Literatur Philip Kerrs Serienheld ermittelt weiter
Berlin (dpa) - Bernie Gunther ist eine der seltsamsten Serienfiguren der modernen Kriminalliteratur. In den ersten Romanen der Serie des Briten Philip Kerr (1956 - 2018) war Gunther Kriminalpolizist im Berlin der Nazizeit, danach erlebte er unruhige Zeiten als Privatermittler und Geheimagent während des Zweiten Weltkriegs.
In "Kalter Frieden", dem elften Buch um Gunther, lebt dieser unter falschem Namen als Concierge eines Hotels an der französischen Riviera. Das Leben hat ihm nicht mehr viel zu bieten außer Bridgerunden und schmerzlichen Erinnerungen.
Da reißt ihn eine überraschende Anfrage aus seiner Routine. Eine attraktive Frau, die in der Nähe des Hotels wohnt und öfters im Hotelrestaurant isst, bittet Gunther, ihr das Bridgespielen beizubringen. Sie soll ein Buch über den berühmten britischen Schriftsteller Somerset Maugham schreiben, der im Nachbarort eine exklusive Villa bewohnt und ein leidenschaftlicher Bridgespieler sein soll. So will sie Kontakt zu ihm aufnehmen.
Das Schicksal kommt Gunther zu Hilfe, denn Maugham selbst bittet ihn um einen Besuch und um Hilfe. Der Achtzigjährige wird wegen eines kompromittierenden Fotos erpresst, und der Erpresser selbst hat Gunther als Boten bei der Geldübergabe vorgeschlagen.
Die Hintergrund dieser Wahl wird deutlich, als Gunther den Erpresser trifft. Dieser ist ein alter Bekannter aus der Nazizeit. Für Kerr die Gelegenheit, in zwei ausführlichen Rückblenden die Niederträchtigkeit des Mannes darzustellen. Als Gestapomitarbeiter schikanierte er einen Offizier fast zu Tode, und im Königsberg des Jahres 1945 setzte er Gunther und seine Freundin so unter Druck, dass sie unmoralisch handeln mussten, um zu überleben und den Nazibonzen weitere Verbrechen ermöglichen. Nebenher wird auch das Schicksal des legendären Bernsteinzimmers zum Thema.
Gunther hat wenig Probleme, den Fall in Maughams Sinn zu lösen und somit Zutritt zum Kreis um den Erfolgsautoren zu bekommen. Damit ist der Roman aber noch nicht vorbei, denn die Handlung nimmt erst richtig Fahrt auf. Die Erpressung mit dem Foto war nur das Vorspiel zum eigentlichen Plan. Derselbe Erpresser verlangt nun von Maugham, Tonbänder zu kaufen, auf denen ein britischer Überläufer dem sowjetischen Geheimdienst einige Details über vermeintliche Doppelagenten unter britischen Spionen berichtet, die zum Umfeld des Schriftstellers gehören.
An dieser Stelle wird Bernie Gunther vom Handelnden zum Beobachter des Geschehens. Von nun an übernehmen britische Geheimagenten die Handlung, in der ein wichtiges Problem der britischen Innenpolitik aufgearbeitet wird, an dem der deutsche Gunther wenig persönliches Interesse hat. Erst als die britischen Agenten Gunthers Verwicklung in die Erpressung untersuchen, wird die Rolle des Deutschen wieder größer und die ziemlich verwickelte Handlung spannender.
Nebenher löst Gunther sogar noch einen Mordfall in seiner Umgebung. Mühelos reaktiviert er seine kriminalistischen Fähigkeiten und zeigt sich so den modernen Profis gegenüber weit überlegen, aber im Vergleich zu den anderen Handlungssträngen des Romans geht diese Episode fast unter. Eine schnippische Bemerkung von Gunther passt hier auf eigentümliche Weise: "Mord ist nicht mehr dasselbe Verbrechen wie früher."
Autor Philip Kerr starb am 23. März im Alter von 62 Jahren. Damit ist das Ende der Romanserie um Bernie Gunther aber noch nicht erreicht. Das englische Original von "Kalter Frieden" erschien im Jahr 2016. Seither wurden zwei weitere Romane um die eigenwillige Figur veröffentlicht, ein dritter ist angekündigt. Auch diese Bücher werden sicherlich den Weg auf den deutschen Buchmarkt finden.