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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Tatort: Mord Ex Machina" Verbrechen in der tödlichen neuen Welt
"Ich bin drin!", ruft der Hacker. Die Freude ist nachvollziehbar, wer saß nicht selbst schon verzweifelt vor dem Computer. Also freut man sich mit. Natürlich hält das – wir sind in Saarbrücken im "Tatort" – nicht lange an.
Die Hacker sitzen vor großen Monitoren, als der junge Mann (Anton Spieker) jenen Satz ausruft, seine Freundin Natascha (Julia Koschitz) fällt ihm zur Belohnung um den Hals. Nun würden die da oben endlich kapieren, "dass ihre brave new world sie auffressen wird", sagt der junge Mann. Währenddessen sitzt Kommissar Stellbrink (Devid Striesow) einsam zuhause, der Ärmste hat nur einen kleinen Laptop, und versucht, sich in eine Datingplattform einzuloggen.
Kurz danach zerschellt ein autopilotiertes Fahrzeug. Auf dem Fahrersitz: eine Leiche, in der Zuschauer den Lover der Hackerin erkennen, aus dessen Bett sie zu Anfang gestiegen war. "Wünschen Sie pilotiertes Fahren?", fragte das Auto noch, bevor es in den Abgrund fährt. Der Tote ist der Justiziar einer Firma, die digitale Daten sammelt, und diese Firma wurde in der gleichen Nacht gehackt. Just die Daten des Firmenwagens fehlen. Die Frage ist: Wer steuerte den Wagen? Derjenige, der am Steuer saß – oder eine manipulierte Computertechnik? Selbstmord oder Mord?
"Da geht nichts verloren"
"Tee, Kaffee, einen Smoothie?", wird Stellbrink in der schicken Firma gefragt. So soll der Zuschauer gleich merken: Die sind die moderne Welt. Und da hat man keine Zweifel am Nutzen einer schrankenlosen Datenerfassung. Die neuen Autos sehen alles – sie sind voll elektronisch ausgestattet, mit Kameras, Messgeräten, Daten-Aufzeichnungen. Auch wenn diese Aufzeichnungen gerade futsch sind – gehackt, im Auftrag der Firma sogar, um herauszufinden, ob das geht: das Hacken. "Das ist das Schöne an der digitalen Welt, da geht nichts verloren", sagt süffisant der Geschäftsführer.
Von Anfang an treibt die drängende Musik die Spannung mit voran. Und so düster und dystopisch hat man Saarbrücken noch nie gesehen, bei Nacht und in Neonfarben sieht die Stadt aus wie ein Computerspiel. Die Büros der Hacker und der Firma sind schwarz glänzend. Nur die analoge Welt hat einen Braunstich, bis hin zu den Möbeln in der Rumpelkammerwohnung in Frankreich, in der der Schlüssel zur Lösung des Falles verborgen liegt.
Wer sind die Guten, wer sind die Bösen?
Es dauert eine Weile, bis das Hackerpärchen wieder auf dem Bildschirm erscheint, man hatte es schon fast vergessen. Wer sind die Guten, wer sind die Bösen? So leicht ist die Frage nicht zu beantworten, Natascha - schwarze Lederjacke, kurze Haare, sinistre Aura – erinnert an Lisbeth Salander, die legendäre, rätselhafte Hackerin der Schwedenkrimis von Stieg Larsson.
Stellbrink löst den Fall mithilfe seiner jüngeren Kollegin Mia Emmrich (Sandra Maren Schneider), die ist im Heute und in der Cyberwelt angekommen. Der Kommissar stellt sich dumm, will nicht recht begreifen, was so wichtig ist an der Datensammelei. Emmrich erklärt ihm die "Ocean Methode": Anhand fünf Faktoren lasse sich die Persönlichkeit messen. Eine darin bewanderte Firma sei "an der Pro-Brexit-Kampagne und am Wahlkampf von Donald Trump beteiligt" gewesen. Doch das stimmt nicht. Diese auf Daten spezialisierte Firma – Cambridge Analytica – hatte sich lediglich damit gebrüstet. Firmensprecher mussten später zugeben, nicht damit befasst gewesen zu sein.
Beklemmende Vorstellung
Die Beantwortung der Frage, wer schließlich der Mörder war, spielt in diesem "Tatort" nicht die Hauptrolle. Zwar hat Victor Rousseau (Steve Windolf), der Geschäftsführer der schicken Datenfirma, den Wagen manipuliert, beklemmend ist aber die Vorstellung, dass Hacker dazu auch in der Lage wären.
Computerkenntnisse plus eine Prise kriminelle Energie, Rache-Phantasien, Neid, Geldgier oder sonstige niedere Motive – und Bäm! Wie leicht das alles geht, haben Sicherheitsforscher bereits 2015 gezeigt. Damals ist es Charlie Miller und Chris Valasek gelungen, einen Jeep Cherokee fernzusteuern. (Hier geht es zum "Tatort"-Faktencheck)
"Na toll!"
Stellbrink gibt hier zu sehr den altmodischen Kommissar, der rufen muss "Scheiß' Computer". Aber niemand kann so toll "Na toll!" sagen, wie Kommissar Stellbrink. Wir werden es vermissen: Devid Striesow hört auf, nur noch ein weiterer Saarbrücken-"Tatort" mit ihm wird folgen. Viel moderner wird er da auch nicht handeln: In der Schlussszene wirft er sein Smartphone im hohen Bogen von seiner Hochhauswohnung und kramt als Ersatz einen alten Nokia-Knochen heraus.
Den Justitiar spielt Nikolai Kinski, der Sohn von Klaus Kinski. Er hat naturgemäß als frühe Leiche nur einen kurzen Auftritt. Dabei hat sich just Kinski schon vor einigen Jahren mit dem Thema Digitalisierung beschäftigt. Er schuf die Website "www.netwars-project.com", ein Projekt, das Facts und Fiction zum Thema Cyberkrieg im Netz bündelt.