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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Tatort"-Faktencheck Kann man seiner Versicherung noch trauen?
Tod eines Abteilungsleiters: Der Sachsen-"Tatort" beleuchtet die Welt der Versicherungsbranche: Betrug, zerstörte Existenzen, Gier. Vor allem eine Frage stellt sich: Kann man seiner Versicherung (noch) vertrauen?
Die Versicherungswirtschaft ist einer der bedeutendsten Wirtschaftszweige der Bundesrepublik. Schenkt man TV-Spots und Webanzeigen auch nur ansatzweise Glauben, steht für jede Versicherung einer ganz oben auf der Agenda: der Kunde.
Das Beste für den Kunden rausholen, das perfekte Rundum-Wohlfühlpaket - für jeden erschwinglich. Sorgen, nein, Sorgen braucht niemand zu haben, jedenfalls nicht, wenn er versichert ist.
Lebensversicherung, Sterbegeldversicherung, Hausratversicherung, Haftpflichtversicherung, Fahrradversicherung, Handyversicherung, Unfallversicherung, Berufsunfähigkeitsversicherung, Gebäudeversicherung - Versicherungen, bis einem der Schädel qualmt, in allen Größen und Paketen - maßgeschneidert für individuelle Bedürfnisse. In Deutschland kann man sich gegen alles und jeden versichern. (Ausgenommen natürlich die eigene Blödheit.)
Doch tritt der Schadensfall wirklich ein und der stets brav zahlende Kunde erwartet rasch die ihm versprochene Hilfe, löst er eine gegen ihn arbeitende bürokratische Lawine aus, die alle Werbeversprechen mit sich reißt und den Geschädigten unter einem Berg aus juristischen Winkelzügen und taktischen Klauseln begräbt, frei nach dem Motto: Der Kunde darf zwar zahlen, aber bitte nicht fordern. Fordern ist den Versicherungen, Firmen, Banken und dem Staat vorbehalten, das Bürgerlein soll blechen und gefälligst die Schnauze halten.
Spielen auf Zeit
Der neue Dresdner "Tatort: Auge um Auge" wirft einen ungeschönten Blick auf die vermeintlichen Machenschaften einer deutschen Versicherung. Am Beispiel der fiktiven Versicherungsfirma ALVA, deren Leitsatz "Ihr Partner für Ihre Sicherheit" lautet, wird gezeigt, dass es mit dem Schutz, in dem viele Menschen sich wiegen, in der Realität nicht weit her ist.
Der Versicherungsmann, dessen Chef soeben ermordet wurde, erklärt es dem Polizisten haargenau: Auf das Gutachten des Geschädigten folgt das Gegengutachten der Versicherung, die Firmen spielen auf Zeit, denn die Zeit ist der beste Freund der Versicherung. Prozesse dauern lange und "jeder, der aufgibt, verbessert die Bilanz".
Der Kunde hätte eben das Kleingedruckte genauer lesen sollen. Da kann ja schließlich die Versicherung nichts dafür, wenn das System so viele kleine Schlupflöcher offen lässt. Die Versicherung macht die Gesetze nicht, sie nutzt sie nur. Wenn der mit den schwammigen Begriffen in Verträgen überforderte, zusehends orientierungslosere Kunde Werbeslogans und Versprechungen der Versicherungsvertreter für bare Münze hält, ist er doch selber schuld.
Versicherungen im Raubtierkapitalismus
Dennoch sind die "Tatort"-Macher konsequent, wenn sie den Mörder aus den eigenen Reihen der Schönwetter-Geschäftspartner kommen lassen. Eine Ex-ALVA-Angestellte, in deren Büro sich ein geprellter Kunde das Leben nahm, will ihr Umfeld zwingen, hinzusehen. Hinzusehen, wie es denn sein kann, dass ein Mensch nach einem Arbeitsunfall - den Dutzende bezeugen - an den Rollstuhl gefesselt, laut Versicherung weiter zu 100 Prozent arbeitsfähig ist. Hinzusehen, warum im Schadensfall bei Unfall- und Berufsunfähigkeitsversicherungen bei 60 Prozent der Geschädigten die Leistung verweigert wird.
Tatsächlich belegt eine im Herbst 2016 durchgeführte Studie der Infogesellschaft PremiumCircle, dass Kunden sich auf ihre abgeschlossene Berufsunfähigkeitsversicherung nicht verlassen können. Inzwischen ist es keine Seltenheit, dass sich Versicherungen im Schadensfall sogar lieber verklagen lassen, als ihre Kunden rasch zu bezahlen. Das ist das Dilemma, in dem sich unsere nach Sicherheit gierende Gesellschaft befindet. Denn eine Versicherung dient im modernen Raubtierkapitalismus in erster Linie sich selbst.
Doch welche Versicherungen sind unverzichtbar?
Leider sind es keine bloßen Stammtischparolen, wenn es heißt, Versicherungen kommen für so ziemlich alles auf - ausgenommen natürlich für entstandene Schäden.
Aber ist es nicht ein beruhigendes Gefühl, für den Fall der Fälle eine Unfallversicherung abgeschlossen zu haben? Eine schwierige Frage, denn die Unfallversicherung wird oft mit der Berufsunfähigkeitsversicherung verwechselt. Letztere ist in vielen Fällen die weitaus wichtigere Police, die meisten werden nämlich nicht durch einen Unfall berufsunfähig, sondern durch Krankheit. Doch auf welche Versicherung sollte man auf keinen Fall verzichten? Laut des Wirtschaftsjournalisten und Finanztipp-Chefs Tenhagen sollte die Haftpflichtversicherung für jeden ein absolutes Muss sein. Es kann den existenziellen Genickbruch bedeuten, im Schadensfall ohne eine solche dazustehen.
Auch ein Muss, egal ob gesetzlich, pflichtversichert oder privat, ist die Krankenversicherung. Und es kann nicht schaden, sich schon in jungen Jahren um die eben erwähnte Berufsunfähigkeitsversicherung zu kümmern. "Denn das, was es von der gesetzlichen Rentenversicherung als Erwerbsunfähigkeitsrente gibt, reicht nicht aus, so dass hier Armut droht“, sagt Teenhagen. Locker verzichten kann man indes auf Sterbegeld - oder Handyversicherungen, die einem die Anbieter gern bei einem Neukauf gleich mit aufschwatzen wollen. Dann lieber in eine gute Police investieren und dabei genau das Kleingedruckte unter die Lupe nehmen.