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Brigitte Grothum: "Es ist furchtbar, wenn man die Letzte ist, die noch lebt"


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Die Dame vom Grill
Brigitte Grothum: "Es ist furchtbar, wenn man die Letzte ist, die noch lebt"


26.02.2020Lesedauer: 9 Min.
Brigitte Grothum: Die Schauspielerin spricht im t-online.de-Interview über ihr Alter und Zivilcourage.Vergrößern des Bildes
Brigitte Grothum: Die Schauspielerin spricht im t-online.de-Interview über ihr Alter und Zivilcourage. (Quelle: imago images / Charles Yunck)

Als "Dame vom Grill" eroberte Brigitte Grothum die Herzen verschiedenster Zuschauer. Im t-online.de-Interview erinnert sie sich an die Kultserie, aber auch an den Krieg und mahnt: "Wir stehen gerade wieder kurz davor."

Am 26. Februar wird Brigitte Grothum 85 Jahre alt. Ihren Geburtstag will die Berliner Schauspiellegende in diesem Jahr nicht feiern – aus privaten Gründen. Im vergangenen Jahr starb ihr Mann im Alter von 90 Jahren. Doch in Grothum steckt noch so viel Leben, so viel Energie. An Rente denkt sie noch lange nicht, hat sie noch nie. In ihr brodelt eine Leidenschaft und die muss auf die Bühne und gesehen werden.

Im Interview mit t-online.de ist von diesem Feuer, das Brigitte Grothum sonst auf der Bühne entfacht, auch bei einem anderen Thema viel zu spüren: Politik. Die Mimin wurde 1935 geboren, hat den Nationalsozialismus und auch seine Folgen miterlebt. Heute, nicht einmal 100 Jahre später, fürchtet sich Grothum vor einer Wiederholung. Sie sieht nur einen Ausweg für die Katastrophe, die bevorsteht: Wir alle müssen lauter werden und Zivilcourage zeigen.

t-online.de: Frau Grothum, eine Ihrer großen Rollen war die in "Drei Damen vom Grill". Mit welchen Gefühlen blicken Sie heute auf die Serie zurück?

Brigitte Grothum: Immer noch ungeheuer positiv. Es war eine Familienserie, es war für den Vorabend und wenn man so will keine große Kunst. Aber es hat 16 Jahre lang allen Schichten gefallen vom Professor bis zur Putzfrau. Ich höre das heute noch: Die Leute kommen zu mir an die Tür im Theater und freuen sich über die "Dame vom Grill". Das ist ein Markenzeichen, da ist immer noch etwas Lebendiges. Die Serie ist Kult. Ich erinnere mich immer noch sehr gerne an die Zeit.

Was war das Besondere?

Für damalige Verhältnisse ist das eine gut geschriebene und gut besetzte Serie, für die wir uns nicht zu Tode gearbeitet haben. Es wurde ja damals nicht so viel am Tag gedreht wie heute. Wir hatten Zeit für die Sache und wir hatten Spaß. Wir haben uns alle wirklich sehr gut verstanden. Die ganze Berliner Schauspielelite war dabei. Keiner hat es sich nehmen lassen, einmal bei den "Drei Damen vom Grill" mitzuspielen. Ich denke wirklich nur mit guten Gefühlen an die Serie zurück. Manche fragen mich: Mensch, du hast so viele tolle Sachen gemacht, nervt es nicht, dass du als "Dame vom Grill" so festgemacht wirst? Nein, das denke ich gar nicht. Ich finde es schön, weil es eine volkstümliche Sache war, die den Leuten gefallen hat. Und wir machen das doch nur für die Leute und für niemanden sonst.

Angst vor finanzieller Absicherung im Alter, Belästigung am Arbeitsplatz, emanzipierte Frauen – die Serie hat ja auch damals schon Themen behandelt, die heute wieder sehr aktuell sind …

Absolut. Die Serie ist vollkommen aktuell geblieben. Das war damals sehr fortschrittlich. Drei Frauen, die gesagt haben, wir wollen nicht verheiratet werden, wir wollen selbst bestimmen. Das war ja damals sehr modern und feministisch. Vieles hat sich Gott sei Dank geändert. Aber vieles ist auch heute noch so geblieben: Frauen haben es immer noch schwerer im Beruf. Frauen sind immer noch nicht überall so anerkannt. Frauen können sich immer noch schwerer durchsetzen als Männer. Wir waren damals schon sehr sozialkritisch und fortschrittlich, eingepackt in Berliner Colorit. Wir hatten gute Schauspieler und richtig gute Texte, das ist auch wichtig.

Viele Schauspieler aus der Serie sind heute leider gar nicht mehr unter uns. Denken Sie daran manchmal?

Ich denke oft daran. Immer wenn ich unsere Besetzungsliste irgendwo sehe, weil die Sendung noch mal läuft, denke ich: Brigitte Mira tot, Günter Pfitzmann tot, Harald Juhnke tot, Evelyn Gressmann tot, Gerd Duwner tot. Es ist furchtbar. Es ist furchtbar, wenn man die Letzte ist, die noch lebt. Gerade mit Blick auf mein Alter beeindruckt mich das dann schon. Alle haben uns verlassen und ich bin noch da. Da fragt man sich natürlich, wann bist du dran?

Ist dieser Gedanke an den Tod, einer, der Ihnen oft kommt?

Ja. Ich muss ehrlich sagen, mit zunehmendem Alter denke ich öfter an den Tod.

Sie werden heute 85 Jahre alt. Fühlen Sie sich auch so?

Furchtbar, kaum zu glauben. Nein, ich fühle mich gar nicht so. Ich habe es gar nicht bemerkt. Es ist mir jetzt erst bewusst geworden, als ich die Zahl gelesen habe. Deshalb fällt es mir jetzt auch an manchen Sachen auf. Wenn ich die drei Treppen zu meinem Sohn hochgehe zum Beispiel. Früher bin ich da hochgerannt, heute bin ich schon aus der Puste. Es sind Kleinigkeiten, aber an sich merke ich es physisch nicht. Von der Psyche her schon. Wenn ich die Acht und die Fünf sehe, dann wird mir schummrig, da wird mir angst und bange. Eigentlich ist das eine Zahl, mit der man gar nicht mehr auf die Erde gehört, mit der man eigentlich schon weg ist.

Aber heute werden viele Menschen sogar weit über 90 Jahre alt.

Ja, das stimmt. Wenn man gut beieinander ist und im Kopf richtig ist, dann ist das auch wunderbar. Aber man hört doch auch von vielen, die in diesem Alter nicht mehr fit sind oder im Altersheim rumkrepeln. Das macht einem schon Angst. Das muss ich schon ehrlich sagen. Es ist beängstigend, dass die Leute so alt werden und dann einfach nicht mehr fit sind. Alle wollen alt werden, aber nicht alt sein. Wenn man alt wird, muss man sich eben auch damit abfinden, dass bestimmte Sachen abnehmen, vom Gedächtnis her oder vom Körper. Bei mir ist das alles okay. Toi, toi, toi. Das kann sich aber auch jeden Moment ändern.

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Stehen Sie auch mit 85 weiter auf der Bühne?

Ich habe jetzt unterschrieben und stehe im Herbst – so Gott will – auch wieder auf der Bühne. Wir spielen die Fortsetzung von "Monsieur Claude und seine Töchter" auch wieder mit Peter Bause. Also ich plane schon, dass ich weiterspiele. Wie es dann wird, weiß kein Mensch in dem Alter. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, dass ich in meinem Alter so langfristige Verträge nicht mehr unterschreibe. Aber ich habe es doch unterschrieben. (lacht)

Was war der Grund dafür?

Mein Intendant hat mich dazu ermutigt, der Herr Dieter Hallervorden. Er wird im September auch 85, der macht ein großes Fest und hat jetzt die "Safe the Date"-Karten verschickt und dazugeschrieben, er sei ein Optimist, deswegen lädt er jetzt schon ein. Alle haben mich ermutigt und gesagt, du bist doch noch fit.

Haben Sie nie daran gedacht, mit 67 Jahren in Rente zu gehen, sich Ruhe zu gönnen?

Nein, nie! Ich hatte nie das Gefühl, dass ich mich zurücklehnen will oder mich zurücksetzen muss. Für mich ist das Theater ein Jungbrunnen. Auch das Fernsehen, aber es gibt ja immer weniger Rollen in meinem Alter. Das Theater will mich ja noch und ist mir treu geblieben. Wenn ich zwei Stunden abends auf der Bühne stehe oder wenn ich Proben habe, das ist für mich immer mit die schönste Zeit in meinem Leben gewesen. Ich bin eine leidenschaftliche Schauspielerin und ich brenne immer noch wie ein kleines Kind dafür. Für mich ist es überhaupt nicht erstrebenswert, einen sogenannten Lebensabend zu verbringen. Abends in der Stube sitzen und fernsehen oder stricken – das ist nicht mein Ziel. Ich würde mir wünschen, wenn ich im Kopf fit bleibe und die Beine mitmachen, dass ich so lange spiele, wie ich lebe. Wünsche kann man haben, man weiß nie, wie es ausgeht.

Die Treppen zu Ihrem Sohn oder wirklich das Theater – was genau hält Sie so fit?

Ich habe mein ganzes Leben lang gerne gearbeitet. Film, Theater oder Synchron – ich habe mich auf jede Rolle immer gefreut. Es gab ganz wenige Sachen, mit denen ich mich nicht so wohl gefühlt habe, bei denen ich mich ins Theater geschlichen und das Ende herbeigesehnt habe. Generell freue ich mich auch heute noch über jede Aufgabe, nehme sie ernst und mache die Probe gerne. Jeden Abend, an dem ich Vorstellung habe, selbst wenn ich mich zu Hause mal nicht so toll fühle, gehe ich hin, stehe auf der Bühne und fühle mich gut. Dann ist alles weg. Es ist ein Jungbrunnen für mich. Es kann natürlich auch sein, dass es meine Gene sind und ich genauso fit wäre, wenn ich nur zu Hause rumgesessen hätte. Aber ich stelle mir gern vor, dass es meine Liebe zum Beruf ist und die Tatsache, dass ich immer richtig gerne gespielt habe.

Sie haben in Deutschland schon viele Zeiten erlebt, haben den Nationalsozialismus mitbekommen. Was geht in Ihnen vor, wenn Sie Dinge wie in Thüringen oder Hanau mitbekommen?

Es ist erschreckend. Ich habe gestern in den Nachrichten gelesen, dass Herr Seehofer gesagt hat, dass Einzige, was sie jetzt machen wollen, ist mehr Polizei. Das ist doch nicht richtig. Wichtig ist doch, dass jeder Einzelne aufgerufen ist, sofort den kleinsten Anfängen zu wehren. Das wird ja offensichtlich nicht getan. Der Mann, der das in Hanau gemacht hat, war doch im Schießverein. Das muss doch aufgefallen sein. Bekannte oder Freunde hätten beim kleinsten Anlass sagen müssen: Pass mal auf, das sagst du nicht, sonst zeige ich dich an! Die Zivilcourage jedes Einzelnen muss doch viel größer sein. Mit der Polizei allein lässt sich das nicht regeln. Die Polizisten kriechen ja nicht in die Menschen hinein. Wichtig ist, dass jeder von uns viel mehr aufpasst und sich viel mehr wehrt gegen das kleinste Bisschen. Das tun wir nicht.

Was schlagen Sie vor, was kann jeder von uns tun?

Es sind Alltagssituationen, in denen wir laut werden müssen. Wenn ein Taxifahrer rassistische Äußerungen ablässt, müsste man sagen: Ich steige jetzt aus. Mit mir nicht. Man müsste Menschen, die Zivilcourage haben, viel mehr feiern und ehren. Die Leute, die auf der Straße solche Äußerungen von sich geben, die müssen weg. Einfach weg damit. Wir bräuchten auch in der Schule viel mehr Aufklärung. Ich habe das als Kind mitbekommen, was das war mit den Nazis. Ich habe viel nicht kapiert, weil ich zu jung war. Aber meine Eltern schon. Wir haben spät aufgeräumt mit den ganzen Nazis, das ist ein Versäumnis, das wir alle aufholen müssen. Die Fremdenfeindlichkeit muss auf ganzer Linie bekämpft werden, in dem wir alle aufpassen und eingreifen.

Sind Sie besorgt, dass sich so etwas wie im Zweiten Weltkrieg noch einmal wiederholen könnte?

Ja. Wir stehen doch gerade wieder kurz davor. Natürlich. Dieses Starkwerden der AfD. Man darf es ja eigentlich gar nicht sagen, sie ist ja demokratisch gewählt worden, aber so weit hätte es nie kommen dürfen. Die Leute sind unzufrieden und suchen irgendwas in dieser Partei. Die wachsen und wachsen. Eines Tages kommen aus so einer Partei Menschen heraus, die unsere Demokratie kaputt machen. Es fängt ja jetzt schon an mit Nazischmierereien und geschändeten Judenfriedhöfen. Es ist nicht weit. Ich habe schon Angst!

Sind Sie manchmal enttäuscht von den Menschen, dass es überhaupt so weit gekommen ist?

Ich bin enttäuscht von unserer Regierung. Die quatschen nur und machen nichts. Dieses Gerangel um eine Regierung in Thüringen ist empörend. Sie denken nicht darüber nach, dass die Menschen eine Regierung brauchen. Sie albern rum und sagen: Ich mache nicht mit dem, ich mache nicht mit dem. Sie sind gewählt, um für uns etwas zu machen und nicht, um ihre Parteiinteressen zu wahren. Das ist doch alles schrecklich. Die sind eine unfähige Bande.

Denken Sie, dass die aktuelle Kunst genügend Gegenwind bietet, um auf die Missstände aufmerksam zu machen und etwas zu verändern?

Ich glaube schon, dass viel Wert darauf gelegt wird, dass solche Themen in der Öffentlichkeit stattfinden. Es ist nur leider so, dass Kunst in der Politik relativ wenig bewirkt. Sie kann wachrütteln und Gedanken formen. Aber im Großen und Ganzen kann Kunst nicht die große Rolle spielen und kann die Welt leider nicht verändern. Wir denken das manchmal als Künstler, aber dann bemerkt man, dass alles auch schnell wieder vergessen ist und die Menschen nach zwei Minuten weitermachen wie bisher. Aber die Kunst ist trotzdem wichtig und es ist gut, dass sie mitmischt.

Was ist das Geheimnis einer guten Schauspielerin?

Das A und O ist die Liebe und Leidenschaft zum Beruf. Die Grundvoraussetzung ist natürlich ein gewisses Talent. Dieses Talent und eine Ausstrahlung muss man haben, das kann man nicht lernen. Erlernbar sind die technischen Dinge, wie sprechen, sich bewegen, bestimmte Dinge präzise zu machen. Zu gucken, was steckt in dieser Rolle, welche Nuancen muss ich setzen, oder die Technik, dass ich zum Beispiel sieben Mal hintereinander einen Ausbruch machen kann, ohne dass es an die Substanz geht. Das sind alles Dinge, die ich erlernen kann. Das Geheimnis eines guten Schauspielers ist aber die Ausstrahlung, die kann man nicht lernen, die hat man. Manche guckt man an und die machen nichts falsch, aber die interessieren einen überhaupt nicht. Einer macht vielleicht nicht alles nach der Norm, oder den versteht man manchmal gar nicht. Aber man guckt ihn den ganzen Abend an – und das ist das Geheimnis.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Ich wünsche mir für mich und meine Kinder Gesundheit und dass ich noch solange es geht fit bleibe und ihnen nicht zur Last falle. Ich möchte keine alte Mutter sein, die sich an die Kinder ranhängt. Ich hoffe, dass mir das erspart bleibt und ich selbstständig bleibe. Ich hoffe, dass ich noch lange fit bleibe und spielen kann. Gesundheit. Gesundheit. Gesundheit. Alles andere kann ich mir in meinem Alter gar nicht wünschen. Alles andere ergibt sich dann.

Vielen Dank für das Interview, Brigitte Grothum.

Die Schauspielerin Brigitte Grothum steht ab dem 24. November wieder auf der Bühne im Schlosspark Theater Berlin in "Monsieur Claude und seine Töchter 2" .

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