Kolumne "Held der Woche" Das beste Halloween-Kostüm geht an Gisele als ...
Wenn Menschen sich verkleiden, merkt der Volkshochschul-Psychologe auf: Drückt hier jemand geheime Wünsche oder versteckte Ängste aus? Unsere Kolumnistin Anja Rützel hat die Halloween-Alter-Egos der Stars analysiert und kürt Model Gisele Bündchen zur Heldin der Vermummenschanzung. Sorry, Justin.
Halloween ist ja für viele ein leicht fragwürdiger Anlass, in Kürbisgekröse zu wühlen oder ihre Kinder bei fremden Leuten um Naschkram betteln zu lassen (quasi der umgekehrte Schokoladenonkel) – das herrlich bedeutungslose Fest bietet auch reichlich frisches Material für Hobbyanalytiker. Man muss sich ja nur die Verkleidungen der Prominenz anschauen, um, der Gemütlichkeit halber selbst auf der Therapeutenliege lagernd, fröhlich drauflos spekulieren zu können: Zeigen die Verkleidungen, wer oder was sie in Wahrheit gerne wären, wenn sie kein Star sein müssten? Wer oder was sie auf keinen Fall gerne wären? Oder vielleicht, was sie in Wahrheit längst sind?
Manche veranstalten dafür jedes Jahr wahre Materialschlachten, allen voran Heidi Klum, die sich dieses Jahr zum Werwolf aus Michael Jacksons ikonischem Video zu „Thriller“ verwandeln ließ. Könnte auch eine ironische Anspielung auf das für manche Beteiligte wahrhaft horrormäßige obligatorische Umstyling aus „Germanys next Topmodel“ sein, aber wahrscheinlich nicht. Andere achten bei ihrem Kostüm vor allem darauf, auch verkleidet gut auszusehen. Als Anschaungsmaterial muss man sich nur durch die Kostümparade der Kardashian-Frauen (kommt das einem nur so vor, oder werden das wirklich wöchentlich mehr?) klicken, die verlässlich jedes Kostüm sexyisieren. Auch wenn es historisch schwer belegbar ist, ob Bonnie (von Bonnie und Clyde) nicht vielleicht DOCH standardmäßig bauchfrei trug und gerne hüfthoch geschlitzte Röcke anzog, weil die bei der Flucht so praktisch sind.
Fast hätte Kanadas Premier Justin Trudeau den Titel des Kostümhelds der Woche eingeheimst – er ging als in Verwandlung begriffener Superman, als leicht derangierter Clark Kent nämlich, unter dessen klaffender Hemdbrust schon der Strampler mit dem Superman-Logo blitzt. Bestimmt eine subtile Anspielung auf die Wundertaten, die man täglich von ihm erwartet – dabei ist er doch nur ein ganz einfacher Mann mit sehr locker sitzender Krawatte! Knapp wurde Trudeau dann aber doch von Supermodel Gisele Bündchen geschlagen. Denn sie ging als Toast.
Genau genommen ging sie als Avocado-Toast, die derzeit immer noch beliebte Hipsterspeise, und zwar in einem Pärchenkombi-Kostüm zusammen mit ihrem Ehemann, dem American-Football-Quarterback Tom Brady. Ein bezaubernd uneitles, aber auch bestürzend unpraktisches Kostüm, fast eine Neuauflage der leider komplett aus der Mode gekommenen Verwandlung, bei der zwei Menschen zusammen ein Pferd bilden und bei der man im Vorfeld sicher hart um seine Position kämpfen musste: Wer darf als stolzes Vorderteil einherschreiten, wer muss in dauerbuckiger Haltung den Pferdehintern geben? Oder eben, in der Avocadotoast-Version: Wer ist die knusprig-knackige Brotscheibe, wer der schmierige, fettige Belag?
Dass nun ausgerechnet Bündchen, die von berufswegen kohlehydratkritische Supershape-Frau, den Toast macht, darüber können nicht nur Glutenverweigerer schmunzeln. Wunderbar auch, dass man dieses Kostüm mit wenigen Mitteln zuhause nachbasteln kann. Im Grunde braucht man nur eine große Pappe und grüne Farbe, falls es keinen avocadoisierbaren Zweitmenschen gibt, kann man auch ein duldsames Haustier nehmen. Wie, Halloween ist vorbei? Wenn Gisele sich in eine Brotscheibe verwandeln kann, dürfen wir uns auch verkleiden, wann wir wollen.