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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Vorwürfe gegen Lindemann Ermittlungen allein reichen nicht
Die Staatsanwaltschaft ermittelt im Fall Till Lindemann. Das ist ein wichtiger Schritt, um die Vorwürfe aufzuklären, aber nicht genug – ein Kommentar im Video.
Rammstein-Frontmann Till Lindemann sieht sich massiven Vorwürfen zahlreicher Frauen ausgesetzt. Es geht um Machtmissbrauch und sexuelle Übergriffe. Seit mehreren Wochen tauchen immer wieder neue Berichte über ein System zur Akquise von Frauen rund um Konzerte der Rockband auf.
Wie so oft in Fällen, in denen es (auch) um Sexualdelikte geht, sind die Erfahrungen der Betroffenen schwer zu beweisen: Einige erzählen, dass sie ihr Handy bei den berüchtigten Aftershowpartys abgeben mussten – demnach existieren kaum Aufnahmen von besagten Situationen. Zudem sollen viel Alkohol und manchmal sogar K.-o-Tropfen im Spiel gewesen sein.
Zunächst könnte man als Beobachterin meinen, dass Lindemann wegen der fehlenden Beweise vielleicht unbeschadet davonkommt, die Kritik irgendwann einfach versandet. So wie bei anderen Prominenten, die mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert wurden. Doch jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft in zwei Fällen gegen den Rammstein-Sänger – immerhin! Doch das reicht noch lange nicht aus, meint t-online-Redakteurin Rahel Zahlmann im Video.
Wieso eine Anwaltskanzlei es Betroffenen jetzt richtig schwer machen könnte und was die ganze Gesellschaft aus dem Fall Lindemann lernen sollte – den Kommentar im Video sehen Sie hier oder oben im Artikel.
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Es gibt viele, teilweise schwerwiegende, Vorwürfe gegen Rammstein-Sänger Till Lindemann. Seit Wochen sind die persönlichen Geschichten dahinter überall präsent. Viele klingen erschreckend. Doch nachdem die Band zunächst nur mit einem Statement reagierte, indem sie die Vorwürfe dementierte und sich gegen jede Art von Übergriffigkeit aussprach, schlägt Lindemann inzwischen mit erfahrenen Anwälten zurück.
Lange sah es fast danach aus, als könnten die Anschuldigungen einfach so versanden, dass Lindemann juristisch also unbeschadet davonkommen würde. Doch nun ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft in zwei Fällen gegen den Sänger. Das ist gut so. Denn alles andere wäre ein fatales Signal gewesen – für die betroffenen Frauen in diesem Fall, aber auch generell für Opfer von sexuellen Übergriffen.
Die meisten Frauen, die sich zu den Vorfällen vor, während und nach den Konzerten gemeldet haben, wollten anonym bleiben. Warum wohl? Sie haben Angst davor, verurteilt zu werden, nach dem Motto: Warum gehst du denn zu so einer Party? Man weiß doch, was da passiert. Wieso ziehst du dich so aufreizend an? Und wo sind überhaupt die Beweise für K.o.-Tropfen- und Missbrauchsgeschichten?
Zudem haben Lindemanns Anwälte gedroht, mit juristischen Schritten gegen diese Frauen und auch gegen Medien, die den Betroffenen ein Forum geben, vorzugehen. In einer Pressemitteilung erklärten sie die Vorwürfe als „ausnahmslos unwahr“. Die Kanzlei „Schertz Bergmann“, die der Rammstein-Frontmann für „äußerungs- und presserechtliche Angelegenheiten“ beauftragt hat, ist auf Fälle wie diesen – man könnte sagen – spezialisiert. Sie hat schon mehrfach Männern juristisch geholfen, denen sexuelle Übergriffe vorgeworfen wurden.
Darunter Comedian Luke Mockridge und Rapper Marteria, für die die Anwälte gegen die Berichterstattung von „Spiegel“ und „Bild“ vorgingen.
Ja, und auch im Fall Lindemann werden die Anwälte wohl weiter rigoros vorgehen – mit entsprechenden Konsequenzen. Frauen, die ohnehin offenbar eingeschüchtert waren oder an sich selbst zweifelten, wurde es so noch schwerer gemacht, aus der Anonymität heraustreten.
Der Ex-Bundestagsabgeordnete der Linken und Jurist Niema Movassat hatte es auf Twitter gut zusammengefasst: Rammstein habe sich mit diesen Anwälten und deren Stellungnahme „dazu entschieden, statt zur Aufklärung beizutragen, Opfer systematisch mundtot zu machen“.
Dabei ist eine angemessene Aufarbeitung unbedingt notwendig: In Deutschland werden bisher nur etwa 5% der Sexualstraftaten an Frauen angezeigt. Das muss sich ändern. Prominente Fälle, die keine Konsequenzen haben, tragen allerdings nicht zu einer Veränderung bei.
Vor dem Hintergrund ist es gut, dass nun zumindest ermittelt wird. Sollte dabei nichts herauskommen und Lindemann tatsächlich juristisch nichts nachgewiesen werden können, wäre es umso wichtiger, dass die Öffentlichkeit anerkennt: Frauen dürfen sich kleiden, wie sie wollen. Sie dürfen auf Aftershowpartys gehen, die berüchtigt sind. Sie dürfen sogar mit berühmten Rockstars Champagner schlürfen und davon betrunken werden. Nur: All das gibt niemandem das Recht, übergriffig zu werden. Denn das ist immer eine Straftat – und dazu muss ermittelt werden.
Hinweis: Die Berliner Staatsanwaltschaft hat das Ermittlungsverfahren gegen Till Lindemann am 29. August eingestellt. Es konnten keine Belege für ein strafbares Verhalten gefunden werden. Hier lesen Sie die Details zu der Entscheidung. Damit handelt es sich bei dem Sänger der Band Rammstein weder offiziell um einen Tatverdächtigen noch um einen Beschuldigten.
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