Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Trauer um die Queen Es schmerzte mich, den Verfall mitzuerleben
Nach 70 Jahren auf dem Thron ist Königin Elizabeth II. am 8. September gestorben. Der britische Bestsellerautor Simon Beckett teilt seine persönliche Perspektive auf den Tod der Königin.
Bis zum Tod der Queen habe ich mich nie für einen Monarchisten gehalten. Ich bin zwar auch nicht gegen die Monarchie und denke sogar, das Vereinigte Königreich ist mit einer königlichen Familie besser dran als ohne sie. Dem damit verbundenen Pomp und den Zeremonien stehe ich jedoch zwiespältig gegenüber. Obwohl ich erwartet habe, dass der Tod der Queen mich traurig stimmen würde, war ich überrascht, in welchem Maße er mich betroffen gemacht hat.
Am Tag vor ihrem Ableben hatte ich die Queen auf einem Foto mit der neuen Premierministerin Liz Truss gesehen. Es schockierte mich, wie klein und gebrechlich sie aussah. Ähnlich wie meine Mutter – eine überzeugte Royalistin – und meine Schwiegermutter kurz vor deren Tod im vergangenen Jahr. Sie waren in einem ähnlichen Alter wie die Queen und gegen Ende ihres Lebens auf vergleichbare Weise körperlich geschwächt. Es schmerzte mich, den Verfall miterleben zu müssen. Der Anblick der Queen auf diesem Foto brachte mir all das wieder in Erinnerung.
Als ich am Tag darauf hörte, dass man sich um ihre Gesundheit sorgte und die königliche Familie sich in Balmoral versammelte, wusste ich, wie viele andere, was kommen würde. Trotzdem war ihr Tod ein Schock. Der Satz, "Sie war immer da", den ich vergangene Woche immer wieder hörte, trifft den Kern der Sache wohl am besten. Mir fällt niemand ein, der so konstant und beständig Teil des britischen Bewusstseins war wie sie. In den letzten siebzig Jahren – siebzig Jahren – war sie eine ruhige, verlässliche und würdevolle Präsenz. Premierminister kamen und gingen – manche vielleicht nicht schnell genug – aber die Queen war immer da.
Und jetzt ist sie nicht mehr da. Ihr Tod wäre schon in guten Zeiten bedeutsam. In Zeiten einer nationalen Krise, während in Europa Krieg herrscht und es weltweite Unruhen gibt, fühlt sich ihr Tod noch schwerwiegender an, als würde ein weiterer Teil eines soliden Fundaments wegbröckeln.
Autor Simon Beckett
Simon Beckett ist einer der erfolgreichsten englischen Autoren. Seine Thriller werden von einem Millionenpublikum gelesen und wurden weltweit in 29 Sprachen übersetzt. Er lebt in seiner Geburtsstadt Sheffield.
Das erklärt vielleicht, weshalb die öffentliche Trauer sich so anders anfühlt als sonst. Keine Hysterie, lediglich ein allgegenwärtiges stilles Gefühl des Verlusts. Nicht nur im Vereinigten Königreich. Am Tag nach dem Tod der Queen wollte ein Freund von mir während seiner Mittagspause im Namen seiner Eltern und Großeltern Blumen am Buckingham-Palast niederlegen. Nachdem er den letzten verfügbaren Blumenstrauß in einem nahegelegenen Geschäft gekauft hatte, wurde ihm angesichts der endlosen Schlange vor dem Palast bewusst, dass er keine Zeit haben würde, sich anzustellen. Eine Frau, die ihn fragte, woher er die Blumen hatte, versprach ihm schließlich, seinen Strauß für ihn niederzulegen. Wie sich herausstellte, stammte sie aus Berlin. Er war sehr bewegt, denn sein Vater war Pilot im Zweiten Weltkrieg gewesen.
Das ist nur eine von vielen persönlichen Geschichten, die man zurzeit in Gesprächen oder im Fernsehen hören kann. Die Queen war für lange Zeit ein wesentlicher Bestandteil des britischen Lebens, von ihrer im Fernsehen übertragenen Weihnachtansprache bis hin zur obsessiven Berichterstattung der britischen Medien über alles, was die königliche Familie betrifft. Darum fühlt sich ihr Tod so persönlich an, so wie der Tod eines älteren Familienmitglieds, auf den man vorbereitet zu sein glaubt, nur um eines besseren belehrt zu werden, wenn es soweit ist.
Zum ersten Mal seit 1952 ist das Vereinigte Königreich ohne eine Königin. König Charles III. mag ein vernünftiger Mann sein, der eine aufgeklärte Haltung zu Umweltthemen hat und dem Politiker besser zuhören sollten. Ich hoffe, es ist der Beginn einer langen Regentschaft und einer helleren, stabileren Zukunft für uns alle. Zurzeit fühlt es sich nicht so an. Es fühlt sich nach dem an, was es ist: Das Ende einer Ära.
- Gastbeitrag von Simon Beckett