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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Oscars 2022 Der Elefant im Raum
Hollywoodstar Sean Penn appellierte eindringlich an die Academy, den ukrainischen Präsidenten Selenskyj bei den Oscars sprechen zu lassen. Doch nichts da. Der Filmpreis geriet erstaunlich unpolitisch.
Bei den diesjährigen Oscars stand ein Elefant im Raum. Sein Name: Wolodymyr Selenskyj. Bevor die größte Filmshow der Welt ihren Lauf nahm, hatte Hollywoodstar Sean Penn den Dickhäuter in die heiligen Hallen des Dolby Theatres in Los Angeles gehievt – per Interview aus Polen. Dem Sender CNN sagte er, ein Erscheinen des ukrainischen Präsidenten vor einem Millionenpublikum sei eine "großartige Gelegenheit".
"Wenn die Akademie entschieden hat, dies nicht zu tun … wird das der schamloseste Moment in der Geschichte Hollywoods sein", urteilte er im Vorfeld der Verleihung – und behielt damit recht. Der Präsident des Landes, in dem seit mehr als einem Monat Krieg tobt, war weder zugeschaltet noch Thema. Nur in einem kurzen Moment wurde der russische Angriffskrieg überhaupt direkt angesprochen.
Mila Kunis nimmt kurz zum Ukraine-Krieg Stellung
Dafür brauchte es allerdings mehr als anderthalb Stunden. Als Mila Kunis auf die Bühne trat, war es so weit: "Die jüngsten globalen Ereignisse haben viele von uns getroffen", sagte Kunis und fügte an: "Doch wenn man Zeuge der Stärke und Würde derer wird, die einer solchen Verwüstung ausgesetzt sind, ist es unmöglich, sich von ihrer Widerstandsfähigkeit nicht bewegen zu lassen." Die Schauspielerin, die 1983 in der Ukraine zur Welt kam, betonte den tapferen Kampf ihrer Landsleute gegen die "Dunkelheit". Nach ihren zwei kurzen Sätzen folgte der politischste Moment des Abends.
Eine Schweigeminute wurde angekündigt, die Veranstalter blendeten Texttafeln ein. "Während Filme für uns ein wichtiger Weg sind, um unsere Menschlichkeit in Zeiten von Konflikten auszudrücken, brauchen Millionen von Familien in der Ukraine Nahrung, medizinische Versorgung, sauberes Wasser und Notdienste, Ressourcen sind reichlich vorhanden, und wir – gemeinsam als globale Gemeinschaft – können mehr tun", war auf den Screens des Festsaals zu lesen.
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Doch das war es dann auch schon. Verglichen mit Oscar-Verleihungen in der Vergangenheit geriet der Anteil politisch wichtiger Aussagen auffallend klein. Schließlich sind die Oscars die größte Show der Entertainmentbranche. Prominente nutzen die Awards schon immer als Anlass, um Statements zu setzen. Die #metoo-Bewegung, "BlackLivesMatter" – in den vergangenen Jahren wurden zwischen Glitzer und Glamour so einige Botschaften in die Welt getragen.
Die Erwartungen waren dementsprechend groß in diesem Jahr. Auch Moderatorin Amy Schumer, die als Gastgeberin durch den Abend führte, hatte ihre Hoffnung zum Ausdruck gebracht, den Ukraine-Präsidenten in der Show sprechen lassen zu können. Der Produzent der Academy Awards, Will Packer, hatte allerdings bereits vorab betont: "Es geht um Spaß, es geht um das Gelage." Man müsse darauf achten, ein "Gleichgewicht" zu finden, so der Mann, der bei den Oscars im Hintergrund die Strippen zieht.
Hinter den Kulissen wurden Wetten abgeschlossen
Wie t-online-Reporterin Jennifer Doemkes aus Los Angeles berichtet, wurden hinter den Kulissen Wetten abgeschlossen, wie wahrscheinlich es denn sei, dass Selenskyj Teil der Show wird. Man erwartete zumindest modische Statements auf dem roten Teppich und große Ansprachen von Moderatoren, Laudatoren und Preisträgern. Doch der Krieg spielte lediglich eine Nebenrolle in Hollywoods größter Filmnacht.
Nur vor den Türen des Dolby Theatres in Hollywood kam es zu einem flammenden Appell. Dort setzte Touristenführer Gregg Donovan wohl das optisch stärkste Zeichen. Der als "Botschafter von Hollywood" bekannte Amerikaner demonstrierte im roten Frack und mit schwarzem Zylinder auf dem Hollywood Boulevard und hielt Schilder mit der Aufschrift "Hollywood steht zur Ukraine" oder "ACADEMY LET HIM SPEAK" mit einem Bild von Selenskyj hoch. Einen Souvenir-Oscar hatte er mit den ukrainischen Farben Blau und Gelb verziert.
Wird Sean Penn seine Statuen einschmelzen?
Fast am Ende des Abends, als der größte Aufreger gerade das gesamte Publikum in Aufruhr versetzt hatte, weil Will Smith Comedian Chris Rock ins Gesicht geschlagen hatte, war dann doch noch einmal das Wort "Ukraine" zu hören. Amy Schumer nutzte eine kurze Gelegenheit und sprach fast schon beiläufig von einem "Genozid" in der Ukraine und sagte, dass vor allem Frauen dort gerade "alle ihre Rechte" verlieren würden.
Bei dieser dünnen Ausbeute wird es spannend sein, zu beobachten, wie Sean Penn künftig mit seinen Oscar-Trophäen umgeht. Der Schauspieler hatte einst für die Filme "Mystic River" (2004) und "Milk" (2009) Goldjungen gewonnen – und in seinem Boykott-Aufruf vor der Gala angekündigt, seine Statuen aus Protest "einschmelzen" zu wollen, wenn kein bedeutendes Signal von den Oscars ausgehe. Gut möglich also, dass irgendwo in Polen bald Überbleibsel von massiver Bronze und 24-karätigem Gold gefunden werden. Denn das ist das Material, aus dem die Oscars gemacht sind.
- Eigene Beobachtungen vor Ort
- Live-Übertragung der Oscars auf ProSieben