Literatur Toni Morrison sucht Antworten zur "Herkunft der Anderen"
Hannover (dpa) - Die Angst vor dem Fremden, dem Anderen, bewegt nicht erst seit der großen Flüchtlingsbewegung aus Syrien die politische Debatte in Deutschland und anderen europäischen Ländern.
"Menschen zu anderen zu machen wird erlernt", ist die US-Nobelpreisträgerin und Großmeisterin der der afroamerikanischen Literatur, Toni Morrison, überzeugt.
In ihrem jüngsten Buch "Die Herkunft der Anderen - Über Rasse, Rassismus und Literatur" versucht sie, die Konstruktion des Andersartigen zu analysieren. Weite Teile ihres Buches widmet sie dabei der traumatischen Geschichte der Schwarzen in einem Amerika, in dem die weiße Hautfarbe noch immer normative Kraft besitzt.
Ihr bereits 2017 in den USA erschienenes jüngstes Büchlein basiert auf einer 2016 gehaltenen Vortragsreihe an der Harvard-Universität zum Thema der Rassenzugehörigkeit. Am eindringlichsten ist es im letzten Kapitel, das sich nicht exklusiv dem Rassismus in Amerika, sondern generell "Der Heimat des Fremden" widmet - einem Thema, das aktueller denn je ist. Mit Blick auf die globale Völkerwanderung mit ihren Kriegs- und Elendsflüchtlingen und seiner destabilisierenden Kräfte schreibt sie: "Das Schauspiel der Massenmigration lenkt den Blick unweigerlich auf die Grenzen, jene porösen und verletzlichen Membranen, an denen das Konzept der Heimat als von Fremden bedroht erlebt wird."
Sie warnt - auch mit Hinweis auf die Globalisierung, die die Furcht vor einem "Zuviel an Vielfalt" schürt - eindringlich davor, sich von der Idee einer gleichberechtigten Gemeinschaft aller Menschen zu verabschieden. "Dem Druck, der uns verführen könnte, uns verzweifelt an unsere eigenen Kulturen und Sprachen zu klammern und die anderen auszusperren; der unsere moralischen Maßstäbe dem täglich Opportunen unterwerfen könnte; der uns legalistisches Denken nahelegt, uns zu Vertreibung, Konformitätsdruck, Säuberungen verleitet und uns bei Phantasiegebilden und Gespenstern Zuflucht suchen lässt."
Auch der westliche Blick auf Afrika, so die Pulitzer-Preisträgerin, ist selbst in der Literatur noch heute geprägt vom Konstrukt des Andersartigen. "Mit ein oder zwei Ausnahmen war das Afrika der Literatur eine unerschöpfliche Selbsterfahrungsarena für Touristen und ausländische Besucher", kritisiert sie. Es sei ein Blick von außen, der einem Verständnis entgegensteht: "Es war eine Idee von Afrika, in der sich die Ahnung einer komplexen Nähe mit dem Akzeptierten einer nicht mehr aufhebbaren Entfremdung mischte."
Morrison kommt zu dem Schluss, dass es nach wie vor mangelt an einer echten Verständigungsbereitschaft. Sie schreibt: "Verständnis für die Motive und Empfindsamkeiten der Afrikaner - seien sie böswillig oder wohlgesonnen - erfordert nicht mehr als einen Abschied vom Glauben an unüberbrückbare Unterschiede zwischen den Menschen."