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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Tatort: Freigang" Die Bande des Bösen: Richy Müller geht als Maulwurf in den Knast
Eine Frau ist tot. Unter ihren Fingernägeln DNA-Spuren ihres Mannes. Der hat aber das hieb- und stichfesteste Alibi überhaupt: Er sitzt im Gefängnis. Kann er dennoch der Täter sein? Die Stuttgarter Kommissare Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) wittern Mauscheleien hinter Gittern. Mord, Spannung, Intrigen, Affären - dieser "Tatort" hatte alles, was einen guten Krimi am Sonntagabend ausmachen muss. Und präsentierte mit Herbert Knaup als aalglatten Knastchef mal wieder einen Bösewicht par excellence. Chapeau!
Hinter den dicken Mauern und vergitterten Fenstern stimmt etwas nicht - das ist den Beamten aus Stuttgart im "Tatort: Freigang" schnell klar. Damit sie herausbekommen, wer in Zuffenhausen - dem angeblich sichersten Knast in Baden-Württemberg - das Sagen hat, wird Kommissar Lannert kurzerhand als Maulwurf eingeschleust. Mit einer völlig neuen Vita versehen und unter dem Namen "Peter Seiler" arbeitet er fortan als Schließer in unmittelbarer Nähe der Insassen, um sie und auch die übrigen JVA-Beamten genauer unter die Lupe zu nehmen.
Eine Bande des Bösen
Seine überraschende Erkenntnis: Es sind nicht vordergründig die Insassen, die frei nach landläufigen Klischees dealen, prügeln oder klauen, sondern die Vollzugsbeamten, die eine Bande des Bösen bilden. Vor allem der Leiter des freien Vollzugs, Andreas Franke, der seine Mitarbeiter Schultz, Gellert und Scheffler sorgsam um sich schart wie eine Familie, lässt ungeniert durchblicken, dass er jedes "Familienmitglied" gnadenlos fertig macht, wenn es nicht nach seiner Pfeife tanzt.
Stark: Herbert Knaup als aalglatter Knast-König
Herbert Knaup verkörpert diesen machtbesessenen Herrn Franke, den sie im Knast nur den "King" nennen, dominant, sperrig, laut und aufdringlich. Er besticht die Kollegen nach Lust und Laune, verhilft bestimmten Häftlingen zu unerlaubten Freigängen, hurt herum, setzt die Witwe des bald unter rätselhaften Umständen zu Tode gekommenen Kollegen Scheffler unter Druck und ist es gewöhnt, alles unter Kontrolle zu halten. Der Knast-König eben. Ein toller Gegenpart zum leise, zurückhaltend und sehr besonnen agierenden Richy Müller.
Außerhalb der Knastmauern bemüht sich der von seiner Frau frisch verlassene Sebastian Bootz einigermaßen klar zu kommen und beruflich auf der Höhe zu bleiben. Gefüttert mit Lannerts Erkenntnissen ermittelt er, dass der Insasse Drake während eines vertuschten Freigangs seine Frau ermordet hat. Die Beamten decken den Fall. Allein Scheffler hielt den Druck nicht mehr aus, wollte reden und wurde kurzerhand um die Ecke gebracht - das Ganze getarnt als Selbstmord. Und über allem hält der "King" seine Hand.
Keine filmischen Kinkerlitzchen
Regisseur Martin Eigler und Drehbuchautor Sönke L. Neuwöhner versuchten gar nicht erst, in "Freigang" durch besonders ausgefeilte Psychologisierungen, irritierende Kameraführung oder einen auffälligen Soundtrack zu überzeugen. Diese filmischen Kniffe, die in so manchem der jüngeren "Tatorte" oftmals übereifrig eingesetzt wurden, waren nicht nötig.
Man konzentrierte sich vielmehr auf die personellen Verbindungen inner- und außerhalb des Gebäudes. Machtgeflechte. Der Zuschauer übernahm den taxierenden Blick von Kommissar Lannert, der seine Schlüsse allein durch genaues Beobachten und Kombinieren zog.
Wie haut Bootz Lannert raus?
Es ging trotz zweier Todesfälle nicht um das klassische "Whodunit", sondern um die Vorgehensweise der Kommissare: Wie wollen sie "der Bande des Bösen", die man als Zuschauer ja kannte und in ihrem Tun permanent verfolgte, ihre Taten nachweisen? Wie werden sie die Gangster, die ja eigentlich im Dienste des Guten stehen, zur Strecke bringen? Wie haut Bootz Lannert wieder raus? Die Spannungsrechnung ging auf.
Schwäbische Dialekte störten und wirkten aufgesetzt
Der Versuch, ein wenig Lokalkolorit und/ oder eine humorige Note einzustreuen, indem man wichtigen Nebenfiguren wie der Gefängnisdirektorin oder der Witwe Scheffler einen breiten, schwäbischen Dialekt verpasste, ging allerdings nach hinten los. Es wirkte zu aufgesetzt und dadurch provinziell.
Genauso hätte man auf die mehrmals eingesetzten lustigen Verweise auf den "King of Rock'n Roll" Elvis Presley verzichten können. Auch wenn "King" Franke die Haare nach hinten gekämmt trägt - falls da eine Parallele zu Elvis und seinem "Jailhouse Rock" geschaffen werden sollte, war die einfach zu weit hergeholt, um als "running Gag" zu funktionieren.
Nächster "Tatort" erst im Herbst
Dennoch: Ein leiser, aber ordentlicher "Tatort", der von vorne bis hinten einen unterhaltsamen Krimiabend bot. So abgefüttert können die "Tatort"-Fans guten Mutes in die Sommerpause gehen. Den nächsten Krimi gibt es erst Anfang August.