serie muss sie sich für einen Anschlag verantworten und lässt sich von Nazis manipulieren.
Der Industrielle Alfred Nyssen (Lars Eidinger) wettet an der Börse und ist in den Filmmord verwickelt. Eidingers trügerischer Charme überzeugt in "Babylon Berlin", er verführt eine alte Serienbekannte und lebt im Luxushotel. Wenige deutsche Schauspieler sind im Gespräch derart präsent, er mischt eine Portion unterkühlten Wahnsinn in jede Szene. Diesen braucht es auch für seine scheinbar hirnrissigen Börsenwetten, die er Konservativen schmackhaft machen möchte.
Erschreckend aktueller Geschichtsunterricht
Alles in „Babylon Berlin“ läuft auf eine Krise, auf den „Black Friday“ zu. Die dritte Staffel ist noch kein Abgesang auf die junge deutsche Demokratie, aber deutet ihn an. Sie warnt vor Konservativen, die glaubten, die NSDAP einhegen und für ihre Zwecke benutzen zu können. Der neue Kriminalrat Wendt (Benno Fürmann) hat schon das Rezept parat: Man müsse nur Unruhe verbreiten und Angst säen. Dann kehre die Monarchie schon zurück. Diese "alte" Rechte ist nicht zu Unrecht Vorbild der Neuen Rechten.
Natürlich will „Babylon Berlin“ kein Geschichtsunterricht sein. Die "Roaring Twenties", herrliche Kostüme und Sets entzücken, das Mysterium um den Tod Betty Winters unterhält. Dass Rechte die "Große Koalition" zerschlagen und anstelle dessen eine "Konservative Revolution" unter Einbeziehung der Nazis installieren möchten, erschrickt dagegen. Ein überaus gelungener Spagat. 2021 sollen die Dreharbeiten an der vierten Staffel beginnen, unter Corona-Vorbehalt.
Am Sonntag, den 11. Oktober 2020 startet die dritte Staffel von "Babylon Berlin" mit einer Doppelfolge in der ARD. In der ARD-Mediathek sind die ersten Folgen bereits seit dem 9. Oktober verfügbar.
- "Babylon Berlin"
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