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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Pornoregisseurin Paulita Pappel kritisiert "Wir haben ein Problem mit Pornografie"
Paulita Pappel will die Pornoindustrie verändern. Doch das ist alles andere als einfach. Welches Problem die Menschen mit Erotikfilmen haben, erklärt sie t-online.
Pornos sind ein Tabuthema. Für viele Menschen sind es "Schmuddelfilme". Das erlebt auch Paulita Pappel immer wieder. Sie arbeitet als Regisseurin und Direktorin in der Pornoindustrie. In der ARD-Serie "Player of Ibiza" hat die 36-Jährige einen Gastauftritt. Mit t-online sprach sie über die Verlogenheit der Gesellschaft und warum der Jugendschutz illegale Plattformen fördert.
t-online: Wie kam es zu Ihrem Auftritt bei "Player of Ibiza"?
Paulita Pappel: Die Macher der Serie hatten einen Besuch am Set eines feministischen Pornodrehs geplant. Und in Deutschland gibt es eben nicht so viele feministische Pornoproduzentinnen. Wir haben also miteinander gesprochen und ich fand das Konzept und ihre Vision sehr spannend. Nach dem Gespräch konnten sie sich dann auch vorstellen, dass ich die Rolle nicht nur berate, sondern auch selbst übernehme.
In der Serie sprechen Sie über sexistische und feministische Pornos.
Ich bezeichne meine Pornos mittlerweile nicht mehr als feministisch. Die Medien haben den Begriff zu oft genutzt, um Pornos zu dämonisieren. Es gibt in meinen Augen nicht die "bösen", sexistischen Pornos und die "guten", feministischen. Die meisten Pornos, die derzeit gedreht werden, werden in Eigenregie und in den eigenen vier Wänden produziert. Daran ist wenig sexistisch.
Also sind Pornos grundsätzlich nicht sexistisch?
Nur insoweit, als Pornos ein Spiegel der Gesellschaft sind. Und unsere Gesellschaft ist nun mal weitestgehend sexistisch. Es ist also falsch zu sagen, dass die Pornos das Problem seien. Damit schieben wir die Schuld weg und sehen nicht das eigentliche Problem: unseren eigenen Sexismus und den der Gesellschaft. Es ist wichtig anzuerkennen, dass wir in der Gesellschaft generell ein Problem mit Pornografie haben.
Wieso leben wir in einer Gesellschaft, in der wir erwarten, dass Pornos eine realistische Darstellung von Sex wiedergeben?
Paulita Pappel
Inwiefern?
Unsere sexistische Gesellschaft fördert eine Vergewaltigungskultur. Damit ist gemeint, dass der Frau das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung abgesprochen wird und dass Frauen immer Opfer sind. Wenn sie zum Beispiel nachts alleine auf der Straße unterwegs sind, werden sie als potenzielle Vergewaltigungsopfer angesehen. Diese Logik greift auch, wenn Sexualität in irgendeiner Form dargestellt wird. Es wird als potenzielle Bedrohung für die Frau angesehen. Das ist zutiefst sexistisch. Wenn wir also sagen, Pornos sind sexistisch, sagen wir, Frauen sind Opfer und haben keine selbstbestimmte Sexualität.
In der Serie kommt ein Pornodarsteller in den Augen eines Kandidaten "zu früh" zum Orgasmus. Männer in Pornos haben bekanntlich ein langes Durchhaltevermögen. Sind das unrealistische Darstellungen, gegen die Sie angehen möchten?
Diese Fragen müssen wir uns nicht stellen, denn Pornos sind in erster Linie ein Unterhaltungsprodukt. Es greift aber ein Kernproblem auf: Wieso leben wir in einer Gesellschaft, in der wir erwarten, dass Pornos eine realistische Darstellung von Sex wiedergeben? Ganz einfach: weil uns die Sexualaufklärung fehlt. Aber Pornos leisten eigentlich keine Aufklärungsarbeit.
Also sind hier Schulen und damit der Staat gefragt?
Genau, und der Staat versagt. Es ist ein großer Skandal, dass wir kaum andere Ressourcen als Pornos haben, um uns aufzuklären. Hier muss dringend was passieren. Wir brauchen Sexualaufklärung für junge und auch erwachsene Menschen, wir brauchen dringend Reformen des Pornografiestrafrechts und wir brauchen dringend eine Öffnung der Betriebswege für Pornografie. Pornografie wird kriminalisiert und diskriminiert – auf Grundlage des angeblichen Jugendschutzes.
Sie scheinen nicht viel vom Jugendschutz in Deutschland zu halten.
Dahinter verbergen sich sehr konservative Kräfte. Die Arbeit der Medienanstalten und der Kommission für Jugendmedienschutz ist zutiefst lustfeindlich. Sie schreiben erwachsenen Menschen vor, dass sie sich erst persönlich identifizieren müssen, ehe sie einen Porno schauen können. Das ist ein Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung, und es ist eine alte Sexualmoral, die Pornografie als etwas Gefährliches darstellt. Das muss hinterfragt werden. Wir brauchen dringend einen Dialog zwischen dem Jugendschutz und der Pornoindustrie.
Ein Argument des Jugendschutzes ist, dass junge Menschen mit bestimmten Inhalten aufgrund ihres Entwicklungsstandes nicht umgehen können.
Es gibt natürlich Inhalte, die nicht altersgerecht sind. Es gibt in Pornos zum Beispiel Gewaltdarstellungen. Aber da könnte man technologisch effektiv vorgehen. Filter auf Geräteebene könnten eine gute Lösung sein, damit Kinder und Jugendliche nicht ungewollt mit diesen Inhalten konfrontiert werden. Aber stattdessen beharrt der Jugendschutz weiterhin auf einer Altersverifikation. Was in der Praxis komplett nutzlos ist. Und das spielt illegalen Plattformen im Ausland in die Hände. Der Jugendschutz fördert also illegale Plattformen.
Was ist das Problem mit der Altersverifikation?
Die Medienanstalt droht jedem Menschen, der in Deutschland Pornos ohne Altersverifikation ins Internet stellt. Wenn ein Anbieter aber eine Altersverifikation verlangt, ist das nicht mehr wirtschaftlich tragbar, weil die Kunden wegbleiben. In Deutschland ist der Vertrieb von Pornografie laut Strafgesetzbuch legal, aber in der Praxis durch den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) sehr beschränkt. Viele Firmen fliehen deswegen ins Ausland. Auch ich wurde mehrmals von den Medienanstalten gewarnt, dass wegen fehlender Altersverifikation gegen mich bald ein Verfahren laufen könnte. Ich lebe jeden Tag mit der Angst, dass ich von der Polizei einen Brief bekomme. Und ich ärgere mich mehr und mehr über diese unverhältnismäßigen Maßnahmen, während Piraterie-Plattformen in Australien meine Filme unbeschwert verkaufen.
In "Player of Ibiza" plädieren Sie für Pornos in der ARD-Mediathek. Welche technologischen Voraussetzungen sind notwendig, damit das möglich wäre?
Es gibt längst Inhalte in der ARD-Mediathek, die eine Altersbeschränkung ab 18 Jahren haben. Dass es bei der ARD keine Pornos gibt, ist komplett heuchlerisch. Ich habe mit Jan Böhmermann bereits einen gebührenfinanzierten Porno gedreht. Das Gute daran wäre, dass sich die Pornos nicht dem freien Markt anpassen müssten und besondere Schwerpunkte setzen könnten. Safer Sex könnte ein Thema sein, oder Kommunikation, Einvernehmen oder der Umgang mit Fantasien.
Denken Sie, dass sich unsere Gesellschaft in Bezug auf dieses Thema ändern wird?
Ich hoffe, dass wir in zehn Jahren zurückblicken und mit dem Kopf schütteln. Ich sehe aber auch, dass die neue Generation, zu der auch die Macher von "Player of Ibiza" gehören, einen anderen Umgang mit dem Thema haben und viel aufgeklärter sind. Das Problem sind viel mehr die Erwachsenen, die selbst nie aufgeklärt wurden – und so auch niemanden aufklären konnten. Aber es findet eine Veränderung statt.
- Interview mit Paulita Pappel
- ardmediathek.de: "Player of Ibiza", Staffel 1