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Interview mit Dr. Mark Benecke


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Interview mit Dr. Mark Benecke

t-online, mth

Aktualisiert am 01.10.2012Lesedauer: 8 Min.

t-online.de: Mark, Die Vampire in „Abraham Lincoln Vampirjäger“ tragen durchgehend Sonnenbrillen, aber sie haben keine Probleme mit dem Sonnenlicht. Eher ungewöhnlich, oder?

Dr. Mark Benecke: Dass Vampire nicht im Licht gehen können, wurde für Hollywood entwickelt. Bei „Dracula“-Autor Bram Stoker können sich Vampire problemlos im Licht bewegen. Sie verfügen dann nur über weniger Kräfte. So gesehen sind auch die Vampire in „Abraham Lincoln Vampirjäger“ Rückgriffe auf ganz klassische Vampirmotive: Monster, die im Licht gehen und die sich als Menschen tarnen können.

Gute Vampire sollten außerdem seelisch zerrissen sein. Nicht so wie die Weichspülvampire bei „Twilight“. Das ist die Vampir-Version für Kinder und frustrierte Hausfrauen. Vampire, die unter ihrem Schicksal leiden, sind dagegen tausendmal interessanter, wie zum Beispiel bei „Underworld“ oder bei Bram Stoker.

Ärgert dich als ausgewiesener Vampirexperte eigentlich die Darstellung der Vampire in „Twilight“? Wenn zum Beispiel ein Vampir in der Sonne nicht verbrennt sondern golden glitzert?

Grundsätzlich muss man sehen, dass sich das Vampirmotiv dauernd selbst neu erschafft. Das Motiv ist größer als der einzelne Autor. Es ist durch die vielen Verfilmungen Teil der meisten westlichen oder vom Westen beeinflussten Kulturen geworden. Die Autoren sind eher Werkzeuge dieses tief verwurzelten Motivs, das jeder Mensch verstehen kann: ewige Liebe, ewige Verbundenheit, und dass man aus Liebe etwas Hässliches tut, also jemanden zu sich ins Grab zieht oder umbringt. So gesehen kann ich auch mit „Twilight“ leben. Und eigentlich ist es ja auch ganz nett, dass sich eine neue Generation, die du sonst wahrscheinlich gar nicht erreichen würdest, mit diesem Motiv auseinandersetzt. Dann denken einige vielleicht darüber nach: Was würde ich denn machen, wenn es so etwas wie ewige Liebe wirklich gäbe? Ist das überhaupt so toll?

„Twilight“ ist jetzt ja nur eine Facette eines Vampirtrends, der schon einige Jahre besteht. Dazu gehören beispielsweise erfolgreiche TV-Serien wie „True Blood“ oder „Vampire Diaries“, Kinofilme wie „30 Days of Night“, „Dark Shadows“ mit Johnny Depp oder eben jetzt auch „Abraham Lincoln Vampirjäger“. Woher kommt dieser Trend?

Ich glaube, die Faszination für Vampire als Nachzehrer, Untote, Ruhelose und Nachbarn mit Bösem Blick war schon immer da. Der Roman „Dracula“ hat das Motiv dann für die moderne Welt verfügbar und auch verdaulich gemacht. Dabei war Bram Stoker kein sehr guter Autor. Er kam eher aus der Zweiten Liga. Aber er hat ein erstklassiges Buch geschrieben, das nach einiger Zeit sehr erfolgreich wurde. Dennoch hätte „Dracula“ auch schnell wieder in Vergessenheit geraten können, denn Bestsellerautoren gab es zu Stokers Zeit im angloamerikanischen Raum genügend. Das Vampirmotiv machte aber den Unterschied. Damals ist also losgebrochen, was seitdem nie mehr aufgehört hat. Jetzt hat sich das alles nur in ganz neue Gefäße ergossen. „True Blood“ ist ein exzellentes Beispiel. Viel besser als „Twilight“. Die Serie hat einen ganz neuen Standard geschaffen. Hier wird auch das Thema Sex viel stärker mit einbezogen. Nicht wie die mormonische Nummer bei „Twilight“ mit kein Sex vor der Ehe.

So gesehen würde ich sagen, das Vampirmotiv wurde einerseits profaniert, also in gewisser Weise entgruselt. Allerdings ist das auch schon in den 1970ern passiert, als man lustige Filme über Vampire gemacht hat. Und andererseits hat man jetzt eine Diversifizierung des Motivs. Jetzt hast du Vampire für Kinder, Vampire für sehnsüchtige Haufrauen, Vampire für Leute, die es mal richtig krachen lassen wollen, Real-Life-Vampyre (das „y“ im Namen markiert den Unterschied zu den Vampiren aus Film und Literatur an, Anm. d. Red.), die wirklich Blut trinken. Das alles finde ich gut. Diversifizierung begrüße ich.

Über Real-Life-Vampyre schreibst Du ja in deinem Buch „Vampire unter uns!“ Ist diese Szene denn auch eine Folge dieses Vampirtrends oder ist das eine davon losgelöste Geschichte?

Die Szene beruht auf den Werken von Anne Rice. Das wissen die Mitglieder allerdings häufig gar nicht selbst. Ich weiß das auch nur deswegen, weil ich sehr viele Leute kenne, die aus der ersten Generation der Real-Life-Vampyre stammen. Die haben das ursprünglich angelehnt an Rollenspiele, die damals entstanden sind. Es gibt ein Regelsystem, eine Art Grundgesetz für Vampyre, das stammt aus diesen Rollenspielen. Aus Annes Rices „Interview mit einem Vampir“ und der Verfilmung mit Tom Cruise und Brad Pitt, die in New Orleans gedreht wurde, wurde die Ästhetik übernommen. Man hat sich also nicht mehr nur auf das Viktorianische bezogen, sondern auf diese Crossculture-Düsterheit des Films. Diese Elemente sieht man auch heute noch, obwohl das manchen Real-Life-Vampyren gar nicht so klar ist. Zum Beispiel tragen viele Gehstöcke. Das kommt vielleicht aus der Voodoo-Ecke, hier eben aus New Orleans. Vor allem die amerikanischen Fans und Subkultur-Vampyre kennen sie nicht, weil sie sich für die historischen Hintergründe nicht so stark interessieren.

In den 1990er Jahren hatte die Szene dank Anne Rice dann genügend Nährboden. Es gab einen großen Vampyr-Ball, da war sie auch dabei, und da ging das dann durch die Decke. Und diese heimlichen, schönen und romantischen Vampyr-Bälle irgendwo im Wald, die gibt es auch heute noch.

Ist Bluttrinken und das Tageslicht Scheuen nicht so ähnlich wie sich einen Star-Trek-Tricorder bauen und klingonisch Kochen?

Das Nerdige ist auf jeden Fall auch in der Vampyr-Szene vorhanden. Aber die Besonderheit gegenüber zum Beispiel den Trekkies ist, dass mir alle diese Leute erzählt haben, dass sie zuerst bestimmte Motive des Vampirismus gut fanden - bei den Real-Life-Vampyren eben das Trinken von echtem Blut. Und erst dann haben sie Filme mit Vampiren gesehen – oft schon mit acht oder neun Jahren heimlich hinter dem Sofa der Eltern sitzend – und gemerkt: Jetzt verstehe ich das. Das ist das, was ich bin! Sie haben also nicht erst das Motiv gehabt und sich dann darauf gepfropft, sondern umgekehrt war diese Sehnsucht schon vorher da und dann erst wurde mit den Vampiren das passende Motiv gefunden. Daher nennen die Real-Life-Vamypre diesen Moment gelegentlich auch „Awakening“, also „Erwachen“. Manche Nord-Amerikanische Vampyre behaupten sogar, dass sich mit deinem Awakening auch deine DNS verändert. Das ist natürlich Schwachsinn, aber sie diskutieren das ganz ernst.

Jedenfalls glaube ich, dass es keine großen Schwierigkeiten gäbe, wenn ein Vampyr und ein Trekkie miteinander befreundet wären. Die würden gegenseitig ihre nerdige Spezialisierung sympathisch finden, ohne sie aber notwendigerweise attraktiv oder nachvollziehbar zu finden. Also dieses: „Ich war der Außenseiter in der Schule, die anderen fanden mich schon immer komisch“ – das würden sicherlich beide unterschreiben.

Ist der Unterschied nicht auch, dass bei den Vampyren eine metaphysische Komponente dabei ist? Funktioniert diese Szene auch als eine Art Ersatzreligion?

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Teilweise ja. Es gibt gerade bei den psychischen Vampyren esoterische Richtungen. Die Anhänger glauben, dass sie anderen Menschen auf psychischem Weg Energie entziehen können. Sie denken: „Wenn ich in der Straßenbahn hinter jemandem sitze und schaue den an, dann entziehe ich ihm Energie. Das ist so.“ Und da das für sie bewiesenermaßen so ist, muss das ja eine höhere, nicht entdeckte Kraft sein. Und so hangeln sie sich in eine esoterisch-religiöse Sache hinein.

Aber die Vampyre glauben nicht wirklich, unsterblich zu sein?

Ich kenne welche, die das glauben. Aber wenn man denen dann sagt „Guck doch mal, diese Falte hattest Du aber letztes Jahre noch nicht in deinem Gesicht“, dann kommen die natürlich ins Schwimmen. Aber das sind die Ausnahmen. Bei den Leuten, die das lange machen, habe ich das noch nie gehört.

Wie stehen denn Real-Life-Vampyre dem ganzen medialen Hype rund um „Twilight“, „True Blood“ und Co. gegenüber?

Ich habe mal in der Szene gefragt, was ich mir für eine aktuelle TV-Serie anschauen soll. Ich mag zum Beispiel „Bram Stoker’s Dracula“, den Coppola –Film von 1992. Aber das ist für die Jüngeren ja ein Scherz. Das ist für die, wie Opa erzählt aus dem Zweiten Weltkrieg. Die haben mir dann jedenfalls ganz vorsichtig „True Blood“ empfohlen, meinten aber, dass das sehr sexuell gefärbt sei.

Grundsätzlich ist es so, dass der eine das eine gut findet und der andere das andere. Manche mögen zum Beispiel eher Sachen, bei denen auch Werwölfe eine Rolle spielen, weil es da auch in der Szene Überschneidungen gibt. Andere mögen es, wenn die Vampire sehr sexy aussehen, wieder andere finden gerade das überhaupt nicht gut. Jeder findet bei den Vampir-Filmen und -Serien unterschiedliche Motive, die ihm passen. Insgesamt gehen die Vampyre mit dem Hype also sehr entspannt um. Die sagen – und das klingt jetzt vielleicht ungewöhnlich: „Das ist ja nur eine Spielfilm. Wir sind echt. Und das andere ist eigentlich nur Quatsch.“

Woher kommt denn eigentlich dein Interesse an Vampiren?

Das weiß ich auch nicht. Ich beschäftige mich ja auch mit sehr vielen randstelligen Themen. Auch bei der Arbeit. Ich bin ja oft der einzige, der mit unseren Tätern redet – bei angeblichen Satanismusfällen und solchen Dingen. Ich glaube, mich interessiert einfach alles, was nicht langweilig ist. So wie Sherlock Holmes. Der hockt ja immer herum und nimmt Drogen, weil ihm langweilig ist. Nur wenn ein spannender Fall kommt, dann hört er damit auf und interessiert sich für irgendetwas. Ein wenig ist das bei mir auch so. Am Rand vom Rand vom Rand, da finde ich dann meine Herausforderungen.

Seit 1997 habe ich versucht, das mit den Real-Life-Vampyren zu knacken. Und erst vor ein oder zwei Jahren habe ich angefangen, zu verstehen, um was es ihnen geht. Da hat der psychologische Ansatz von meiner Frau Lydia, die auch bei dem Buch über Vampyre mitgeschrieben hat, sehr geholfen. Und es hat geholfen, einmal Zahlen zu erheben. Wer macht was, seit wann, auf welche Weise mit welchen Methoden? Welche Schwäche fühlst du wirklich, wenn du kein Blut zu dir nimmst? Beschreib‘ das doch mal. Ich habe mich da also wie ein Soziologe in das Thema hineinbegeben. Und diese Techniken musste ich erst einmal lernen, weil ich als Kriminalist ja weder Psychologe noch Soziologe bin.

Was sind denn deiner Meinung nach die fünf besten Vampirfilme?

Das ist schwierig. Ich liebe die Wandelbarkeit. Meine Aufzählung wäre jetzt nicht die der fünf besten Filme, sondern die Filme, in denen man diese Wandelbarkeit sehr schön sehen kann. Das wäre auf jeden Fall „Bram Stoker’s Dracula“, dann die Serie „True Blood“, dann die „Underworld“-Filmreihe, dann von der Ästhetik und den Motiven her, dass man die Wirklichkeitsebene wechselt, die „Matrix“-Trilogie, in der ja auch nebenbei eine unglaublich coole Erklärung gegeben wird, was genau Vampire sein könnten (in „Matrix: Reloaded“ – Anm. d. Red.). Außerdem sollte man sich auch mal so einen Hammer-Horrorschinken aus den 1970er Jahren reindrücken. Einfach um zu sehen, wie stark man das Vampirmotiv variieren und damit jonglieren kann. Und als Dessert dann noch „30 Days of Night“. Da finde ich gut, dass der Film sehr wenig Rückgriffe auf das klassische Vampir-Inventar macht.

Mark, vielen Dank für dieses Interview.

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