Literatur "Die Erfindung von Paris" in Marbach
Marbach am Neckar (dpa) - "Wenn der liebe Gott sich im Himmel langweilt, dann öffnet er das Fenster und betrachtet die Boulevards von Paris." Heinrich Heine (1797-1856) nutzte das alte Sprichwort gerne, um seine Gefühle für Paris auszudrücken. "Die Boulevards gewährten wirklich einen überaus ergötzlich bunten Anblick."
Heine war bei Weitem nicht der einzige deutsche Schriftsteller und Journalist, der den Lesenden im deutschen Sprachraum französische Literatur und Kultur näher brachte. Die Ausstellung "Die Erfindung von Paris" im Literaturmuseum der Moderne (LiMo) in Marbach bei Stuttgart zeigt von Mittwoch an und bis Ende März 2019 viele andere.
Rund 500 Exponate verdeutlichen, wie eine Stadt in der Fantasie entsteht und wie weit die Prägungen durch etliche Autoren und die Kraft ihrer Bilder tragen. Ulrich Raulff, Direktor des Deutschen Literaturarchivs, bezeichnete Paris am Dienstag beim Rundgang durch die Ausstellung als "Labor der Moderne, Labor des 20. Jahrhunderts".
Heinrich Heine erschuf über 25 Jahre hinweg die Stadt Paris in seinem Werk, gilt als einer der ersten Erfinder dieser Stadt und ihrer Besonderheiten. Die Liste der Autoren, die das allgemeingültige Paris-Bild mit ihren poetischen Entwürfen prägten, lässt sich aber beliebig fortsetzen: Walter Benjamin, Rainer Maria Rilke, Kurt Tucholsky, Ernst Jünger, Paul Celan, Peter Handke.
Die Ausstellung folgt in ihrer Ordnung einer literarischen Erfindung des 19. Jahrhunderts: dem Flaneur, der mit Stift und Kamera je nach Sonnenstand und Lichtstimmung das Wesen der Großstadt erkundet. Jedem Autor wird eine Gangart zugeordnet, mit der dieser Paris für sich erschlossen und für seine Leser erfunden haben könnte. So steht das Entdecken für Heine, das Verirren für Benjamin, das Mäandern für ernst Jünger.
Die Ausstellung zeigt die Schriftsteller im Zwiegespräch mit der Stadt, aber auch mit der französischen Literatur und ihren Literaten. Mal auf Postkarten, dann auf Fotos oder in Textpassagen, Notizen und Skizzen. Sie erforscht nicht nur handschriftliche Zeugnisse verschiedener Archive, sondern nimmt auch umfangreiche Bildersammlungen in den Blick, wie die Leiterin der Marbacher Museen, Ellen Strittmatter, erläuterte.
So ist die Hälfte der Exponate Fotografien, zusammengefasst in Bildergängen von Fotokünstler Yvon (Jean Pierre Yves Petit), Georg Stefan Troller oder Lothar-Günter Buchheim. Der Journalist und Filmhistoriker Siegfried Kracauer (1889-1966) legte dicht gefüllte Zettelkästen und ein umfangreiches Bildarchiv an. Die Erforschung seines Nachlasses habe die Idee zur Ausstellung gegeben - und sei damit quasi "Keimzelle der Ausstellung", sagte Strittmatter.