Schon gehört? Der Soundtrack der Woche (11. September 2020)
Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.In der Flut von neuen Alben und Neuauflagen alter Klassiker kann man schon mal den Überblick über die Musiklandschaft verlieren. t-online hat dafür offene Ohren und gibt Ihnen Lauschtipps.
Bei Spotify, Apple Music und Co. wird man mit Neuerscheinungen schier überfordert. Playlists aktualisieren sich ständig, nicht alles darin gefällt und überhaupt ist das Album doch das viel schönere Format. Wenn Sie mal wieder richtig Lust auf neue Sounds haben, Ihnen aber die Zeit fehlt, sich durch die Veröffentlichungen der Woche zu hören, stimmt t-online Sie mit der wöchentlichen Rubrik "Schon gehört" (jeden Freitag) ein. Hier gibt es die besten, wichtigsten und skurrilsten Alben für die nächsten sieben Tage.
Marilyn Manson – We Are Chaos
Zugegeben: Marilyn Manson schockt seit dem Gothic-Leckerbisschen "Eat Me, Drink Me" von 2007 nicht mehr wirklich. Gute Alben machte er dennoch meistens ("Born Villain" war wirklich nix ...). Nach dem stilistisch eher sprunghaften "Heaven Upside Down" vor vor drei Jahren meldet sich der Schock-Rocker nun mit "We Are Chaos" zurück.
Und das hat es wieder in sich und ist vielleicht seine stärkste Platte seit "Eat Me, Drink Me" (viel besser als ihr Ruf übrigens, hören Sie da noch mal rein!). Schon das stimmungsvolle Intro von "Red Black and Blue" lässt aufhorchen und mündet in eine schöne Industrial-Rock-Nummer, die wie ein dunkles "Mechanical Animals" wirkt. Generell kommen die Glam-Rock-Einflüsse von Mister Manson wieder deutlicher durch. Auch seine Vorliebe für 80er-Sounds wie Gary Numan oder New Order lassen Nummern wie "We Are Chaos", das melodische "Don't Chase The Dead" oder das fast schon schnulzige "Let Me Paint You With My Love" erkennen. Mit "Infinite Darkness" und "Perfume" hat Marilyn Manson dennoch den einen oder anderen Brecher drauf.
"We Are Chaos" ist kein neues "Antichrist Superstar". Der Horror von damals ist mittlerweile einem eher eleganten Gruseln gewichen. Macht nix! Brian Warner hat spätestens seit "The Pale Emperor" wieder richtig Bock auf Musik und erfindet sich mit jedem Album neu. So auch hier mit einigen starken Songs.
Mastodon – Medium Rarities
Medium rare mag ich mein Steak auch. Meine Mastodon hingegen mag ich eher, wenn sie's well done machen. Machen sie auch meistens. Die beliebten Prog Metaller legen mit "Medium Rarities" eine Compilation von B-Seiten, Samplerbeiträgen, Live-Versionen und anderen seltenen Songs vor.
Das heißt auch, dass diese Compilation nicht aus einem Guss ist, wie etwa "Crack the Skye" oder "Black Emperor". Dennoch hat diese Band technisch mehr drauf, als 8 von 10 anderen Bands. Wildes Gekloppe, krumme Takte, wahnwitzige Instrumental-Passagen, ein Drummer, der mit Armen und Beinen beim Trommeln mehrfach um die eigene Achse wirbelt. Es kommt während der 16 Songs schon ordentlich Stimmung auf. Besondere Highlights sind der "Game of Thrones"-Song "White Walker" sowie das Duett mit Butthole-Surfers-Sänger Gibby Haynes, "Atlanta". Für Fans schon ein Muss, für Interessierte sind die regulären Alben wohl wichtiger.
Doves – The Universal Want
Auch wenn diese Woche sehr Metal-lastig ist, kann ich Ihnen nicht nur Schwermetall zumuten. Ruhiger und verträumter wird es bei Doves, die Ende der 90er besonders im UK große Erfolge feiern konnten, sich aber auflösten und 2018 wieder zusammenfanden.
Irgendwo zwischen Post-Punk und chilligen Electrosounds lassen sich die Briten ansiedeln. Das erinnert manchmal an eine weniger traurige Version der letzten The-National-Platte, manchmal auch an die Foals. "The Universal Want", das erste Album seit der Reunion, klingt am besten, wenn die Jungs nachdenkliche Melodien über sphärische Keyboard-Passagen legen. Und damit klingen die leicht betagten Herren absolut modern. Hier wird kein 90er-Retro-Britpop-Sound aufgefahren, sondern man kann mit vielen aktuellen Indie-Poppern mithalten.
Bonez MC – Hollywood
Er zählt aktuell zu den erfolgreichsten deutschen Rappern. Mit "Hollywood" meldet sich Bonez MC endlich mit einem Soloalbum zurück. Der Vorgänger ist immerhin acht Jahre alt.
Das 187-Strassenbande-Mitglied setzt wieder auf harte Beats und krasse Raps über das Leben, Frauen und money, money, money. Das ist etwas weniger Party-Plastikpalmen-mäßig als die Platte, die er mit Kollegen RAF Camorra gemacht hat. Dennoch scheinen die sonnigen Samples ab und an durch. "Wild Wild West" etwa hat schon einen gewissen Karibikflair. Mit "Roadrunner" und "Ihr Hobby" hat Bonez MC auch Tracks parat, die massig Clubpotenzial innehaben. "Hollywood" geht jetzt nicht so gut rein wie die neue Apache 207, aber sollte Genre-Fans mehr als frohlocken lassen.
Ihsahn – Pharos
Gegen Ende hin wird es hier dann doch noch mal härter. Mit seiner Band Emperor prägte Musiker Ihsahn den (etwas) melodischen Black Metal der 90er-Jahre, fügte Keyboards und Melodie zu dem sonst so kalten und rauen Sound. "In The Nightside Eclipse" von 1994 ist ein absoluter Klassiker. Der etwas gothischere Nachfolger "Anthem to the Welkin At Dust" ist nicht weniger wichtig für das Genre. Auch wenn Emperor zumindest live noch Musik machen, muss man auf neue Songs verzichten. Dafür macht Ihsahn solo seit Langem erfolgreich Musik und bewegt seinen Black Metal in immer progressivere Gefilde.
Ähnlich wie die "Telemark", die erste EP von Ihsan, die in diesem Jahr erschien, gibt es auf "Pharos" drei eigene Songs und zwei eher ungewöhnliche Cover. Ganz anders als "Telemark" (oder anderes Ihsahn-Material) klingt das Material durchweg melodisch. Keine Blastbeats, kein Gekreische, sondern Melodie, klarer Gesang. Teilweise erinnert das irgendwie an geradlinige Passagen von Dream Theater. Das ist mal was anderes von Ihsahn und irgendwie total interessant.
Gecovert werden dieses Mal übrigens die Trip-Hopper Portishead und die schwedischen Synthie-Popper A-ha. Und zumindest bei Letzterem bin ich mir so gar nicht sicher, wie ich es finden soll. Handwerklich und stimmlich ist alles gut, aber so ganz will ich A-ha und Emperor/Ihsahn selbst bei aller Offenheit nicht zusammenbringen.
Skeletal Remains – The Entombment of Chaos
Und auch zum Abschluss muss ich mich für den eher harten Kandidaten entschuldigen. Im Bereich Pop/Schlager kam diese Woche leider nichts raus, da kredenze ich Ihnen nächste Woche mehr. Versprochen! Nichtsdestotrotz ist das neue Skeletal-Remains-Album zumindest für Headbanger ein Highlight.
Cooles 90er-Death-Metal-Cover vorne drauf, schöner 90er-Death-Metal-Sound auf dem Tonträger. Yes, die Jungs haben ihre Hausaufgaben gemacht und fleißig Morbid Angel gehört. Blast Beats hier, Doublebass-Geballer da und hin und wieder etwas Groove und technische Finesse. Auf der Spielwiese der US-Death-Metal-Szene mag sich die Band nicht so ganz festlegen, da auch Klassiker wie Obituary oder Cannibal Corpse durchschimmern. Konsequenterweise wird nahezu völlig auf Melodie verzichtet. Und damit macht "The Entombment of Chaos" definitiv mehr Spaß als "Mortal" von Necrot, welches letzte Woche erschien und in Fachblättern relativ wohlwollend besprochen wurde.
Alle Alben sind am 11. September in digitaler sowie physischer Form erschienen. Haben Sie "Schon gehört", wer nächste Woche dabei sein wird? Es wird wieder weniger gitarrenlastig. Zwar werde ich versuchen, Ihnen das neue Album von Napalm Death schmackhaft zu machen, aber mit der neuen Alicia Keys kommen Freunde feurigen Souls/R'n'B voll auf ihre Kosten, Rap-Fans hingegen können sich auf Bass Sultan Hengzt freuen. Wir hören uns wieder!