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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Bond-Star Daniel Craig im Gespräch "Das hat nicht immer geklappt"
Der berühmteste Geheimagent der Welt ist zurück. In "Keine Zeit zu sterben" nimmt Daniel Craig seinen Abschied. Im Gespräch mit t-online gibt der
Es gibt diese eine Szene in "Keine Zeit zu sterben", in der ein neuer Anspruch der Bond-Reihe deutlich wird. Daniel Craig macht sich auf den Weg in sein Schlafzimmer. Dort wartet, wenig überraschend, eine Frau auf ihn. Sie steht, noch weniger aufsehenerregend, vor dem Bett, im Begriff, sich zu entkleiden. So jedenfalls nimmt es das geübte Bond-Publikum an. Oder erwartet irgendjemand, dass sich Daniel Craig an der Bar einen Gin Tonic bestellt? Nein: immer Martini – also auch die hüllenlose Frau dazu.
Doch in der neuen Welt des berühmten Geheimagenten hat sich etwas verändert.
"Ich hätte nicht gedacht, dass es das ist, was du als Erstes ablegst", gibt Craig mit verschmitzt-chauvinistischer Attitüde zum Besten – und lächelt sein reduziertes Gewinnergrinsen. Denn die Frau ist kein Bond-Girl der alten Tage, keine Gespielin des vermeintlichen 007-Frauenhelden. Sie ist beim MI6 die Nachfolgerin von James Bond. Nomi ist ihr Name, gespielt von Lashana Lynch, und sie trägt einen Doppelnull-Status. Nicht irgendeinen: Sie ist 007.
Abgelegt hat sie lediglich ihre Perücke. Statt Sex gibt es Situationskomik. Statt nackter Haut und verschwitzter Körper zwei Spione auf Augenhöhe, die sich ein rhetorisches Duell liefern. Bond 2.0, die Geburt eines feministischen Franchise: Ist es das, was uns die Macher um Regisseur Cary Fukunaga und die Produzenten Michael G. Wilson und Barbara Broccoli hier sagen wollen?
"Ich hoffe, der Umgang mit Frauen im Bond-Franchise hat sich in meiner Zeit als 007 zum Guten verändert", erzählt Daniel Craig im Interview mit t-online. Für ihn sei es immer das gewesen, was er wollte: "Alle Filmcharaktere komplex, interessant und relevant" werden lassen – und das gelte "für die Frauen noch mehr als für alles andere". Die berühmt-berüchtigten Bond-Girls, sie sollen kein schmückendes Beiwerk mehr sein, "sondern ein wichtiger Teil der Story", so Craig.
Daniel Craig: "Das hat nicht immer geklappt"
Doch auch der fünfmalige Bond, der mit "Keine Zeit zu sterben" seinen Abschied gibt, übt Selbstkritik. "Das hat nicht immer geklappt, aber wir haben unser Bestes gegeben", gesteht der 53-Jährige. Léa Seydoux, Naomie Harris, Lashana Lynch und Ana de Armas: Das alles seien für ihn Schauspielerinnen, die in der 25. Verfilmung der Agentenreihe von Ian Fleming "interessante, komplexe Frauenfiguren" spielen.
In der Vergangenheit waren es die Frauen, die ihren Körper in die Kamera halten mussten, möglichst freizügig, entblößt. In Daniel Craigs letztem Bond-Einsatz ist es vor allem er selbst, der nackt zu sehen ist. Paradoxerweise bittet er eine seiner Partnerinnen im Film sogar darum, sich umzudrehen und wegzuschauen, wenn er sich für eine edle Party am Abend in die Smoking-Schale wirft. Das war längst nicht immer so.
Zuletzt sorgte ein Interview für Aufsehen, in dem Fukunaga die James-Bond-Verkörperung von Sean Connery mit dem Wort "vergewaltigen" in Zusammenhang brachte. "Ist es 'Feuerball' oder 'Goldfinger', wo Sean Connerys Charakter im Grunde eine Frau vergewaltigt?", fragte der Regisseur im US-Magazin "Hollywood Reporter" und ahmte die Dialogszene von damals nach: "Sie sagt 'Nein, nein, nein' und er sagt: 'Ja, ja, ja.'" Er urteilte: "Das würde heute nicht gehen."
Bond ein Vergewaltiger? Das würde heutzutage nicht nur das Publikum abschrecken, sondern einen Skandal auslösen und die so auf Kommerz bedachte Filmreihe finanziell in Bedrängnis bringen. In der heutigen Zeit muss ein Bond möglichst verletzlich sein – und der Film drumherum eine ideale Vermarktungsfläche bieten. Schließlich muss "Keine Zeit zu sterben" rund eine Milliarde Dollar weltweit einspielen, um auf eine schwarze Null zu kommen. Mit 250 Millionen US-Dollar ist es der teuerste Bond der Filmgeschichte.
Allein die Verschiebungen wegen Corona haben 50 Millionen Dollar gekostet. Grund waren, klar, nachträgliche Veränderungen, die das Studio vornehmen lassen musste. Wenn die teuren Markenprodukte, vom Aston Martin über das neueste Jacht-Modell von Spirit Yachts bis hin zu Bollinger-Champagner, den Designeranzügen von Tom Ford und Bonds schicken Omega-Uhren, nicht mehr dem neuesten Stand entsprechen, muss im 007-Universum eben noch mal editiert werden – koste es, was es wolle.
"Die Welt verändert sich hoffentlich zum Guten"
Dass angesichts solcher Sachzwänge die Storyline nicht auf der Strecke bleibt, ist an sich schon ein Kunstwerk – auch wenn es mehr schlecht als recht gelungen ist mit "Keine Zeit zu sterben", wie t-online-Chefredakteur Florian Harms hier treffend analysiert.
Das Big Business Bond muss am Leben erhalten werden, geht allein deshalb mit der Zeit und versucht, möglichst wenig anzuecken. Der neue Schurke, gespielt von "Bohemian Rhapsody"-Oscarpreisträger Rami Malek, bringt das in einem Interview mit der Deutschen Presseagentur folgendermaßen auf den Punkt. Als er auf seine erstaunlich nebulös gehaltene, unpolitische Filmfigur angesprochen wird, erklärt er: "Das hat sehr viel mit Kommerz zu tun. Wenn man ein bestimmtes Land beleidigt, verliert man eine gewisse Summe an Geld, die der Film einnimmt. Leider ist das in den meisten Fällen so."
Daniel Craig hat das bei t-online so ausgedrückt: "Die Welt verändert sich und hoffentlich verändert sie sich zum Guten. Unser Job als Filmemacher ist es, das abzubilden und alle Menschen in Filmen zu repräsentieren." Einen großen Anteil daran, dass die Rolle der Frau bei Bond in der Tat vorangekommen und nicht mehr nur reine Staffage ist, hat die "Fleabag" und "Killing Eve"-Macherin Phoebe Waller-Bridge. Die gebürtige Londonerin stieß nachträglich zur Produktion, um die Geschichte "feministischer" zu machen.
"Sie hatte einen riesigen Einfluss auf das Drehbuch", so Craig, der sich persönlich dafür eingesetzt haben soll, dass die für ihre bissigen Dialoge bekannte Kreativschaffende an dem 25. Bond mitarbeitet. Es sind auch diese kleinen Anekdoten rund um dieses gigantische Filmuniversum, die den Ton für die Zukunft setzen.
"Ich glaube nicht, dass ich persönlich aktiv dafür gesorgt habe, dass Bond feministischer wird", räumt Daniel Craig ein, erklärt jedoch: "Es ist einfach meine Art, wie ich die Welt betrachte, welche Wertvorstellungen ich habe. Ich betrachte das auch aus einer rein egoistischen Perspektive: Ich hasse Filme mit Charakteren, die irrelevant sind."
Man mag es ihm glauben. Ihm, dem Bond ohne Brusthaar und mit der blonden Mähne, der anfangs verschmäht wurde und so gar nicht in die Reihe der Sean Connerys, Roger Moores und Pierce Brosnans passen wollte. Daniel Craig hat den MI6-Agenten nahbarer gemacht, menschlicher – mit Gefühlen, die seit dem Tod von Eva Green als Vesper Lynd in "Casino Royale" offenbart wurden. Und mit eigener Familiengeschichte, die auch in "Keine Zeit zu sterben" wieder thematisiert wird.
Daniel Craig "hasst" es, Reden zu halten
Es ist also nur konsequent, wenn sich ausgerechnet dieser Darsteller am letzten Drehtag in Tränen aufgelöst von der Filmcrew verabschiedet. "Alle in den Pinewood-Studios in London verließen ihre Büros und ich realisierte: Ich muss eine Rede halten. Ich hasse das. Aber am Ende wurde es einfach sehr emotional und mir kamen die Tränen. Es war ein wunderschöner Moment, um allen Beteiligten Goodbye sagen zu können", so Craig zu t-online. Für ihn sei es der "emotionalste Moment" seiner Karriere gewesen. "Schließlich spielt man nicht alle Tage James Bond."
Zu alter agententypischer Schmallippigkeit findet der Brite erst wieder zurück, als wir mit ihm in die Zukunft schauen wollen. "Wer mir als Bond nachfolgt? Das ist nicht mein Problem. Aber wenn Sie mich fragen, welche Qualitäten mein Nachfolger braucht, kann ich nur sagen: Er sollte sein Bestes geben." Von einer Frau als Bond ist da nicht die Rede. Aber vielleicht braucht es das auch gar nicht. Eine Schurkin wäre bereits ein Anfang, so wie es Sophie Marceau als Elektra King einst war – die eine weibliche Antagonistin unter einer schier endlosen Vielzahl von bösen Männern.
- Eigene Recherchen
- Interview mit Daniel Craig