Streaming Fiktive deutsche Serien-Städtchen als Exportschlager
Berlin (dpa) - Lange Zeit ist das Deutschlandbild in Film und Fernsehen von Großstädten wie Berlin, Köln, Hamburg und München oder aber vom Schwarzwald und den Alpen geprägt gewesen. Die beiden Netflix-Serien "Dark" und "How to Sell Drugs Online (Fast)" führen das globale Publikum des Streaming-Anbieters dagegen in die deutsche Provinz: in die fiktiven Städtchen Rinseln und Winden.
Das ist in gewisser Weise folgerichtig, denn eine Mehrheit der Bevölkerung Deutschlands lebt in Gemeinden mit weniger als 100.000 Einwohnern.
Und genau solche Orte sind die erdachten Städte aus den weltweit erfolgreichen Serien. Es sind kleinere Mittelstädte zwischen zwanzig- und fünfzigtausend Einwohnern.
Nach Netflix-Angaben ist "Dark" bis heute das meistgesehene sogenannte "Netflix-Original aus Deutschland". Schon nach der Veröffentlichung der ersten beiden Staffeln stellte Netflix fest, dass 93 Prozent der Zuschauer nicht aus Deutschland stammen.
Außerhalb von Deutschland, Österreich und der Schweiz wird "Dark" demnach am häufigsten in Chile und Polen angesehen. Viele Zuschauer im Ausland schauten "Dark" gerne auf Deutsch mit Untertiteln, in Südkorea seien es mehr als 90 Prozent, in Japan etwa 75 Prozent. Die Auswirkungen aufs Deutschlandbild im Ausland dürften enorm sein. Idealisierte deutsche Provinz ist zu einem Exportschlager geworden.
Was hat es mit den beiden Städtchen auf sich? Zeit für einen Vergleich Winden versus Rinseln:
WINDEN:
"Dark" endete Ende Juni mit einem Finale, das den Knoten in den Köpfen vieler Fans auflöste. Es gibt 26 Folgen in drei Staffeln (2017 bis 2020). In der Serie mit Louis Hoffmann, Lisa Vicari, Julika Jenkins, Moritz Jahn, Maja Schöne, Jördis Triebel, Oliver Masucci geht es um Zeitreisen in einer westdeutschen Stadt, in der es ein Atomkraftwerk und eine geheimnisvolle Waldhöhle gibt.
Die Serie spielt in den Jahren 2019, 2020, 1986, aber auch 1888, 1921, 1953 und 2052. Das Ganze spielt mit der Allgemeinen Relativitätstheorie, nach der es temporäre Raumzeitkanäle geben könnte, was als theoretisches Gebilde auch Wurmloch oder Einstein-Rosen-Brücke genannt wird, benannt nach den Physikern Albert Einstein (1879-1955) und Nathan Rosen (1909-1995).
Kopf hinter der Serie "Dark" ist die Autorin Jantje Friese, Regisseur ihr Lebensgefährte Baran bo Odar ("Who Am I - Kein System ist sicher"). In Nebenrollen sind so bekannte Gesichter wie Angela Winkler, Mark Waschke, Winfried Glatzeder und Walter Kreye zu sehen.
Gemeinden und Ortsteile mit dem Namen Winden gibt es in Deutschland einige, zum Beispiel zwei in Rheinland-Pfalz und eine - mit knapp 3000 Einwohnern am einwohnerreichsten - in Baden-Württemberg (Winden im Elztal). Sie sind aber alle nicht gemeint. Winden in "Dark" ist eine Stadt mit völlig unklarer Lage im deutschen Flachland.
Dass "Dark" in Brandenburg und Berlin gedreht wurde, lässt sich unter anderem an Straßenlaternen erkennen. Die Schule der Protagonisten ist beispielsweise die Reinfelder Schule im Maikäferpfad in Berlin (Stadtteil Westend im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf). Bei einem Friedhof mit Holzkapelle handelt es sich um den Südwestkirchhof Stahnsdorf bei Berlin, Deutschlands zweitgrößten Friedhof nach dem Hauptfriedhof Ohlsdorf in Hamburg. Das Waldhotel Winden ist das Schlosshotel Berlin im Grunewald, das 2006 Mannschaftshotel der deutschen Nationalelf während der Fußball-WM war.
RINSELN:
Die seit 2019 laufende Serie "How to Sell Drugs Online (Fast)" - kurz HtSDOF - hat bislang 12 Folgen in zwei Staffeln. Sie soll im kommenden Jahr mit einer dritten Staffel weitergehen.
In der Serie mit Maximilian Mundt, Danilo Kamber, Lena Klenke und Damian Hardung geht es um den Teenie-Nerd Moritz, der aus seinem Kinderzimmer heraus mit Schulfreunden im Darknet einen Drogenversand aufzieht und in einen Strudel mit niederländischen Drogenhändlern gerät. Das Ganze basiert lose auf der Geschichte des Leipziger Dealers "Shiny Flakes", der 2015 als Onlinehändler aufflog.
Hauptautoren und Köpfe der Comedy- und Coming-of-Age-Serie sind Philipp Käßbohrer, Sebastian Calley und Stefan Titze. Produzent ist die Firma Bildundtonfabrik in Köln, die jahrelang das "Neo Magazin Royale" mit Jan Böhmermann fürs ZDF herstellte. In Nebenrollen treten so bekannte Gesichter wie Ulrike Folkerts, Hinnerk Schönemann, Bjarne Mädel und Maren Kroymann auf.
Rinseln, das klingt so ähnlich wie Rinteln. Das ist eine Stadt in Niedersachsen im Weserbergland. Sie hat mit knapp 30.000 Einwohnern auch in etwa so viele Einwohner wie das fiktive Rinseln. Allerdings soll Rinseln wohl in Nordrhein-Westfalen liegen, wie zum Beispiel an der Polizeiuniform des Vaters von Moritz zu erkennen ist.
Gedreht wurde größtenteils rund um Bonn, etwa im Stadtteil Ippendorf. Die Protagonisten besuchen ein Anton-Köllisch-Gymnasium, das jedoch eigentlich eine Schule in Köln ist (das Georg-Büchner-Gymnasium im Stadtteil Weiden). Köllisch (1888-1916, gefallen im Ersten Weltkrieg) war jedoch passend zur Serie 1912 der erste Chemiker, der MDMA (Methylen-Dioxy-Methyl-Amphetamin; kurz oft: Ecstasy) synthetisierte.
FAZIT:
Während es in Winden von "Dark" düster und oft mysteriös zugeht, strahlt Rinseln - obwohl es auch hier viele Geheimnisse gibt - eine gewisse Leichtigkeit aus. In Winden regnet es oft - um nicht zu sagen fast immer. In Rinseln scheint eher die Sonne und es gibt zum Beispiel auch coole Restaurants, etwa ein Märchen-Themenlokal. Mit Krankheit und Lügen sind die Einwohner beider Städte konfrontiert, doch wer sich entscheiden müsst, würde wohl Rinseln als Wohnort wählen.
Während in früheren deutschen Serienexporten wie "Derrick", "Das Erbe der Guldenburgs" oder "Die Schwarzwaldklinik" die meisten Leute im Bild Millionäre mit dicker Villa und viel Tagesfreizeit zu sein schienen, sind es in den aktuellen Serien in erster Linie Menschen aus der Mittelschicht mit Alltagsproblemen und Abgründen.