Folkrock Spätzünder, gefallene Helden - Folkrock-Boom im Frühsommer
Berlin (dpa) - Eine Warnung gleich vorweg: Modisch ist nichts an der Musik, um die es hier geht - ihr Hipster-Faktor tendiert gegen Null.
Viele dieser neuen Songs hätten schon vor gut 50 Jahren geschrieben werden können, als Bob Dylan und The Band, Buffalo Springfield und The Byrds die amerikanische Folkrock-Revolution losgetreten hatten.
Von diesen großen Namen inspiriert und im besten Sinne zeitlos ist also auch der warme Americana-Sound, den Mike "M.C." Taylor mit seinem Bandprojekt HISS GOLDEN MESSENGER seit fast 15 Jahren (und nun endlich auch mit kommerziellem Erfolg) zelebriert. Es sind Lieder eines immer besser werdenden Musikers, der in der Corona-Pandemie gegen Depressionen zu kämpfen hatte - und die Hörer deswegen mit seinem Album "Quietly Blowing It" nun umso fester in den Arm nimmt.
"Ich hatte viel Zeit, persönliche und intime Songs zu schreiben", sagt der mit seiner Familie in Durham/North Carolina lebende Taylor. Und dass er damit Frieden finden wollte während einer auch politisch extrem unruhigen Zeit, die den Trump-Gegner zusätzlich aufwühlte. Hier hat die Doppelkrise der USA mal Gutes bewirkt: So prächtig wie in den elf neuen Liedern an der Schnittstelle von Folk, Countryrock, Südstaaten-Soul und Jazz klangen Hiss Golden Messenger noch nie.
Die Zusammenführung unterschiedlicher US-Musiktraditionen glückt nur wenigen Singer-Songwritern so gefühlvoll und stilsicher wie etwa in "Hardlytown", "If It Comes in The Morning" oder "Sanctuary". Als wenn Dylan und die Allman Brothers im Studio auf Curtis Mayfield und die Staple Singers getroffen wären - so in etwa hört sich das an. Taylors "Glory Strums" schließlich erinnert an den melancholischen Bruce Springsteen der reifen "Western Stars"-Phase.
Mit dem Vorgängerwerk "Terms Of Surrender" (2019) waren Hiss Golden Messenger bereits für einen Grammy nominiert. "Quietly Blowing It" galt daher schon lange vor der Veröffentlichung (25.6.) als eines der besonders sehnlich erwarteten Folkrock-Alben des Jahres 2021.
Wehmut und Zweifel beim Blick auf das eigene Leben und das eigene Land, aber auch Hoffnung auf bessere Zeiten - Texte und Melodien greifen perfekt ineinander und ergeben ein Americana-Gesamtkunstwerk. Spätzünder Taylor, schon 25 Jahre im Geschäft und lange in winzigen Clubs unterwegs, bleibt indes gelassen: "Ich halte nichts von der Idee, dass ein Album ein "Meisterstück" ist (...). Für mich ist es nur eine Sammlung von Schnappschüssen aus einer bestimmten Zeit."
Ähnlich brillant wie im Fall von Hiss Golden Messenger hat sich das Songwriting bei FAYE WEBSTER entwickelt - allerdings in rasant kurzer Zeit, denn diese Musikerin aus Atlanta/Georgia ist erst 23. Und doch klingt ihr bereits viertes Album "I Know I'm Funny haha" (25.6.) wie das Werk einer sehr viel reiferen Künstlerin. Ein ganz großer Wurf.
Websters Vorliebe für die Pedal-Steel-Gitarre verbindet ihre Musik mit Country, aber sie verzichtet auf jeglichen Ländler-Kitsch und mischt lieber zarte Folk- oder Soul-Elemente (etwa "In A Good Way") hinzu. Getragen vom leicht nasalen, mädchenhaften Gesang entsteht ein wunderbar luftiger Sound, der an Klassiker von Carole King oder an Aimee Mann erinnert. Und die Texte - mal froh angesichts einer gelingenden Beziehung, aber oft auch nachdenklich oder traurig - lohnen definitiv genaues Zuhören.
Eine viel kompliziertere Geschichte steht hinter dem neuen Album von RYAN ADAMS. "Big Colors" (11.6.) war schon vor längerer Zeit fertig und sollte die Laufbahn des 2000/2001 mit "Heartbreaker" und "Gold" als große Hoffnung gestarteten Amerikaners neu beflügeln. Dann kamen 2019 schwere Vorwürfe des Missbrauchs von mehreren Adams-Partnerinnen und -Kolleginnen auf; der begnadete Singer-Songwriter aus North Carolina besetzte plötzlich eine Schurkenrolle in der MeToo-Debatte.
Nach einer öffentlichen Bitte um Verzeihung und dem schüchternen, gleichwohl hörenswerten Folkpop-Comeback "Wednesdays" im Dezember knüpft Adams (46) auf "Big Colors" nun beim großformatigen Americana-Sound früherer Zeiten an. Es gibt einige sehr starke Songs, wuchtige Arrangements, einen Sänger in Hochform - und doch hört man neue Alben des gefallenen Folkrock-Helden wohl noch eine Weile irgendwie anders als damals beim grandiosen Karrierestart.
Ganz ohne bitteren Beigeschmack kann man indes die ebenfalls im Juni erschienenen Platten von zwei US-Veteranen aus der Abteilung Alternative-Country und Roots-Rock genießen:
GARY LOURIS, Chef der stets sträflich unterbewerteten Band The Jayhawks aus Minneapolis, lässt seine Fans mit "Jump For Joy" (4.6.) tatsächlich vor Freude Luftsprünge machen. Neben amerikanischen Ikonen wie Byrds, Beach Boys oder Big Star gehörten immer schon die Beatles zu den Vorbildern des mittlerweile 66-jährigen Sängers und Gitarristen - so perfekt wie jetzt auf seinem zweiten Soloalbum hat er die Stil-Symbiose aber noch nie hinbekommen. Dass Louris die zehn meist recht opulenten Stücke komplett selbst eingespielt und produziert hat, macht die Sache noch erstaunlicher.
Und auch CHRIS ECKMAN, langjähriger Frontmann der hoch geachteten US-Folkrocker The Walkabouts, seitdem als experimentierfreudiger Solo-Musiker und Produzent aktiv, hat noch einmal alles aus sich herausgeholt. "Where The Spirit Rests" (4.6.) konzentriert sich in sieben teils epischen Liedern auf die raunende Stimme des inzwischen in Slowenien lebenden 60-Jährigen, seine Gitarren und seine unaufdringlichen Soundeffekte. Obwohl es in den Texten auch um schwierige Themen wie Verlust, Desorientierung oder Suche nach Heimat geht, verströmt Eckmans Album eine friedvolle Behaglichkeit.