Literatur Politik, Eifersucht und Tod: "Der Graben"
Berlin (dpa) - Der Bestsellerautor Herman Koch (64) ist der Meister abgründiger, tiefschwarzer Romane, die sich packend wie Thriller lesen. Seine meist männlichen Helden sind neurotische Naturen, zynisch, wenig vertrauenerweckend, oft regelrecht unsympathisch.
Seine Figuren stehen auf schwankendem Boden, haben etwas zu verbergen, werden von ihrer Vergangenheit eingeholt. In jedem Fall dräut die Katastrophe unheilvoll im Hintergrund. Für den Leser sorgt genau das für Spannung.
Besonders gut gelungen ist dem Niederländer dieser Effekt in seinen Werken "Angerichtet" und "Sommerhaus mit Swimmingpool". Das erste Buch wurde mehrfach erfolgreich verfilmt, zuletzt unter dem Titel "The Dinner" mit Richard Gere.
Koch-Fans werden von dem neuen Buch "Der Graben" vermutlich enttäuscht sein. Das aktuelle Werk unterscheidet sich doch sehr wesentlich von allen vorangegangen Büchern. Das Thriller-Moment sucht man hier vergebens. Über weite Strecken geschieht nicht viel. Dabei böte das Szenario Abgründe genug.
Denn die Geschichte spielt in den allerhöchsten Kreisen. Der Ich-Erzähler ist niemand Geringeres als der Bürgermeister von Amsterdam, Robert Walter. Ein eloquenter Mann, der beim Volk beliebt ist, sich aber auch gewandt auf glänzendem Parkett bewegt und mit den Prominenten dieser Welt geschmeidigen Umgang pflegt. Doch diesen selbstbewusst auftretenden Politiker quälen höchst alltägliche banale Probleme. Seine geliebte Frau hat er im Verdacht, ihm untreu zu sein.
Was die Sache für ihn noch schlimmer macht: Sylvia scheint ihn ausgerechnet mit dem farblosen Bürokraten und verhassten Ökofanatiker Maarten van Hoogstraten zu hintergehen. Das ist zu viel der Schmach. Walter belauert die beiden und gibt sich fortan ausschweifenden Fantasien hin, die ein beunruhigendes Eigenleben entfalten.
In Rückblenden erzählt Koch, wie sich das Paar einst kennenlernte. Der Leser erfährt, dass Sylvia - die in Wahrheit anders heißt - aus einem östlichen oder südosteuropäischen Land stammt, in dem "der Hang zum Diebstahl oder zur Messerstecherei, zur Lüge, zum Misshandeln von Frauen, zum Verprügeln von Angehörigen bestimmter Volksgruppen, die nicht aus ihrem rückständigen Dorf stammen", an der Tagesordnung ist. Warum dieses so charakterisierte Land nicht beim Namen genannt werden darf, bleibt eines der unergründlichen Geheimnisse dieses Buches.
Derweil geschieht Verstörendes im Leben des Bürgermeisters. Seine hochbetagten, aber noch durchaus rüstigen Eltern eröffnen ihm unverblümt, dass sie gemeinsam freiwillig aus dem Leben scheiden werden. Sein bester Freund konfrontiert ihn mit seiner tödlichen Erkrankung und eine Reporterin will ein höchst diskreditierendes Ereignis aus seiner Jugend ans Licht der Öffentlichkeit zerren, was ihn das Amt kosten könnte. Spätestens jetzt, denkt der ungeduldig gewordene Leser, könnte es doch noch spannend werden. Doch leider verpufft auch diese Hoffnung.
Natürlich finden sich auch in diesem Buch typische Koch-Kleinode, Passagen voller Absurditäten, Biss und Satire, so etwa wenn der Autor genüsslich über die holländische Regierung und speziell das Königshaus lästert ("Mit jeder Generation werden ihre Gesichter leerer"). Doch alles in allem bleibt die Frage: Was will dieses Buch? Ist es die Autobiografie eines Gestörten, der in Fantasiewelten abdriftet und sich dabei mutwillig ins Verderben stürzt? Ist es eine schräge Politik- und Gesellschaftssatire oder gar eine rabenschwarze Auseinandersetzung mit dem Tod? Der Leser sucht nach einem roten Faden und findet ihn nicht.