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Rainer Langhans über Prostatakrebs: "Ich übe mich im Sterben"


Interview
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Rainer Langhans
"Mein Sterberaum ist bereits gegeben"

InterviewVon Nicole Morgenstern

Aktualisiert am 05.06.2022Lesedauer: 6 Min.
Rainer Langhans: Der Kult-Kommunarde ist an Krebs erkrankt.Vergrößern des Bildes
Rainer Langhans: Der Kult-Kommunarde ist an Krebs erkrankt. (Quelle: Zeppo/imago-images-bilder)

Als Bewohner der berühmten Kommune I wurde Rainer Langhans zur Ikone. 2020 erkrankte er unheilbar an Prostatakrebs. Im Interview erzählt der 81-Jährige, wie er damit umgeht und wofür er dankbar ist.

Langhans gilt als berühmtester Ex-Hippie Deutschlands. Über sich selbst sagt der überzeugte Veganer, er sei ein "Berufsrevolutionär" gewesen. Gemeinsam mit dem Fotomodell Uschi Obermaier rief er einst zur sexuellen Revolte aus und propagierte die Droge LSD. Danach machte Langhans als Autor und Filmemacher von sich reden und war als Schauspieler aktiv. 2011 überraschte der ehemalige Kommunen-Bewohner mit seiner Teilnahme im Dschungelcamp.

Während des Telefoninterviews hält sich Rainer Langhans im Garten auf. Im Hintergrund ist Vogelgezwitscher zu hören und ein Mann Anfang 80, dessen Stimme nicht nur 20 Jahre jünger klingt, sondern auch voller Kraft und Energie. Ganz ohne Scheu erzählt der Autor von seinem Leben mit dem Krebs, seiner Übung im Sterben und verrät, warum er dem Sex abgeschworen hat.

t-online: Herr Langhans, wie geht es Ihnen aktuell?

Rainer Langhans: Es geht mir gut. Ich fühle mich selbst mit meiner Krebserkrankung sehr, sehr wohl. Die meisten Menschen würden bei so einer Diagnose sagen: "Um Gottes willen, jetzt bist du dran, es ist bald vorbei." Ich aber sehe meinen Krebs als eine Art Liebesbotschaft. Wie eine Welle der Liebe, die mich erfasst. Nur wenn man materiell denkt und fühlt, finde man solch eine Diagnose erschreckend. Ich sehe es anders, sage: "Danke, wunderbar." Der Weg, auf dem ich mich jetzt befinde, heißt: "Lerne zu sterben, damit du zu leben beginnen kannst." Was bedeutet, dass ich das Sterben übe.

Erklären Sie bitte, wie man das Sterben üben kann.

Ich habe schon sehr lange in die östliche Spiritualität gefunden und bin dabei auf einen indischen Meister gestoßen. Unter seiner Anleitung und Führung übe ich. Es ist ein meditativer Vorgang, bei dem man sehr weit nach innen geht und dabei in einen Zustand gerät, der einer Trance ähnlich ist, aber noch weit darüber hinausgeht. Das Ziel ist, mental aus dem Körper zu gehen, ihn zu verlassen, um dann wieder zurückzukehren. Es ist ein Zustand, den wir hier kaum kennen und den nur wenige erreichen. Ich tue mich noch schwer damit, aber ich bemühe mich.

Mit den Erkenntnissen, die man gewinnt, bedeutet es, sein hiesiges Leben zu verbessern – auch körperlich. Darin übe ich mich die ganze Zeit, stelle aber fest, dass ich noch ganz schön blöde darin bin. Dagegen hilft, immer weiter zu üben. Ich sehe es so, dass man sich im stetigen Scheitern weiterentwickelt.

Bedeutet das denn auch, dass Sie dadurch keine Angst vor dem Tod haben?

Ich glaube, ich habe noch ein bisschen Angst. Das merke ich daran, dass ich das "Sterben üben" immer noch nicht so richtig hinbekomme. Es ist aber mehr die Angst davor, ein anderer zu sein oder zu werden. Wir fürchten uns ja vor dem Tod, weil wir nicht wissen, wohin wir danach kommen. Und wir wissen nicht, was das überhaupt soll. Wie kann man nur sterben, das ist doch ein totaler Skandal! Wir haben doch das Gefühl, ewig zu leben.

Wenn Sie sich jetzt schon im Sterben üben, sich also auf den Tod vorbereiten, möchten Sie, dass Menschen um Sie sind, wenn es so weit ist?

Wer dabei sein will, wird dabei sein. Wer das nicht erträgt, wird fernbleiben. Es ist somit offen und ich werde diese Entscheidung gar nicht treffen müssen. Mein spiritueller Meister sagt: "Schaut dem zu, der stirbt, dann seht ihr, was Spiritualität ist." Mein Sterberaum ist jedenfalls bereits gegeben. Ich bin jetzt schon so eingerichtet, dass ich jeden Augenblick sterben kann.

Wie kam es überhaupt dazu, dass der Krebs bei Ihnen entdeckt wurde?

Ich hatte einen Harnverschluss und kam als Notfall ins Krankenhaus. Dort erkannten die Ärzte sofort, dass ich Prostatakrebs habe. Ich fragte sie, was sie nun vorschlagen. Ihre Antwort lautete: "Viel können wir nicht für Sie tun, außer Sie palliativ in den Tod zu begleiten."

Und wie haben Sie reagiert? Was haben Sie geantwortet?

"Danke, ich will auch gar nicht, dass ihr versucht, dagegen anzukämpfen. Ich möchte alles erkunden, was mir der Krebs an Liebe bringt. Das soll mir gar nicht weggenommen werden. Helft mir dabei, dies alles zu erleben." Und dann habe ich mich für die am wenigsten kriegerische Behandlung entschieden – die Hormontherapie. Die Ärzte erklärten mir, dass dadurch eine chemische Kastration stattfindet und ich impotent werde.

War das nicht eine schlimme Vorstellung für Sie?

Nein, im Gegenteil. Ich habe gesagt, wie wunderbar ich das finde. Mental mache ich es sowieso schon die ganze Zeit und jetzt werde ich physisch dabei unterstützt. Für mich war es die Befreiung von diesem ganzen Triebgeschehen, den sexuellen Drängeleien. Die waren trotz meiner mentalen Abstinenz irgendwie trotzdem noch da. Seit Beginn der Behandlung geht es mir immer besser.

Diese Einstellung wird viele überraschen, wenn man sich zurückerinnert, wie Sie seinerzeit gemeinsam mit Uschi Obermaier zur sexuellen Revolution aufgerufen haben.

In der Kommune waren wir jenseits der Sexualität. Die Kernerfahrung von 68, die ja bis heute unverstanden ist, war eine spirituelle. Wir wollten "jenseits unserer Körper" sein. Uns ging es nicht um Sex, sondern um allgemeine Zärtlichkeit. Aber wie interpretierte es das Bürgertum? Allgemein wurde es als "jeder mit jedem" und Zärtlichkeit als Sex, Orgien, "Rudelbumsen" gedeutet. Das hängt uns bis heute nach, ist jedoch völlig falsch. Aber was soll man machen, wenn man etwas erlebt hat, was in dieser Welt absolut unverständlich ist und wofür es keinen Begriff gibt.

Hat es denn damals geklappt mit der spirituellen Erfahrung?

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Nach einem Jahr, in dem wir in höheren Sphären schwebten, fielen wir wieder zurück in unsere Körper. Und da war es wieder so furchtbar wie vorher. Wir konnten es nicht aufrechthalten. Deswegen kam ich dann wieder in diese blöde Sexualität, wo ich gar nicht hin wollte. Aber ich habe es noch mal mit einer schönen Frau ausprobiert, die es zu 100 Prozent drauf hatte, und das war Uschi Obermaier. Aber nach kurzer Zeit war mir klar, das bringt es alles nicht, ich bin eigentlich innerlich tot. Für mich war der sexuelle Akt eine Verhinderung meiner geistigen Entwicklung. Daraufhin sind Uschi und ich dann auseinandergegangen.

Im Guten?

Zunächst ja. Aber sie konnte es auf Dauer nicht ertragen und nimmt es mir bis heute übel, dass ich für mich die Sexualität nicht für das einzig Seligmachende angesehen habe. Sie rief mir böses Zeug nach und hat mich gehasst. "Ich möchte leben, und du willst ja bloß sterben", sagte sie damals zu mir. Da habe ich ihr geantwortet, dass sie recht hat. "Ich will raussterben aus der Sexualität. Hier werde ich nicht glücklich, mit dem, was du für Glück hältst."

Haben Sie denn Ihr Glück gefunden?

Früher war ich sehr, sehr unglücklich. Heute würde ich behaupten, dass ich glücklicher denn je bin. Aber es war ein langer Weg bis hierher.

Wann haben Sie Uschi Obermaier denn zum letzten Mal gesehen?

Gute Frage. Das ist schon ein paar Jahre her. Aber ich erinnere mich an einen Besuch bei einer gemeinsamen Freundin, die gerade mit Uschi telefonierte und mir den Hörer reichte. "Hallo Uschi", begrüßte ich sie durchs Telefon. Doch sie hat es nicht ertragen, meine Stimme zu hören, und schrie mich sofort an. Ich hatte Verständnis dafür. Uschi ist eine sehr sinnliche Frau, die es nicht schafft, aus ihrer sexuellen Programmierung auszusteigen. Deshalb muss sie offensichtlich jemanden wie mich hassen, der etwas ganz anderes probiert zu leben. Aber als sie von meiner Krebsdiagnose hörte, schickte sie mir zur Versöhnung eine E-Mail. Das ging für mich in Ordnung.

2020 haben Sie Ihre Erkrankung öffentlich gemacht. In jenem Jahr, als Corona uns überrollte und in Angst und Schrecken versetzte. Haben wir als Gesellschaft was gelernt?

Die Gesellschaft lernt dauernd weiter. Das ist ja alles noch da, nur nicht mehr so krass, dass sich die Leute verkriechen oder sich im Lockdown befinden. Ich sehe Corona als Chance, uns aus diesem trostlosen, materiellen Leben ein Stück weit rauszuziehen, hinein in ein geistiges, spirituelles. Das ist, glaube ich, die große Entwicklung, die wir erleben und der wir versuchen, auf die Spur zu kommen. Wir sind gierig, wir sind blöde und machen jeden kaputt, der in unsere Nähe kommt. Dabei sehen wir nicht, dass wir uns selbst zerstören. Wir brauchen eine schönere Lebensweise, müssen in ein schöneres "Menschsein" kommen. Eine "menschheitliche" Transformation, wenn Sie es so sehen wollen. Auf diesem Weg sind wir jetzt, ohne zu wissen, wer uns das antut und uns in diese Richtung schiebt. Corona wird nicht mehr weggehen, also werden wir damit leben lernen müssen. Wir werden uns entsprechend verändern, auch wenn sich unser Bewusstsein damit noch schwer tut.

Verwendete Quellen
  • Eigenes Interview mit Rainer Langhans
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