Literatur "Super, und dir?": die Generation der Selbst-Optimierer
Berlin (dpa) - Marlene Beckmann kann nicht mehr schlafen, nicht mehr essen, keine Beziehungen mehr führen. Was die 31-Jährige aber sehr gut kann: arbeiten. Ideen pitchen. Selfies in den Sozialen Netzwerken posten. Und sich zwischendurch harte Drogen reinziehen.
Marlene ist die Protagonistin in Kathrin Weßlings neuem Roman "Super, und dir?": Eine schnelltaktige Erzählung über eine junge Generation, die sich zerreibt zwischen Karrierezwang und Hedonismus. Die heutigen Mittzwanziger und -dreißiger müssen sich selbst verwirklichen, einen coolen Job haben. Doch feiern müssen sie auch können - wenn auch nur, weil sie anders nicht mehr abschalten können. So zumindest ist es bei Marlene.
Sie ist Volontärin in einer großen Firma, ihrem Wunschunternehmen. Als Jahrgangsbeste mit 1,1-Abitur alles kein Problem. Sie betreut den Auftritt der Firma in den Sozialen Medien, koordiniert unbezahlte Kooperationen mit Bloggerinnen. Mit einer Kollegin sitzt sie in einem engen, lichtlosen Bürozimmer, genannt "Schlauch". In ihrer Freizeit geht sie ins Fitnessstudio der Firma. Mit der Achtsamkeits-App bringt sie sich zwischendurch runter - oder eben mit Koks, Speed oder Ritalin.
70 Stundenwochen sind keine Ausnahme, aber das ist nach Ansicht von Marlenes Chef auch kein Problem, wie er ihr bei einem Afterwork-Drink erklärt: "In dieser Branche und in diesem Job unterscheiden wir nicht zwischen Privat und Arbeit. Es gibt nur das Unternehmen."
Schnell wird deutlich, worauf der Roman hinauswill: Unsere Arbeit macht uns kaputt. Nicht nur, dass wir einen Großteil unserer Zeit mit ihr verbringen. Anders als früher disziplinieren wir uns auch noch selbst - und verzichten freiwillig auf die Mittagspause, um einen guten Eindruck zu hinterlassen.
"Ich denke, das ist ein gesellschaftliches Phänomen", sagte Weßling vor kurzem dem Ullstein-Verlag in einem Interview. "Gerade in westlichen Gesellschaften, in denen sehr viel Wert auf Arbeit und Leistung gelegt wird, wollen alle zeigen, wie effektiv sie sind. Dazu gehört mittlerweile auch, dass man sich selbst gleich mitbearbeitet."
In den Sozialen Netzwerken versucht Weßlings Protagonistin, den Schein zu wahren und postet glückliche Selfies. Währenddessen werden die Drogen immer mehr. Selbst ihr Freund weiß nichts von ihrer Sucht.
"Meine Synapsen fackeln ein Feuerwerk ab", beschreibt die Erzählerin an einer Stelle ihren Rausch. "Die Musik setzt ein, ein leises Wummern im Takt des Herzschlags, Techno, Strobo, Licht an. Der Wodka schmeckt nach Nacht, der Rausch nach Adrenalin, nach Tag, nach Wachheit. Der Körper fällt zurück aufs Kissen, der Kiefer krampft ein bisschen, endlich taub, endlich wach, endlich da, endlich nicht mehr hier."
Über Marlenes Angst, ihre Verzweiflung und den Rausch schreibt die 33-jährige Weßling angenehm direkt und pathosfrei. Ihre Sätze sind schnell, manchmal in vielen, knappen Parataxen aneinander gereiht. Ein schöner Rhythmus, der das Leseerlebnis zum Sog macht. Je mehr Marlene in die Sucht abdriftet, desto intensiver wird die Sprache. Immer wieder findet Weßling eindrückliche Bilder für das langsame Ertrinken ihrer Protagonistin.
Manchmal wird die durchaus berechtigte Kritik an prekären Arbeitswelten allerdings etwas zu holzschnittartig formuliert. Das krakenhafte Unternehmen, in dem Marlene arbeitet, bleibt - obwohl so mächtig - blass und ohne konkretes Profil.
Ein bisschen mehr Subtilität hätte der Gesellschaftskritik des Romans gut getan. Die Mutter sagt an einer Stelle zu ihrer Tochter: "Außerdem waren das andere Zeiten damals. Es gab nicht so viele Optionen, kein Internet und kein Facebook ... Viel klarer: Wenn man heiratet, dann kriegt man auch Kinder und bleibt zusammen." Das hat man als Leserin auch vorher schon verstanden.
Andererseits: In Zeiten, in denen viele auf Instagram und Facebook ihr vermeintlich perfektes Leben inszenieren, und wir auf die Frage nach unserem Gemütszustand reflexhaft mit einem "Danke, gut" antworten, ist eine besondere Deutlichkeit vielleicht auch angebracht. Oder, wie Weßling - die auch als Journalistin, Social Media-Managerin und Bloggerin arbeitet - es jüngst in einer Kolumne für das Portal "Bento" formulierte: "Warum sagen wir nicht einfach hin und wieder, dass alles gerade scheiße ist?"