Literatur Von Tempelrittern und aktuellen Konflikten
Zürich (dpa) - Frühjahr im Périgord - es könnte so friedlich und idyllisch sein. Wenn, ja wenn nicht der Schotte Martin Walker seit zehn Jahren seiner Fantasie freien Lauf lassen und Bruno, dem fiktiven Chef de police seiner französischen Wahlheimat, alle zwölf Monate einen neuen Fall aufhalsen würde.
Und das scheinbar Absurde daran ist: Krimi-Fans freuen sich auf Mord und Totschlag (auf dem Papier) - natürlich wegen des vorprogrammierten Nervenkitzels, aber auch wegen sinnlicher Genüsse aus Natur, Topf und Garten, Kunst und Kultur. Nicht zuletzt aus Wiedersehens- bzw. Wiederlesensfreude mit Bruno und liebgewordenen Bekannten.
Nun ist es wieder so weit: In seinem neuen Roman "Revanche" unternimmt der Autor, politische Journalist und Historiker Walker (Jahrgang 1947) eine Reise ganz weit zurück in die Vergangenheit. Die Gegend rund um das fiktive Städtchen Saint-Denis bietet sich dafür geradezu an, denn das im Buch beschriebene Château Commarque mit der unglaublichen Geschichte gibt es wirklich. Hier taucht auch gleich zu Beginn die erste Tote auf und mit ihr etliche Rätsel. Wer ist die Frau, war es ein Unfall, was hat die an die Felswand gesprühte Inschrift IFTI zu bedeuten?
Bruno, dem emsigen Polizeichef, passt der Vorfall überhaupt nicht ins Konzept, denn er soll Trauzeuge bei der Hochzeit zweier Freunde sein, was mit einigen Vorbereitungen verbunden ist. Noch weniger sagt ihm zu, dass ihm das Innenministerium für die kommenden zwei Wochen eine junge Assistentin aus Paris an die Seite gestellt hat. Seine Befürchtungen, sie könnte ihn bei der Arbeit eher behindern, sind jedoch grundlos.
Die junge Dame erweist sich als äußerst findig und Stütze bei der Aufklärung. Sie ist es auch, die die Identität der Toten herausfindet. Es handelt sich um die archäologisch und historisch gebildete Israelin Leah. Und bald erkennen Bruno und Amélie, so der Name von Brunos zeitweiligem Schatten, dass der Sturz Leahs vom Felsen kein Unfall, sondern Mord war. Aber das Wie und Warum sind harte Nüsse, an denen bald nicht nur Bruno und Amélie zu knacken haben, sondern in- und ausländische Geheimdienste in Alarmbereitschaft versetzen.
Im Mittelpunkt der Untersuchungen steht auch ein Papier, das Auskunft über die rechtmäßigen Erbauer Jerusalems geben soll. Wenn es denn überhaupt existiert, soll es sich im Château befinden. Wird der Nahost-Konflikt etwa im Périgord ausgetragen? Was Walker dann dem Leser an Historie serviert, ist interessant und auch für Laien gut verständlich. Die Spannbreite reicht von Höhlenmenschen über Tempelritter (die teils hier bis zu ihrer Vernichtung ansässig waren) bis zur Entstehung der Stadt Jerusalem und dem daraus entstandenen und leider immer noch aktuellen Dauerkonflikt zwischen Juden, Christen und Muslimen.
Ja, mehr noch: Der Schriftsteller scheut sich nicht, den blutigen Zwist zwischen Religionen, aus denen Terror entstand und entsteht, ins Heute und aufs französische Land zu tragen - für Bruno ein unglaublicher Verlauf. Für manchen Leser vielleicht auch. Aber undenkbar ist das Szenarium leider nicht. Es ist nicht immer leicht, dem zum Ende hin fulminanten Geschehen zu folgen und die vielen Personen einzuordnen, wenn auch nicht wenige von ihnen Bekannte aus früheren Romanen und natürlich Freunde des Polizisten sind.
Für Bruno immerhin ist diese Vernetzung das Rezept seines Erfolges und funktioniert zum Leidwesen der technikaffinen Amélie mindestens ebenso gut wie die digitale. Gerade die zwischenmenschlichen Kontakte, das Zusammenwirken mit Vertrauten sowie die althergebrachte und auch durch Technik nicht immer ersetzbare Ermittlungsarbeit machen "Revanche" zu einem typischen "Walker", der sich trotz des furiosen Finales gut in die alles in allem eher beschauliche Krimi-Reihe einordnet.
- Martin Walker: Revanche, Diogenes Verlag Zürich, 416 Seiten, 24,00 Euro, ISBN 978-3-257-60880-9.