Literatur "Woher Wohin": Veronika Fischer blickt zurück
Berlin (dpa) - Es begann mit einem Volkslied, einem Politsong und zwei Chansons. Mit diesem gemischten Repertoire bewarb sich die 17-Jährige aus dem Thüringer Örtchen Wölfis 1968 an der Musikhochschule in Dresden.
Sie wurde aufgenommen. Und es dauerte nicht lange, bis Veronika Fischer auch regelmäßig auf der Bühne stand. Rund 50 Jahre später braucht die inzwischen 66 Jahre alte Sängerin mit den langen blonden Haaren und den schönen großen Augen noch immer ihr Publikum und die Musik. Kürzlich erschien ihr 22. Album. Es heißt "Woher Wohin". Unter dem gleichen Titel erschien nun ihre aktualisierte Autobiografie.
Obwohl es nun schon Jahrzehnte zurückliegt, beschreibt sie dort vor allem ihr von Ruhm und Rückschlägen geprägtes Leben vor dem Mauerfall. Schnell nahm ihre Karriere an Fahrt auf. "Der Erfolg kam beinahe über Nacht und war überwältigend. Unsere erste LP (sie erschien 1975) verkauften wir aus dem Stand eine halbe Million Mal." Mit ihrer Band tourte "Vroni" im gesamten Ostblock, hatte allein in den ersten zwei Jahren sechs Hits, darunter "In jener Nacht", "Auf der Wiese" und "Abendlied". "Wir waren in dieser Zeit keinen Tag faul... alles schien möglich."
Aber: "Als Star wohnte ich in einer Ofenheizungswohnung und wusch mich am Waschbecken in der Küche." Und: "Zugleich erwartete man von mir, dass ich mich gesellschaftlich engagiere. Kein falsches Wort, kein Wort zu viel oder zu wenig." Auch die Stasi sei ihr auf Schritt und Tritt gefolgt, sogar nach dem Mauerfall noch, wie sie später in ihrer dicken Akte habe lesen können.
Und: "Ich musste lernen, dass meine Arbeit in meinem Land finanziell kaum Anerkennung fand." Pro Schallplatte bekam sie etwa 6000 Mark - völlig unabhängig von den Verkaufszahlen. Wäre sie mit nur 1,50 Mark an jeder verkauften Platte beteiligt gewesen, wären das bei 1,5 Millionen Stück, die allein in der DDR verkauft wurden, 2,25 Millionen Mark gewesen, rechnet sie vor. "Um dieses Geld hat der Staat mich betrogen."
Ihr Glaube an die Vorteile eines realen Sozialismus ging immer mehr verloren. Als dann ihr Komponist Franz Bartzsch im Westen blieb, sah die 30-Jährige keine Zukunft mehr für sich in der DDR. Fast ihr gesamtes Repertoire durfte fortan nicht mehr gespielt werden, weil es von einem Republikflüchtigen stammte. Veronika Fischer ging mit Mann und Kind nach West-Berlin - und fühlte sich dort, nur wenige Kilometer von ihrem bisherigen Wohnort entfernt, fremd.
"Ich musste feststellen, dass Musik dort grundsätzlich als ein Konsumartikel neben anderen betrachtet wurde." Jeder Künstler sei im "Westen" wie eine Marmeladensorte: "Die Marmelade hat er selbst erzeugt, aber damit hat er sich auch für eine Sorte entschieden, die er von jetzt an "darstellen" muss." Die Sängerin mit der Chanson- und Musicalausbildung aber liebt verschiedene Genres und will sich nicht in eine Schublade stecken lassen. Am wenigsten mag sie die Schlager-Schublade. Genau dort sollte sie im Westen verortet werden.
Als die Musikerin, die im Osten der Mauer ein Star ist, auf der westlichen Seite bei einem Plattenlabel vorspricht, wird ihr mitgeteilt: "Frau Fischer, Ihre bisherige künstlerische Arbeit ist Schnee von gestern." Sie erarbeitet sich ein komplett neues Repertoire und veröffentlicht bis zum Mauerfall sechs LPs. Allerdings hatte sie viel weniger Live-Auftritte als in der DDR.
Schon einen Tag nach dem 9. November steht sie dann wieder auf einer Bühne im Osten. Sie darf nach achteinhalb Jahren Besuchsverbot wieder zu ihren Eltern und ihrer Schwester und kehrt auch als Künstlerin in Deutschlands Osten zurück.
Heute resümiert Fischer: "Für den Osten bin ich die Sängerin von ".. dass ich eine Schneeflocke wär", "Blues von der letzten Gelegenheit", "Auf der Wiese". ... Im Westteil dagegen von "Sehnsucht nach Wärme", "Ein Gefühl wie das Leben." Ich verstand mich immer als Musikerin, unterlag als Sängerin jedoch fortwährend politischen Zwängen. Osten - Westen, Westen - Osten. Ich habe diese Trennung in mir nie zulassen wollen. Ich wollte kein Politikum sein."