Film "In Worten nicht fassbar" - "Utøya"-Film auf der Berlinale
Berlin/Oslo (dpa) - Fast sieben Jahre haben Filmemacher gewartet, bevor sie den Terroranschlag auf der norwegischen Insel Utøya aufgegriffen haben. Jetzt geht das Attentatsdrama "Utøya 22. Juli" auf der Berlinale ins Rennen um den Goldenen Bären.
"Worte können nur begrenzt beschreiben, was dort geschah. Es ist nicht in Worten fassbar, was passiert ist", sagte der norwegische Regisseur Erik Poppe am Montag in Berlin. "Ich denke, ein Spielfilm ist das Richtige, um die Erinnerung an das Geschehen wach zu halten."
Am 22. Juli 2011 hatte der norwegische Rechtsextremist Anders Breivik in Oslo und auf der Insel Utøya kaltblütig 77 Menschen ermordet. 69 von ihnen waren Jugendliche in einem Feriencamp der sozialdemokratischen Partei auf der Insel.
"Der Film ist deshalb sehr wichtig, weil er daran erinnert, was passieren kann, wenn jemand radikalisiert wird", sagte die Vorsitzende der norwegischen Opfer-Selbsthilfegruppe, Lisbeth Kristine Røyneland, der Deutschen Presse-Agentur. Und weil er den Fokus weg vom Terroristen Breivik zurück auf die Opfer lenke. "Wir sind es so leid, immer wieder von ihm zu hören", betonte sie. "Es ist fast, als sei vergessen, was da draußen geschah." Røyneland verlor dort ihre damals 18 Jahre alte Tochter Synne.
Poppe sagte zu seinem Motiv, den Film zu drehen: "Wenn es um den 22. Juli 2011 geht, wird fast immer auf den Terroristen fokussiert. Doch dadurch verschwindet die Erinnerung an das, was er getan hat, was geschehen ist, aus unserem Bewusstsein. Das darf nicht passieren." Der Film zeigt den Täter nicht, sondern nimmt ausschließlich die Perspektive der Opfer ein. Diese künstlerische Spiegelung des grauenvollen Ereignisses sprengt die herkömmlichen Kinogrenzen, taucht sie doch ungewohnt dicht und zwangsläufig brutal in die Realität ein.
Røyneland, die Leiterin der Selbsthilfegruppe aus Überlebenden und Hinterbliebenen, sagte, den Film habe sie unbedingt sehen wollen, bevor er ins Kino kommt. 17 Mal wurde er vor dem norwegischen Kinostart (9. März) mit psychologischer Begleitung für Betroffene gezeigt. "Persönlich war ich sehr beruhigt", betonte Røyneland. "Er ist ehrlich und auf eine Art gewalttätig und brutal. Aber in jedem Fall nicht brutaler als das, was ich in meinem eigenen Kopf habe."
Bei den Überlebenden und Hinterbliebenen seien die Meinungen allerdings geteilt, räumte sie ein. "Einige wollen ihn überhaupt nicht sehen und denken, es sei viel zu früh. Andere meinen, dass es nötig ist."
Erik Poppe warnte in Berlin vor einer wachsenden Faschismus-Gefahr. "Im Europa dieser Tage nimmt der Neofaschismus tagtäglich zu. Deshalb müssen wir uns erinnern, müssen zeigen, wozu Rechtsextremisten fähig sind", sagte er. Die Entscheidung, ganz aus der Perspektive der Opfer zu erzählen, resultiert aus vielen Gesprächen, die Poppe mit jungen Leuten, die 2011 auf der Insel waren, und ihren Eltern vor den Dreharbeiten geführt hat. "Wir haben den Film mit großem Respekt vor allen gedreht, die direkt von dem tragischen Ereignis betroffen sind. Das war uns ungemein wichtig."