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William Shakespeare: So obszön war der Dichter wirklich


Blut, Sex und Horror
Lernen Sie Shakespeares trashige Seite kennen

t-online, Christina Kühnel

Aktualisiert am 23.04.2016Lesedauer: 3 Min.
Szene aus der Tragödie "Titus Andronicus", gespielt im Theater Shakespeare's Globe.Vergrößern des Bildes
Szene aus der Tragödie "Titus Andronicus", gespielt im Theater Shakespeare's Globe. (Quelle: Simon Kane)
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Er schuf zeitlose Dramen wie "Macbeth", die unvergessliche Liebesgeschichte "Romeo und Julia" und Zeilen wie "Sein oder Nichtsein": William Shakespeare scheint der Inbegriff der Hochkultur zu sein.

Vorab muss man wissen: Das Theater zu Shakespeares Zeiten hatte relativ wenig mit dem heutigen Theater zu tun. Statt eines Ortes für das betuchte Bildungsbürgertum war es eher eine Art Live-Kino, befand es sich in direkter Nachbarschaft und Konkurrenz zu Bordellen, Bärenkampf-Arenen und sonstigen Vergnügungsorten und war bei staatlichen und kirchlichen Autoritäten ähnlich verpönt wie diese. Im Publikum saßen nicht nur die Gebildeten, sondern auch das einfache Volk; Handwerker, Lehrlinge, Seeleute oder Bedienstete.

Das schlägt sich in den Stücken nieder, die eben auch die niederen Schichten, den Pöbel ansprechen: Mit einigen seiner Plots könnte Shakespeare noch heute jedem Splatterfilm und jeder platten Teenie-Klamotte Konkurrenz machen.

1. Sex, Sex und nochmals Sex

Nicht nur das heutige TV setzt gerne auf Schlüpfriges. Schon bei Shakespeare war Sex das Thema - und der Barde konnte ganz schön derb sein. "Die Stücke sind vollgepackt mit Schmutz", befand auch Héloïse Sénéchal, die an der Gesamtausgabe für die Royal Shakespeare Company von 2007 mitarbeitete. "Ich habe alleine für die Vagina mehr als einhundert verschiedene Begriffe gefunden."

Auch "The Shakespeare Book of Lists" listet mit Leichtigkeit jeweils 70 Synonyme für weibliche und männliche Genitalien in Shakespeares Stücken auf sowie 75 für den Geschlechtsakt. Beispiele wie "Das Tier mit zwei Rücken machen", eine Umschreibung aus "Othello", sind da noch harmlos. In "Hamlet" etwa macht der melancholische Dänenprinz tatsächlich ein Wortspiel zu dem englischen Vulgärbegriff "Cunt", zu deutsch: "Fotze", damals genauso verpönt wie heute.

Hier finden Sie ein paar weitere der Umschreibungen im englischen Original:

Geschlechtsakt Männliches Genital Weibliches Genital
action, banquet, business, copulation, deal, encounter, game, horsemanship, juggling, labour, night-work, play, score, shake, sport, stuff, tick-tack, trick, union, voyage apricot, arm, carrot, club, cock, eel, fiddle, horn, instrument, knife, lance, finger, loins, member, needle, nose, organ, pistol, privates, shaft, sword, talent, weapon, worm bird's nest, bottle, box, circle, city, cliff, country, crack, eye, flower, fountain, gate, glove, hell, hole, moth, Netherlands, nothing, O, oven, ring, rose, Spain, treasure

Dem prüden 19. Jahrhundert bereiteten die obszönen Stellen besondere Probleme: Die Stücke wurden gnadenlos um jedes unanständige Wortspiel gekürzt, um einen moralisch unbedenklichen "Familien-Shakespeare" herauszugeben.

Für den heutigen Zuschauer sind viele der Wortspiele allerdings nicht mehr ohne Weiteres verständlich. Und in den deutschen Übersetzungen ist von den plumpen Wortspielen sowieso nicht mehr viel übrig. Da erklärt etwa Hamlet in der Szene mit Ophelia lediglich zahm: "Ein schöner Gedanke, zwischen den Beinen eines Mädchens zu liegen." Schade eigentlich.

2. Blut und Horror

Eine Vergewaltigung, 14 Tote, mehrere abgeschnittene Köpfe und Gliedmaßen und zwei Söhne, die aus Rache ermordet und dann ihrer Mutter als Festmahl serviert werden: So blutrünstig geht es in "Titus Andronicus" zu, Shakespeares vermutlich erster Tragödie. Wer sich dieses Gemetzel anschaut, braucht einen starken Magen. Auch in anderen Stücken spritzt das Blut: Im Drama "König Lear" etwa werden dem Grafen von Gloucester mit den Worten "Heraus, du schnöder Gallert" auf offener Bühne die Augen ausgerissen, eins nach dem anderen, und dann auf dem Boden zertreten.

Solche brutalen Szenen wurden zu Shakespeares Zeiten so lebensecht wie möglich auf die Bühne gebracht. An Special Effects wurde dabei nicht gespart: Echtes Tierblut kam zum Einsatz - zum Beispiel in gefüllten Schweineblasen oder in durchtränkten Schwämmen, um Todesszenen möglichst realistisch zu gestalten. Die Zuschauer in den ersten Reihen konnten da schon mal ein paar Spritzer abbekommen: 4-D-Kino sozusagen.

Als "Titus Andronicus" 2006 im Londoner Globe Theater auf die Bühne kam, wo die Stücke möglichst originalgetreu wiedergegeben werden, wurden pro Aufführung bis zu 30 Personen ohnmächtig oder mussten das Stück verlassen, weil die blutigen Szenen sie so schockten.

In einer Filmfassung von "Titus Andronicus" aus dem Jahr 1999 spielte übrigens Anthony Hopkins alias Hannibal Lecter die Titelrolle. Eine passende Besetzung: Das Shakespeare-Stück bietet schließlich mindestens ebenso viel Horror wie "Das Schweigen der Lämmer".

3. Fortsetzungen

Fast ein halbes Jahrtausend vor "Star Wars" und Co. hatte schon Shakespeare die Eingebung, dass mit Fortsetzungen ganz leicht das große Geld zu verdienen ist. Statt um den Krieg der Sterne ging es damals allerdings um englische Geschichte - zu Shakespeares Zeiten ein echter Kassenschlager.

Die Geschichten um den englischen König "Heinrich VI." kamen Anfang der 1590er so gut beim Publikum an, dass innerhalb kürzester Zeit "Teil 1" bis "Teil 3" auf die Bühne gebracht wurden. Insgesamt schrieb Shakespeare zwei Tetralogien von zusammenhängenden Historiendramen - also zweimal vier Stücke. Von so viel kreativer Fortsetzungskunst kann sich sogar George Lucas noch eine Scheibe abschneiden.

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