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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Carsten Sebastian Henn Was Gin mit einem Mord zu tun hat
Carsten Sebastian Henn schreibt seit Jahren Romane und Krimis, die einen kulinarischen Bezug haben. Mit t-online.de spricht der Autor über Genuss, wie man einen Gin herstellt und seinen neuen Kriminalroman.
Wenn ein Mensch schon als Kind gern kocht, frische Tomaten riecht und mit Gewürzen experimentiert, kann nur ein kulinarisch interessierter Erwachsener daraus werden. So war es zumindest bei Carsten Sebastian Henn. Der 46-Jährige hat ein Buch geschrieben, das sich neben einem Mord mit einem alkoholischen Getränk beschäftigt, das die Geschmacksknospen ordentlich kitzelt.
Der Kriminalroman "Der Gin des Lebens" handelt von Bene Lerchenfeld, dessen Leben ziemlich verkorkst ist. Das ändert sich erst mal auch nicht, als er eine sehr alte Flasche Gin findet. Allerdings ist es der unglaubliche Geschmack des Gins, der Bene aus seiner Lethargie reißt. Er macht sich auf die Spuren des Gins nach Plymouth. Dort lebt Cathy, die zu Beginn der Geschichte einen toten Obdachlosen in ihrem Garten findet. Mit diesen beiden Handlungssträngen, die sich im Laufe der Geschichte begegnen, schafft Henn eine spannende Wahrheits- und Zutatensuche. Die Spannung verdichtet sich, als klar wird, dass der Obdachlose nicht der einzige Tote ist.
t-online.de: Herr Henn, was war zuerst da: der Mord oder der Gin?
Carsten Sebastian Henn: Zuerst war die Idee da, etwas mit Gin zu schreiben – weil es so ein großartiges Getränk ist. Ich schreibe oft über kulinarische Themen und wenn mich eines besonders fesselt, dann muss ich ein Buch darüber schreiben. Zuvor habe ich unter anderem einen Whiskey- und einen Champagner-Krimi verfasst.
Wie kam der Wechsel zum Gin?
Es ist der Drink der deutschen Krimischriftsteller. Es gibt in jedem Jahr ein Festival des Syndikats, der Vereinigung deutschsprachiger Krimiautoren. Vor etwa vier Jahren fing es an, dass man dort Gin und Tonic trank. Plötzlich tranken das alle – auch ich und zwar mit großer Begeisterung. Vor Kurzem las ich eine Statistik, dass Psychopathen bevorzugt Gin Tonic trinken. Ich weiß aber nicht, was das über die Krimiautorenschaft aussagt.
Und wie geht es dann weiter?
Ist das Thema erst mal in meinem Kopf, will ich auch alles darüber wissen. Wie schmeckt welcher Gin? Wie kann man sie kombinieren? Welche Tonics passen am besten? Ganz automatisch kommt mir im Zuge der Recherche dann eine Idee. Jeder meiner Romane entsteht aus der Leidenschaft für einen kulinarischen Genuss.
Was macht Gin für Sie besonders?
Gin hat, im Gegensatz zu anderen Spirituosen, schon fast etwas Alchemistisches. Man muss eine Rezeptur benutzen und hat wahnsinnig viele Möglichkeiten. Die richtigen Zutaten zusammenzuführen, um dieses für mich flüssige Gold herzustellen, das hat mich gereizt. Darin sah ich den Kern einer Geschichte und die wollte ich gern erzählen.
Es geht auch darum, welche die wichtigsten Bestandteile des Gins sind. Da habe ich Parallelen zu meiner Romanfigur Bene gesehen, der auf der Suche nach den Bestandteilen seines Lebens ist. Und während er im Roman die Zutaten für einen großartigen Gin findet, findet er auch die richtigen Zutaten für sein Leben.
Woher kommt diese Leidenschaft für kulinarischen Genuss?
Ich glaube, das ist bei mir die familiäre Prägung. In meiner Familie zeigt man Liebe durch Essen, wenn man es gut meint. Als Kind durfte ich schon in der Küche mithelfen und später dann auch schnell selber abschmecken und kochen. Da hatte ich schnell Erfolg und habe ganze Menüs für meine Familie gekocht. Die ganzen sinnlichen Aspekte – unser ältester Sinn übrigens ist das Schmecken und er ist nah mit dem emotionalen Zentrum gekoppelt, das hat mich sehr angesprochen. Ich habe deshalb auch Weinanbau in Australien studiert. Genuss, Riechen und Schmecken – all das begeistert mich schon lange und noch bis heute.
Wo gibt es Ihrer Meinung nach denn den besten Wein?
Ich finde die Weine am faszinierendsten, die von ihrer Heimat und von dem Jahr ihrer Reife erzählen. Das ist auch ein großer Unterschied zum Gin. Gin erzählt nicht von den Jahren seiner Erzeugung, sondern von einer genialischen Rezeptur, die unabhängig von Ort und Region reproduziert werden kann. Wein macht genau das Gegenteil und ist deshalb auch ein sehr persönliches Getränk. Ich finde es toll, wenn man diese Persönlichkeit spüren kann.
Auf Weinreisen, wenn ich mit anderen Journalisten aus Japan oder den USA unterwegs bin, merkt man schnell, dass wir ganz unterschiedlich verkosten. Ich bin mit Riesling groß geworden, ich suche immer Frische, und ein Wein muss animierend und nicht so schwer alkoholisch sein. Da reagiere ich sehr empfindlich. Die Amerikaner lieben das Reife, Opulente und bewerten gleich viel höher. Ich würde immer Riesling, Chardonnay aus dem Burgund oder einen Champagner bevorzugen – die sind vital und haben viel Energie.
Haben Sie selbst schon versucht, einen Gin herzustellen?
Oh, das erste Mal bei der Recherche in Plymouth, wo es in der Black Friars Distillery die Möglichkeit gab, einen eigenen herzustellen. Mittlerweile habe ich schon drei Gins selbst gemacht. Dabei habe ich immer einen anderen Ansatz gewählt: Einmal etwas zitrischer, einmal einen erdigen Gin und bei einem weiteren habe ich versucht, die Schärfe rauszukitzeln. Da habe ich mit Pfeffer gearbeitet und wollte eine klare Note haben. Am besten hat aber der zitrische geschmeckt – mit viel Orangen- und Zitronenschalen. Ich rate jedem, das auch einmal zu versuchen. Es ist so einfach! Man braucht eigentlich nur einen Vodka und ein paar Kräuter.
Warum spielt Ihr Krimi in Großbritannien und nicht in Deutschland?
Mein Whiskey-Krimi spielte in Schottland und ein Roman über Rum würde sicher in der Karibik spielen. Den Gin-Krimi hätte ich tatsächlich auch gut in Deutschland spielen lassen können, weil es mittlerweile viele Orte gibt, die ihren eigenen Gin haben. Die Wurzeln des Gins liegen aber in Großbritannien. Bei meiner Recherche bin ich dann auch noch darauf gestoßen, dass die älteste Destillerie in Plymouth ist, da wusste ich, wo ich hinmuss.
Ihre Hauptfigur Bene ist eher ein Außenseiter. War das von Anfang an so gedacht?
Ich weiß bis heute nicht, woher die Inspiration für meine Figuren kommt – aber wichtig ist mir immer, dass sie in sich schlüssig und authentisch sind. Letztlich ist es auch immer ein organischer Prozess. Das ist mir beim Schreiben sehr wichtig: dass ich als Autor auf meine Figuren höre und sie dadurch anfangen, zu leben. Bene ist ein Suchender, der viel ausprobiert, aber immer auch ein wenig am Rand der Gesellschaft steht. Am Rand finden sich nämlich häufig die spannendsten Figuren.
Wie war Ihr Schreibprozess?
Erst einmal gab es viel Vorrecherche zum Gin. Ich habe viele Bücher zum Thema gelesen, traf einen Brenner, einen Barkeeper. Dann war die Grundlage da und da zeigten sich auch schon Elemente der Geschichte. Dann bin ich nach Plymouth gereist. Gerade bei einem kulinarischen Krimi ist es wichtig, dass die Leser nicht nur Bilder vor Augen haben, sondern die Stadt auch riechen und schmecken können. Von der ersten Idee bis zum fertigen Roman brauchte ich dann etwa ein Jahr – und etliche Flaschen Gin und Tonic.
Gibt es ein Buch, das sie selbst gern geschrieben hätten?
Da gibt es viele. Im vergangenen Jahr hat mich zum Beispiel "Was man von hier aus sehen kann" von Mariana Leky sehr beeindruckt. Das ist zwar ein komplett anderes Genre, aber Leky hat so einen feinen Humor und das Buch ist so elegant geschrieben. Die Figuren sind mit wenigen Pinselstrichen so auf den Punkt gebracht. Ich mochte die Dynamik des Figurenensembles gern und habe es sehr genossen, dieses Buch zu lesen.
Bewegt hat mich auch "Fuchs 8" von George Saunders. Ein unfassbar kluges Buch und sehr berührend. Das würde ich jedem ans Herz legen. Ich lese auch nicht nur Krimis, sondern kreuz und quer und lasse mich da gern inspirieren. Es ist wie bei Getränken: Immer dasselbe würde auf Dauer langweilig werden.
Vielen Dank für das Gespräch.