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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Psychologin Pia Lamberty Wendler-Wahnsinn: "Im schlimmsten Fall führt das zu realer Gewalt"
Michael Wendler ist der nächste Verschwörungspromi. Wie der Schlagersänger sich radikalisiert hat und warum das gerade jetzt so gefährlich ist, erklärt "Fake Facts"-Autorin Pia Lamberty im t-online-Interview.
Sie ist eine der wichtigsten Expertinnen im Bereich der Verschwörungserzählungen, hat zusammen mit Katharina Nocun das Buch "Fake Facts: Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen" geschrieben und für ihre Arbeit als Sozialpsychologin jüngst einen Akademiepreis abgeräumt. Jetzt erklärt Pia Lamberty im Gespräch mit t-online, welche Gefahren von dem Corona-Eklat um Schlagersänger Michael Wendler ausgehen.
t-online: Liebe Frau Lamberty, der Schlagersänger Michael Wendler hat bei Instagram wirre Corona-Verschwörungsmythen verbreitet. Wieder ein Promi mehr, der abgedriftet ist. Was ging Ihnen dabei als erstes durch den Kopf?
Pia Lamberty: Das macht etwas mit der Gesellschaft, wenn plötzlich prominente Figuren Verschwörungsinhalte verbreiten. Aber er steht damit nicht allein da, und die Narrative waren nicht außergewöhnlich. Ich fand das ehrlich gesagt nicht so überraschend. Prominente sind auch nur Menschen, und natürlich gibt es unter ihnen auch welche, die an Verschwörungen glauben.
Bei Prominenten besteht allerdings die Gefahr, dass sie mit ihrer großen Reichweite Inhalte verbreiten, die für die Gesellschaft zur Gefahr werden können.
Das bereitet mir auch am meisten Sorgen. Michael Wendler hat bei Instagram über 290.000 Follower. Das sind nicht wenig Leute. Im Gegensatz zu einer politischen Partei spricht er eine sehr heterogene Masse an und vielleicht sind darunter auch Menschen, die eine gewisse Affinität zu Verschwörungsmythen haben. Wenn diese durch eine Persönlichkeit wie Michael Wendler ermutigt werden, kann es tatsächlich gefährlich werden.
Was meinen Sie genau? Welche Gefahr geht davon aus?
Im schlimmsten Fall glauben die Menschen, sie müssten jetzt etwas tun, um gegen die angebliche Ungerechtigkeit vorzugehen. Wir haben in Studien zeigen können, dass mit dem Glauben an eine 5G-Verschwörung eine gesteigerte Gewalttätigkeit einhergeht. Daten, die wir bereits vor der Pandemie ermittelt haben, zeigten, dass 38 Prozent der Deutschen eine sogenannte Verschwörungsmentalität aufweisen. Also die generelle Tendenz, an Verschwörungen zu glauben. Und davon waren 25 Prozent bereit, Gewalt einzusetzen, um ihre politischen Ziele zu erreichen.
5G-Verschwörung: Mythen um schädliche Strahlungen haben in der Pandemie Hochkonjunktur. Angeblich soll nicht das Coronavirus die Krankheit Covid-19 auslösen, sondern 5G-Strahlung. Das Problem an solchen Vermutungen: Auch Länder wie der Iran sind vom Coronavirus betroffen. Dort wurde zwar das 5G-Netz 2017 bereits getestet, bisher ist es aber nicht flächendeckend im Einsatz.
Das sind erschreckende Zahlen. Ist die Bedrohungslage tatsächlich derart groß?
Natürlich gibt es einen Unterschied zwischen den Aussagen in Befragungen, wo Menschen angeben: 'Ja, ich würde Gewalt anwenden.' Und der dann tatsächlich stattfinden Handlung. Aber man muss sich einfach bewusst machen: Es gibt die Gefährdung, dass sich Einzelne radikalisieren und es gibt die Stimmungslage, dass gesellschaftliche Aggressionen vorherrschen.
Welche Beispiele für diese Aggressionen gibt es konkret?
Auf den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung wurden Maskenträger oder Medienvertreter angefeindet. Dort waren vielfach starke Aggressionen zu beobachten. Es gibt auch viele Alltagsvorfälle im Kontext von Gesichtsmasken: Menschen werden angegriffen, weil sie auf den Mund-Nasen-Schutz aufmerksam machen, Busfahrer, die das Tragen von Masken einfordern, erleben körperliche Gewalt. Es gab auch in Deutschland Angriffe auf 5G-Funkmasten und in anderen Ländern ging es sogar so weit, dass Mitarbeiter von Telekommunikationsunternehmen entführt oder verletzt wurden.
Warum immer wieder Promis, was verleitet sie zu diesen kruden Ideen?
Gerade bei der Pandemie haben wir es mit einer Bedrohung zu tun, die sehr abstrakt ist, die schwer verständlich ist. Unsichtbare Bedrohungsszenarien wie das Coronavirus sind von Menschen insgesamt schwer zu verstehen. In so einer Situation neigen Menschen stärker zu Verschwörungen.
Nun gut, aber das gilt vermutlich für Verschwörungen und ihre Anhänger allgemein. Warum sind es auch Menschen mit einer solchen Popularität und Reichweite. Gibt es dafür Erklärungen?
Es kommen auch persönliche Stressfaktoren hinzu. Das muss nicht auf Michael Wendler zutreffen, aber ein starkes Bedürfnis nach Einzigartigkeit oder ein starker Narzissmus können auch erklären, warum Menschen an Verschwörungen glauben. Man kann sich darüber eben besonders fühlen. Man kann sich darüber aufwerten und das Gefühl haben, man ist die Person, die die Wahrheit kennt.
Was muss mit einem 48-Jährigen passiert sein, dass es so weit kommt? Er pendelt beruflich zwischen Deutschland und den USA, lebt dort in Florida. Allein in diesem Bundesstaat sind bis heute bei über 720.000 registrierten Corona-Infektionen mehr als 15.000 Menschen gestorben. Warum erkennt so ein Mensch die Gefahr des Virus nicht an? Vor allem im Vergleich: Die Unterschiede zwischen Deutschland und den USA sind doch offensichtlich.
In der Psychologie unterscheiden wir zwischen Realität und Wirklichkeit. Die Wirklichkeit ist das, was wir wahrnehmen. Diese Ansichten sind verzerrt durch Ideologien oder Einstellungen. Bei Michael Wendler haben wir es vermutlich mit einer Person zu tun, die ein eher ideologisches Weltbild hat. Die Realität wird ausgeblendet oder umgedeutet, weil sie von den eigenen Ideologien überlagert wird. Michael Wendler ist schwer zu beurteilen, vielleicht steht er noch am Anfang, aber wir haben gesehen, dass die einschlägigen Verschwörungskanäle verbreitet wurden, als er seinen Telegram-Account eröffnet hat.
Offenbar spielte auch der Kontakt zu Attila Hildmann eine wichtige Rolle. Sowohl sein Manager als auch Hildmann selbst bestätigten, mit Michael Wendler "die ganze Nacht" telefoniert zu haben. Wie schafft es so ein irrer Koch, leichtgläubige Prominente mit viel Reichweite für seine Zwecke zu instrumentalisieren?
Vielleicht ist Michael Wendler weniger leichtgläubig als vielmehr mit einer großen Affinität für Verschwörungserzählungen ausgestattet. Er wäre jedenfalls nicht der Erste, der von Attila Hildmann überzeugt wurde.
Absolut. Auch Xavier Naidoo, ebenfalls ehemaliger DSDS-Juror bei RTL, schwirrt seit Langem im Dunstkreis Hildmanns herum. Was sind mögliche Gründe dafür, dass diese Musiker von Hildmann vereinnahmt werden?
Feststeht: Das ist nicht einfach so passiert. Das ist ein Prozess, der Zeit braucht – und die Affinität für eine Ablehnung gegen die Regierung dürfte schon vorher da gewesen sein. Aber ich kenne Herrn Wendler nicht persönlich, ich weiß nur, dass ungefähr ein Drittel der Deutschen an Verschwörungen glaubt. Und wenn dann ein Attila Hildmann auf ihn einredet, verstärkt das womöglich etwas, was eh schon in ihm geschlummert hat. Radikalisierung ist nie ein passiver Prozess. Die Offenheit für die Inhalte ist schon vorher da.
Michael Wendler hatte also offenbar eine gewisse Anschlussfähigkeit und Affinität für Verschwörungsmythen. Bleibt nur noch die Frage, wie er es sehenden Auges in Kauf nehmen konnte, sich in den finanziellen Ruin zu stürzen?
Er wäre nicht der Erste, der seine Arbeit aufgibt. Es zeigt entweder die Fehleinschätzung, dass man mit der neuen Reichweite in einschlägigen Verschwörungskreisen Geld machen kann. Oder es zeigt, wie wichtig es diesen Personen ist, ihre angebliche Wahrheit zu verkünden. Sie sehen es sozusagen als Befreiung, nun nicht mehr Teil eines angeblich korrupten Systems sein zu müssen.
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Der völlige Kollaps, Komplettabsturz. Dafür muss ein Mensch doch so sehr im Sumpf stecken, dass er buchstäblich immer tiefer hineingezogen wird, aber nie mehr hinauskommt.
Das wird häufig in der öffentlichen Diskussion vergessen. Darüber wird sich dann lustig gemacht. Die Verschwörungsgläubigen werden als Verrückte abgetan und dann war es das. Aber wenn jemand wirklich glaubt, dass sich die Regierung eine Pandemie ausdenkt, muss man sich auch mal überlegen, was das für Ausmaße für diese Personen sind. Wenn jemand denkt, dass eine Regierung Gift versprüht, um die Bevölkerung zu reduzieren. Das sind schreckliche Annahmen. Damit sind wir wieder an dem Punkt, wo es wichtig ist zu betonen, wie gefährlich Verschwörungsideologien sein können, weil das im schlimmsten Fall zu realer Gewalt führt.
Wie kritisch ist es, dass eine eigentlich rückläufige Bewegung wieder Aufwind durch den nächsten Promi bekommt?
Wenn Prominente Verschwörungsmythen verbreiten und diese Kanäle an Fahrt aufnehmen, ist das immer eine besondere Gefahr. Gerade auch jetzt, wo wir in einer kritischen Phase der Pandemie sind. Die Zahlen steigen wieder stark an, und wir wissen aus unseren Studien, dass Menschen, die an Verschwörungen glauben, eher bereit sind, zu Demonstrationen zu gehen, dass sie es eher verweigern, Masken zu tragen und dass sie es ablehnen, social distancing zu betreiben. Das wirkt sich also konkret auf der Ebene des Umgangs mit der Pandemie aus. Und das ist besorgniserregend.
Was sollten wir als Mehrheitsgesellschaft ändern? Wie muss dem Wahnsinn begegnet werden?
Ich würde mir wünschen, dass wir uns weniger über dieses Phänomen belustigen, sondern diese Ernsthaftigkeit der Lage akzeptieren. Das war bei Attila Hildmann am Anfang genau das Gleiche – erstmal haben alle nur über den verrückten Tofu-Koch gelacht. Aber auf einmal haben wir gesehen, zu was das führen kann und dass das wirklich gefährlich ist. Verschwörungen sind nicht lustig.
Michael Wendler hat am Donnerstagabend auf Instagram verkündet, seinen Job als Juror bei der RTL-Castingshow "Deutschland sucht den Superstar" nicht anzutreten. Anschließend begründete er die Absage mit kruden Thesen zur Coronavirus-Pandemie und bezichtigte die deutsche Bundesregierung, mit ihren Maßnahmen zur Eindämmung von Sars-Cov-2 die Verfassung zu brechen. Diese Polemik hatte umgehend Konsequenzen. Werbepartner distanzierten sich, RTL kündigte an, nicht mehr mit dem Schlagersänger zusammenzuarbeiten. Wie es für den 48-Jährigen und seine Ehefrau Laura Müller in Zukunft weitergeht? Völlig unklar.
- Telefoninterview mit Pia Lamberty
- Eigene Recherchen