TV "Die Rache der Wanderhure": Neldel krempelt das Mittelalter um
Die Hure Marie hat sich in "Die Rache der Wanderhure" zur ehrbaren Dame, der Kastellanin von Hohenstein, gemausert und lebt das Bilderbuch-Leben einer mittelalterlichen Frau: Ein bildschöner Mann mit Waschbrettbauch ist an ihrer Seite, eine zuckersüße Tochter krönt ihre Liebe und ein kleines Schlösschen - das Reihenendhaus aus vergangenen Tagen - ist ihr Eigen. Doch dann kommt der lebensfrohen Schönheit das Schicksal in die Quere: Der Krieg entzweit das Paar und die Todesnachricht von ihrem Gatten Michel lässt die Wanderhure wieder in die bitterböse Welt hinauseilen, um Gutes zu tun.
Gleich zu Beginn des TV-Movies wird klar: Ein Hauch von Emanzipation muss verströmt werden, um den Anschluss an das Epos "Die Wanderhure" zu finden. Während sich Marie mit ihrem Liebsten im Schwertkampf übt, eine zu dieser Zeit gewiss nicht alltägliche Freizeitbeschäftigung bei Frauen, verkündet sie lauthals: "Die Zeiten ändern sich, eine Frau braucht eine Ausbildung." So will sie ihren Gatten Michel von Hohenstein überzeugen, dass Töchterchen Trudi etwas anständiges lernen sollte, um als Frau nicht später am Herd zu enden. Dabei setzt sie sich rittlings auf ihren Gatten und küsst ihn innigst, um Widerworte seinerseits zu verhindern. "Trudi, sieh zu, wie deine Mama deinen Vater zähmt", sagt das Kindermädchen zur kleinen Filmtochter von Neldel. Ein Seitenhieb für die Glaubwürdigkeit des Films, da bekanntermaßen die wahre Emanzipation noch einige Jahrhunderte auf sich warten ließ. Doch die herausragende Rolle von Frauen wird an vielen kleinen Stellen in der "Rache der Wanderhure" deutlich - ziehen sie doch oftmals die Fäden hinter den Kulissen. Und so sind sie auch die zentralen Personen, die in diesen kriegerischen Zeiten für Frieden sorgen, für freiheitliches Denken kämpfen und letztendlich das Böse besiegen.
Folgenschwere Todesnachricht
Alexandra Neldels Film-Ehemann ist Lehnsherr von Hohenstein. Doch seine Ritterschaft und das daraus resultierende gute Leben haben ihren Preis, denn er muss für König Sigismund in den Krieg ziehen. Bert Tischendorf in der Rolle des Michel schafft hierbei den Spagat zwischen liebevollem Vater, liebestollem Ehemann und gewalttätigem und erbarmungslosem Ritter. Von den eigenen Männern während seines Feldzuges in einen Hinterhalt gelockt, wird er von einem Kugelgeschoss schwer am Kopf getroffen und stürzt in einen Fluss. Seine Frau Marie erhält sein Schwert und die Todesnachricht, die sie einfach nicht akzeptieren kann.
Marie setzt sich durch
Schnell meldet sich beim König ein dunkler Ritter, der Großinquisitor des Papstes, zu Wort und will die schöne Herrin von Hohenstein schnellstmöglich wieder unter die Haube bringen. Doch die Rechnung haben die beiden Herren ohne die "Wanderhure" gemacht, die mit ihrer forschen Art schnell bei Sigismund einen Aufschub von zehn Tagen rausgehandelt hat, um ihren Mann Michel lebend zu finden. Ihr zur Seite stellt sich die Äbtissin Isabelle de Melancourt, die stets an der Seite des Königs zu sehen ist und ein gutes Wort für die Bitten Maries einlegt. Ihr Einfluss auf den großen Herrscher ist eindeutig - nur zu gerne lässt sich König Sigismund von er schönen Leiterin eines Schweigeklosters bezirzen. Unter der Kutte der einflussreichen wie schönen Heiligen befindet sich niemand anderes als Esther Schweins, die mit ihrem auffallend schönen Äußeren sogar die graue Kutte in den Hintergrund stellt.
Aalglatt und frisch duftend
Götz Otto spielt die Rolle des kämpferischen König Sigismund, der auf seinem Thron stets eine gute Figur macht. Doch wer hier mittelalterliches Flair vermutet, der sucht vergebens. Egal, an welchem Tag der König in Erscheinung tritt, er könnte in einer neuzeitigen Rasierklingen-Werbung Platz finden. Noch im ersten Teil der "Wanderhure" machte das schmuddelige Ambiente in jeder Pore des TV-Movies das Mittelalter erlebbar und brachte die ekligen Gerüche dieser Zeit rüber. Nicht so in "Die Rache der Wanderhure". Der König kommt allzeit adrett rasiert und schnieke zurecht gemacht daher, die Frisur sitzt, die Krone auch. Anstatt einer muffigen Aura verströmt der Film die aromatische Duftwelt einer neuzeitlichen Parfumerie. Dieser gute Geruch zieht sich leider durch den gesamten Film und lässt das echte Gefühl von der längst vergangenen Zeit nicht aufkommen - der Perfektionismus und die Reinlichkeit der heutigen Zeit haben hier nichts zu suchen und brechen dem Epos bei der bildlichen Darstellung das Genick.
Gefährliche Schönheit
Die Kastellanin Marie von Hohenstein macht sich also auf die Suche nach ihrem verschwundenen und für tot erklärten Mann. Der hatte nach dem Anschlag Glück und wurde mit schweren Verletzungen am Kopf von dem Mongolen Ill-Young Kim gefunden und gesund gepflegt. Er wird wieder gesund, entwickelt sich zum wilden Kämpfer und weiß doch nicht, wer er ist. Der Gedächtnisverlust verleitet ihn fast dazu einer jungen Schönheit in seiner neuen Heimat zu verfallen - doch Marie findet den Geliebten gerade noch rechtzeitig.
Neldel in jeder Rolle wunderbar weiblich
Das Rollenspiel beherrschte Alexandra Neldel in diesem Film perfekt: Ob langhaarige Verführerin, schlichte Nonne oder auch maskuliner Knappe - sie muss sich vor ihren Feinden unkenntlich machen, und behält doch in jeder dieser Rollen ihre wunderbare Weiblichkeit. Auf ihrem Weg verfolgt sie auf Schritt und Tritt der schwarze Ritter, der Marie wieder verheiraten möchte - und wie sich später herausstellt - noch viel lieber für sich selbst haben will. Ein alter Gegner von Marie versteckt sich unter der düsteren Maske und wird am Ende seiner gerechten Strafe zugeführt.
Nicht überraschend: Fast alles wird gut
Das Ende des Epos ist keine Überraschung: Marie kann ihren Mann trotz großen Widerstandes der jungen Geliebten mit nach Hause nehmen, der Frieden ist dank der "Wanderhure" und ihrem Charme gesichert und die Freunde schnell aus den Händen des Bösewichtes befreit. Einen Quoten-Toten muss aber auch die Wanderhure einstecken, denn den Mann ihrer besten Freundin Hiltrud kann sie nicht retten. Ach ja, das Gedächtnis findet Michel von Hohenstein bald wieder - und so lebten sie glücklich und zufrieden - bis an ihr Lebensende? Das wird sich erst nach dem Erfolg dieses Films herausstellen, denn zur möglichen Verfilmung stünden auch noch zwei weitere Romane. Dann könnte die zarte Alexandra Neldel womöglich wieder erneut in eine Schlacht ziehen.