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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Buchtipp der Woche Milchmann jagt 18-Jährige – Preis für Roman aus Irland
Jedes Jahr werden herausragende Romane mit dem Booker-Preis ausgezeichnet. 2018 gewinnt Anna Burns mit "Milchmann" die Ehrung. Nun ist das Buch auf Deutsch erschienen.
Jede Woche stellt t-online.de ein neues Buch vor. Diesmal: "Milchmann" von Anna Burns. Der Roman ist 2018 mit dem Booker-Preis, dem wichtigsten britischen Literaturpreis, ausgezeichnet worden. Burns ist die erste Autorin aus Nordirland, die den Preis erhalten hat. Nun ist das Buch im Tropen Verlag auf Deutsch erschienen.
Worum geht's?
Der Roman spielt in einem nicht näher benannten Ort, die Hauptfigur ist 18 Jahre alt und wird von einem Mann, der nur Milchmann genannt wird, verfolgt. Der deutlich ältere Milchmann taucht plötzlich auf, lauert hinter Straßenecken oder fährt neben der im Gehen lesenden jungen Frau im Auto her und versucht, sie in ein Gespräch zu verwickeln. Zunehmend fühlt sie sich unter Druck gesetzt. Dann gibt es auch noch andere, wie etwa den Schwager, der immer wieder anzügliche, unpassende Bemerkungen macht. Er unterstellt der jungen Frau, eine Affäre mit dem Milchmann zu haben, nur weil er einmal sah, wie sie mit ihm sprach. Die Situation spitzt sich zu. Schon auf der ersten Seite ist klar: Milchmann ist tot. Wie es dazu kommt, offenbart der Roman Stück für Stück. Und Milchmann wird nicht der Einzige sein, der im Verlauf der Geschichte sein Leben verliert.
Anna Burns stammt aus Nordirland. Der Konflikt, die Aufteilung Irlands in Nordirland und die Republik Irland im Jahr 1922, spielt im Roman eine unterschwellige Rolle. Die Hauptfigur hat Angst aufzufallen, will auf keinen Fall Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Die Gesellschaft im Roman scheint von Angst vor Gewalt geprägt zu sein. Die Stadt, in der sie spielt, ist zweigeteilt: nicht nur durch einen See und eine Hauptstraße, vor allem durch politische und religiöse Ansichten. Viele Umstände sind von der Autorin sicher so gewählt, dass man sich als Leser in den Konflikt, heruntergebrochen auf eine kleine Stadt, einfühlen kann.
Was ist eine Besonderheit der Geschichte?
Der Stil von Anna Burns ist unverwechselbar. Immer wieder schafft es die Autorin, eine perfekte Mischung zwischen Sachlichkeit und einem sich leise einschleichenden unguten Gefühl zu erzeugen. Besonders ist auch, dass es keine Namen gibt. Der Milchmann, der Schwager, die Schwester – sie alle haben eine zuweisende Bezeichnung, bleiben aber durch den fehlenden Namen in der Distanz. Eine genaue Verbindung zu den Figuren wird nicht hergestellt, aber genau dieses Beobachten macht einen fast schon voyeuristischen Reiz aus.
Warum lesenswert?
"Milchmann" ist ein herausragendes Buch, weil die Übersetzerin Anna-Nina Kroll einen sehr guten Job gemacht hat. Mit viel Fingerspitzengefühl schafft die Geschichte es, den Leser einzunehmen. Auch wenn es ein paar Seiten braucht, um in die besondere Sprache einzusteigen und sich an die langen, teilweise verschachtelten Sätze zu gewöhnen, tut das dem Lesefluss keinen Abbruch. Die Charaktere entwickeln sich, man folgt der 18-jährigen Protagonistin problemlos. Wie bei einer Blüte im Frühling entfaltet sich die Wahrheit um den Mord an Milchmann. Dennoch ist es kein Krimi, sondern vielmehr eine Geschichte vom Erwachsenwerden, der Entdeckung der eigenen Freiheit und Selbstbestimmung.
Für Fans von welchen Büchern geeignet?
"Als Gott ein Kaninchen war" von Sarah Winman
"Die Ballade vom traurigen Café" Carson McCullers
Lieblingszitat?
"Der Tag, an dem Irgendwer McIrgendwas mir eine Waffe auf die Brust setzte, mich ein Flittchen nannte und drohte, mich zu erschießen, war auch der Tag, an dem der Milchmann starb."
- Eigene Recherche
- Tropen Verlag: Anna Burns "Milchmann"