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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Maschmeyer "Das habe ich nicht gemacht, weil ich euch nicht lieb hatte"
Er war jahrelang tablettensüchtig und verlor die Kontrolle über sein Leben: Carsten Maschmeyer. Im Interview mit t-online spricht er nun über die Folgen der Sucht – und warum vor allem seine Söhne zu Leidtragenden wurden.
"Ich musste mein Leben nach meinem Entzug völlig ändern", erzählt uns ein sichtlich reumütiger Carsten Maschmeyer am Telefon. Der Unternehmer hat in einem Buch öffentlich gemacht, wie er in der Vergangenheit unter täglich 18 Stunden Arbeit litt, zu Schlaftabletten griff und schließlich in die Abhängigkeit rutschte. "Das hat mich in den gesundheitlichen, aber vor allem mentalen Ruin getrieben", so der heute 62-Jährige zu t-online.
Heute trenne er "Privat- und Berufsleben strikt", lege sein Smartphone und sein Tablet nach den beruflichen Verpflichtungen zur Seite, betreibe an vier von fünf Werktagen Sport und arbeite maximal zehn Stunden am Tag. "Das bin ich meiner Gesundheit schuldig", weiß der Startup-Investor zu berichten, der 2007 mit seiner Medikamentensucht einen Tiefpunkt erlebte – und sein Leben danach umkrempelte. In einem bemerkenswert offenen Gespräch gesteht Carsten Maschmeyer nun, wie sehr seine Kinder unter dieser Situation gelitten haben.
t-online: Herr Maschmeyer, Sie sagten: "Vatersein kann man nicht delegieren. Das habe ich schon mal probiert, das ist schiefgegangen." Was genau ist im Zuge Ihrer Krise aus dem Ruder gelaufen?
Carsten Maschmeyer: Ich habe mich in den Job gestürzt, 18 Stunden am Tag gearbeitet. Die Kinder haben in dieser Zeit wenig in meinem Leben stattgefunden.
Sie meinen Ihre Söhne Marcel und Maurice?
Ja, Marcel ist heute 32 Jahre alt und Maurice 28. Durch Veronica habe ich quasi noch eine Tochter dazubekommen.
Sie sprechen von der heute 20-jährigen Lilly Krug.
Richtig. Ich bin zwar nicht Lillys leiblicher Vater, aber sie spricht mich als 'Bonus-Papa' an und das ehrt mich.
Sie haben ein gutes Verhältnis?
Wir haben ein ganz tolles Verhältnis! Sie zeigt mir ihre Liebe und Zuneigung und ich auch. Bei meinen Söhnen war das vielleicht nicht immer so.
Hat Lilly Glück gehabt, weil sie Sie in einer Zeit erlebt hat, in der es bei Ihnen beruflich bereits etwas ruhiger zuging? Ihre Söhne hingegen kamen nicht in diesen Genuss?
Ja, am Anfang hatte ich deshalb ein sehr schlechtes Gewissen, weil ich dachte, ich verbringe jetzt mit einem nicht von mir gezeugten Kind mehr Zeit, als ich es bei meinen leiblichen Söhnen in dem Alter getan habe.
Bereuen Sie das?
Natürlich. Ich habe auch offen mit Marcel und Maurice darüber gesprochen. Die haben dann gesagt: 'Papa, hol das nach, das kannst du. Wir können uns ja nicht mehr klein mutieren. Wir sind jetzt groß. Genieße deine Zeit mit Lilly.' Marcel war zu dem Zeitpunkt schon in London, Maurice in Amerika. Ich habe dann Entwicklungsschritte, die ich bei meinen leiblichen Söhnen verpasst habe, miterlebt und eine ganz enge Beziehung zu Veronicas Tochter aufgebaut.
Gab es auch Momente, in denen Ihre Söhne Ihnen deshalb Vorwürfe gemacht haben und Sie sich rechtfertigen mussten?
Ja, selbstverständlich. Ich habe, nachdem ich meine Tablettensucht erfolgreich geheilt hatte, mit Professor Florian Holsboer ein Start-up gegründet: HMNC Brain Health. Aber natürlich habe ich mit meinen Söhnen über die Tablettensucht gesprochen, die haben sich ja immer gewundert. Ich habe, als ich auf dem Höhepunkt meiner Abhängigkeit war, kaum noch angerufen, als sie schon in Frankreich lebten und ich sie noch seltener gesehen habe.
Und wenn Sie zu Besuch waren?
In Frankreich war ich nach dem Frühstück verschwunden: schlafen. Nach dem Mittagessen war ich wieder verschwunden: schlafen. Ich habe mich jetzt erneut dafür entschuldigt und ihnen erklärt: 'Das hat damals die Sucht mit mir gemacht. Das war nicht ich. Das habe ich nicht gemacht, weil ich euch nicht lieb hatte.'
Wie haben Ihre Kinder darauf reagiert?
Sie sind mir beide dafür nicht böse. 'Du warst suchtkrank. Das haben diese Tabletten mit dir gemacht', haben sie gesagt. Und tatsächlich ist Benzodiazepin ein Betäubungsmittel, auf dem 'Schlaftabletten' draufsteht. Das fördert aber nicht den Schlaf. Es ist ein Teufelszeug, das Depressionen verursacht und an das man viel zu leicht herankommt.
Wie viele Jahre mit Ihren Söhnen sind Ihnen durch Ihre Sucht verloren gegangen?
Ein, zwei Jahre sicher. Der Endspurt der Tablettensucht, in dem ich durch die stark ansteigende Medikamenteneinnahme krank wurde, war schlimm. Diese ein bis zwei Jahre habe ich verloren. Aber heute bin ich so wach und so für die Kinder da, dass wir diese Zeit wahrscheinlich mehr als kompensiert haben. Trotzdem war das keine schöne Zeit. Ich bereue das – und habe deshalb immer wieder die Kinder um Verzeihung gebeten.
Es ist trotzdem etwas aus ihnen geworden. Auch wenn es sicher für Ihre Kinder eine schwierige Phase war, in der ihr Vater nicht da war.
Das kann man wohl so sagen. Lilly macht Karriere als Schauspielerin und dreht gerade einen Film in Puerto Rico mit Gerard Butler und studiert in Los Angeles an der USC Psychologie. Maurice arbeitet in Los Angeles an einem Start-up-Fond und hat einen Master of Science in Entrepreneurship and Innovation. Marcel arbeitet in London, er hat einen eigenen Fonds Paladin ONE und hat vor ein paar Jahren seinen Master in Business Administration in Oxford abgeschlossen. Alle drei performen hervorragend. Meine Kinder sind für mich Vorbild geworden.
Was ist Ihre Motivation dahinter, jetzt mit Ihrer Sucht an die Öffentlichkeit zu gehen?
Ich will wachrütteln und über diese tabuisierte Krankheit aufklären. Früher sagte man, der hat einen an der Klatsche oder der muss in die Klapse. Das ist fatal! Wir müssen psychische Erkrankungen genauso ernst nehmen wie eine Lungenentzündung oder einen Beinbruch oder eine Sehschwäche. Und die muss behandelt werden von Profis. Über 25 Prozent aller Erwachsenen haben im Laufe ihres Lebens eine Angsterkrankung, Burn-out oder Depression. Ich möchte jetzt dafür kämpfen, dass diese Erkrankungen enttabuisiert werden. Und ich möchte Tipps für ein ganzheitlich ausgewogenes, glückliches, ausbalanciertes Leben geben, sodass man gar nicht erst in eine psychische Erkrankung rutscht. Deshalb habe ich mein Buch "Die sechs Elemente des Erfolgs" geschrieben.
In der jetzigen Situation erleben wir noch eine andere Erkrankung, bei der es immer noch Menschen gibt, die verharmlosen, kleinreden, leugnen. Wie begegnen Sie Corona-Leugnern und was würden Sie Ihnen sagen, wenn Sie sich nicht impfen lassen wollen?
Ich bin durch meine eigene Geschichte sehr wahrheitsliebend und glaube, dass ein Verleugnen von sich selbst und vor seiner Familie eine Verstärkung einer Krankheit auslöst. Und ich finde es nicht gut, wenn sich Menschen nicht impfen lassen, die geimpft werden können. Ja, es mag ein paar Nebenwirkungen geben, aber die werden deutlich geringer sein als die Nebenwirkungen und Gefahren einer Corona-Erkrankung. Ich habe dafür kein Verständnis.
Bei Verschwörungen rund um die Corona-Impfung gerät auch immer wieder die Pharmaindustrie in den Fokus der 'Schwurbler'. Haben Sie für Ihre Pharma-Kritik schon dubiose Zuschriften erhalten?
Überhaupt nicht. Ich habe nur positive Resonanzen zum Öffentlichmachen meiner Sucht gesehen. Vielleicht sind unter den Hunderten und Tausenden auch mal zwei fragwürdige, aber die ignoriere ich. Ich glaube, dass es absolut falsch ist, den Pharmakonzernen vorzuwerfen, dass sie eine Krankheit erfinden, um Umsatz zu machen. Kurios fand ich aber, dass ich von Anwälten angerufen wurde, die mir angeboten haben, mich gegen den Konzern, der Stilnox herstellt, also Sanofi, zu vertreten. Das sind die Schlaftabletten, die mich fast umgebracht hätten.
Werden Sie gegen den Konzern vor Gericht ziehen?
Nein. Ich habe den Fehler selbst gemacht. Mein Arzt hat mir am Anfang gesagt, ich darf das nicht täglich nehmen, man gewöhnt sich daran, man wird abhängig und dann braucht man eine höhere Dosis. Irgendwann habe ich mir das Zeug über mehrere Ärzte und verschiedene Apotheken besorgt, um zu verheimlichen, wie viel ich insgesamt nehme. Ich habe getrickst, ich habe gezittert, ich habe geschwitzt, wenn ich nichts bekommen habe. Dabei standen auf dem Beipackzettel mehr Warnhinweise als alles andere. Das ist nicht das Hauptproblem.
Was dann?
Ich werfe dem Konzern vor, dass er überhaupt so ein Zeug herstellt und es Schlafmittel nennt. Das müsste man Betäubungsmittel nennen.
Aber solange es dem Konzern erlaubt ist und es sich gut verkauft, wird er weitermachen. Müsste es nicht Aufgabe der Politik sein, solchem Missbrauch vorzubeugen, indem der Markt klarer reguliert wird?
Mein Appell an die Politik wäre, dass die Einnahme von Opiaten oder Cannabis oder Benzodiazepine aggregiert wird, sodass Medikamentenmissbrauch in großen Mengen bemerkt wird und dass vor solchen Mitteln noch stärker gewarnt wird. Aber noch wichtiger ist, dass die Gesellschaft offener wird. Es wird immer besser. Aber wir sind noch nicht am Ziel, dass Gehirnerkrankungen, psychische Erkrankungen ernst genommen werden, dass man sich seiner Familie und seinen Freunden ohne Angst anvertrauen kann.
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