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Literatur: Ein "Weltmeister ohne Talent" hat viel zu sagen


Literatur
Ein "Weltmeister ohne Talent" hat viel zu sagen

Von dpa
05.06.2018Lesedauer: 3 Min.
Per Mertesacker, der frühere deutsche Fußball-Nationalspieler, stellt seine Autobiografie vor.Vergrößern des Bildes
Per Mertesacker, der frühere deutsche Fußball-Nationalspieler, stellt seine Autobiografie vor. (Quelle: Peter Steffen./dpa)

Berlin (dpa) - Der Zeitpunkt ist gut gewählt. Kurz vor Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland (14. Juni - 15. Juli) hat einer, der vor vier Jahren selbst Weltmeister geworden ist, einiges zu sagen.

Er sagt etwas zum Leistungssport, zur persönlichen Einstellung dazu, zu Förderung und Talentsuche, zu Kumpels und Kollegen, zu Training und mentaler Stärke und Schwäche, zu Leiden und Hochgefühlen, zu Politik, Familie und Gesellschaft. Also fast zu allem, was mit ihm zu tun hat oder ihn beschäftigt: Per Mertesacker, 104-facher Nationalspieler, Weltmeister von 2014, langjähriger Bundesliga- und Premier-League-Profi, in seinem Buch "Weltmeister ohne Talent".

Im Fokus steht die außergewöhnliche Karriere des 33-Jährigen aus Niedersachsen. Selbst Leser, die sich nicht für Fußball interessieren, dürfte dieser locker und unterhaltsam vom Journalisten Raphael Honigstein aufgeschriebene Bericht über den Werdegang eines Sportlers, dem jegliches Talent für Fußball abgesprochen wurde und der dann wörtlich (1,98 Meter) und sinnbildlich zu einem der größten Spieler Deutschlands avancierte, gefallen. Gehört "Merte" doch nicht nur zu den Sympathieträgern, sondern auch zu jener Spezies von Spitzensportlern, die sich eher zurücknimmt, als mit markigen Sprüchen aufzufallen.

Umso erstaunter verfolgte die Nation dann vor vier Jahren gerade von ihm, dem langen Ruhigen, jenes schon legendäre "Eistonnen-Donnerwetter" nach dem WM-Spiel gegen Algerien, als er bei kritischen Reporterfragen heftig reagierte.

Das brasilianische Festival 2014, als die deutsche Nationalmannschaft mit dem Weltmeistertitel gekrönt wurde, nimmt breiten Raum in dem Buch ein. Mertesacker lässt unvergessliche Momente vor dem geistigen Auge entstehen, das Bangen und Hoffen einer ganzen Nation wieder fühlbar werden, aber auch das Zittern, die große Nervosität, die Unruhe der Strategen vor und während eines Spiels. Das alles durchlebt der Verteidiger, den man in England freundlich spöttisch "Big Fucking German" nennt, aber nicht nur vor Großereignissen wie einer WM. Brechattacken und Durchfall vor einem Spiel waren stets seine unliebsamen Begleiter.

Mertesacker beschäftigt sich in dem Buch mit seinen Anfängen, seiner Zeit als Bundesliga-Profi bei Hannover 96, und natürlich ausführlich mit Mitspielern, Trainern und Betreuern, natürlich auch mit dem Bundestrainer Joachim Löw. Mertesacker teilt nicht aus, bleibt sachlich in der Argumentation und frotzelt, wenn es um ihn selbst geht, zum Beispiel, wenn er mal einen über den Durst getrunken hatte.

Im Sommer wird er die Leitung der Nachwuchsakademie bei Arsenal übernehmen. "Der Anfang" ist sein letztes Kapitel - und zugleich eines der interessantesten. Hier nämlich gibt Mertesacker seine Haltung zum heutigen Spielernachwuchs preis, und die hält durchaus Überraschungen bereit. So geht es um die aktuelle schärfere Selektierung junger Talente: Er selbst wäre unter solchen Umständen schon mit 13, 14 oder 15 aussortiert worden, glaubt der "Weltmeister ohne Talent".

"Die totale Fokussierung auf die fußballerische Leistung fängt viel früher an (...) Es ist normal, mit dreizehn, vierzehn schon einen Berater zu haben." Manche verdienten als Premier-League-Azubi bereits eine halbe Million Pfund im Jahr. Diese Summen seien ein Problem. Auch sei es kontraproduktiv, jungen Spielern alle Hindernisse schon von vornherein aus dem Weg zu räumen. Er hingegen wolle, dass die Jungprofis mit der Normalität konfrontiert werden. "Um dieses Rad zurückzudrehen, bedarf es unglaublich vieler Leute, die sich hinter diese Aufgabe klemmen."

Per Mertesacker, der stets als außerordentlich fairer Spieler bekannt und geachtet war, möchte dem Fußball-Nachwuchs klarmachen, dass es nicht immer und überall fair zugeht. "Der beste Fußballer aller Zeiten wird vielleicht nie Weltmeister werden. Dafür läuft ein langer Schlaks, der besser beim Schwimmen gelandet wäre, mit goldenem Pokal in der Hand aus dem Maracana. Kann alles passieren." Eine unterhaltsame Einstimmung auf das bevorstehende Fußball-Spektakel in Russland.

- Per Mertesacker: Weltmeister ohne Talent: Mein Leben, meine Karriere, Ullstein Verlag Berlin, 272 S., 20,00 Euro, ISBN 978-3-8649-3057-7.

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