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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Der "Tatort"-Faktencheck Wie hart dürfen Ermittlungen sein?
Die Leiche im Baggersee ist chronologisch der erste Tote dieses Kölner "Tatorts", aber die Zuschauer sehen zuvor schon einen späteren Toten, erhängt in einer Zelle: Der Hauptverdächtige hat sich umgebracht. Trägt der zu hartnäckig fragende Hauptkommissar Max Ballauf
Ein Auto, versenkt in einem Kölner Baggersee, das lässt nichts Gutes erhoffen. Tatsächlich liegt eine Leiche im Kofferraum. Sie trägt eine Plastiktüte über dem Kopf, aus der sich ein Aal herauswindet. Alle, die je den Film "Die Blechtrommel" gesehen haben, wenden sich mit Grausen in Gedanken des von Aalen durchsetzten Pferdekopfes am Strand.
Die Kölner Kommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) ermitteln, der Tote ist ein junger Autonarr, Verkehrsrowdy, und wie weitere Nachfragen ergeben: allseits ziemlich unbeliebt. Auch wenn er die Umsätze der Reifenfirma, in der er seit kurzem arbeitete, rasch steigern konnte. Es wurde an Tachos gedreht, zwei Kran wurden im Nachbarbetrieb geklaut. Da geht nicht alles mit rechten Dingen zu (Regie: Sebastian Ko).
Der Tote ist nicht ertrunken, er wurde erschossen, und zwar in der eigenen Montagehalle. So gerät Familienvater Matthes Grevel (Moritz Grove) ins Visier der Kommissare. Er ist es auch, der später tot in der Zelle hängt. Verdächtig ist aber auch ein Mitarbeiter, der sich allzugut versteht mit der Ehefrau und bald schon Witwe des Reifenhändlers.
Auf der Wache geht es eher geruhsam zu, dank des Neuen Jütte (Roland Riebeling): Tee trinken, Blutdruck messen, er muss sich erst einarbeiten, "das dauert natürlich". Max Ballauf zeigt sich überraschend als harter Hund beim Verhör, der good cop Freddy Schenk wundert sich. Am Ende verübte doch der Familienvater einen Auftragsmord, und wir sehen Ballauf als Grübler am Schwimmbeckenrand.
Der Mann und Vater im Knast, in Untersuchungshaft – für die Familie wird das zum Alptraum. Aber ist das überhaupt ein realistisches Szenario (Drehbuch: Johannes Rotter)? t-online.de hat nachgefragt.
Der Faktencheck
Fragen an Prof. Dr. Thomas Bliesener, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen
t-online.de: Ein Familienvater gerät unter Mordverdacht – und die Familie trifft es wie aus heiterem Himmel. Im Film wirkt das zunächst, als wäre das immer möglich, als könnte es jeder Familie passieren. Ist das denkbar?
Prof. Dr. Thomas Bliesener: Das ist schon sehr konstruiert und hoch spekulativ. Wir haben in Deutschland etwa 650 bis 700 Morde im Jahr. Die allermeisten Täter sind aber keine Familienväter, sondern eher jüngere Männer.
Kann jeder (und jede) zum Mörder werden, wenn der Druck (hier sind es finanzielle Schwierigkeiten) groß genug ist?
Das ist absolut untypisch. Die Vorstellung, dass der ganz normale Nachbar von nebenan zum Mörder wird, das sind ganz, ganz seltene Fälle.
Die Ehefrau des Verdächtigen sagt: "Wie sollen wir das aushalten?" Zerbrechen Familien an so einem Verdacht?
Also ja, es gibt schon auch verheiratete Mörder, oft ist aber dann auch die Frau das Mordopfer, es kommt doch zu sehr vielen Beziehungstaten. Wenn aber wirklich einmal der Partner in Haft ist, ist das natürlich eine massive Belastung.
In der Zelle geschieht dann ein Selbstmord, der Hauptverdächtige hängt sich auf, zusammengebrochen unter dem Ermittlungsdruck. Ist so etwas vorstellbar? Kennen Sie vergleichbare Fälle?
Auch da müsste man genauer hinschauen. Wenn jemand verheiratet ist, keine Fluchtgefahr besteht, und auch keine Wiederholungsgefahr, dann ist es doch unwahrscheinlich, dass so jemand in U-Haft kommt.
Tritt das aber doch ein, dann ist die Suizidgefahr durchaus ein Thema. Vor allem bei jemandem, der das erste Mal im Gefängnis ist, der keine Hafterfahrung hat. Wenn da eine Suizidgefahr gesehen wird, wird ihm alles abgenommen, Gürtel, alles, was für einen Suizid geeignet wäre. Außerdem gibt es eine regelmäßige Sichtprüfung, ob es ihm noch gut geht. Also da schaut jemand alle Viertelstunde rein.
Aber solche Suizide gibt es, ja. Das ist nicht immer als Schuldeingeständnis zu sehen, sondern da ist jemand völlig überfordert. Das kann man sich ja auch vorstellen: So plötzlich herausgerissen aus dem Leben, das ist eine massive Belastung für die meisten. Da kann es zu Kurzschlussreaktionen kommen.