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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Vor Start der Vierschanzentournee Ist das noch zeitgemäß?
Die Vierschanzentournee steht bevor. In den vergangenen Jahren lag fast bis kein Schnee. Der Klimawandel im Wintersport beschäftigt auch Severin Freund.
Ex-Skispringer Severin Freund kennt den Auftakt der Vierschanzentournee noch im verschneiten Oberstdorf. Doch wenn am 28. Dezember die 72. Tournee mit dem Auftakt in Bayern beginnt, soll es 10 Grad geben. Von einer weißen Winterlandschaft keine Spur.
So wird, wie in den vergangenen Jahren, lediglich die Schanze weiß sein, während drumherum alles grün ist. Wie sehr der Klimawandel auch den Wintersport beeinflusst, zeigt sich an genau solchen Beispielen: 2010 gab es in Oberstdorf zur Vierschanzentournee Schnee, dreizehn Jahre später herrschen eher herbstliche Temperaturen. Das beschäftigt auch Severin Freund, der als TV-Experte noch immer nah am Geschehen ist.
Im Interview mit t-online spricht Freund über seine eigene Sicht diesbezüglich und seine sich möglicherweise bald ändernde Sportart – und den Konflikt, mit dem sich Leistungssportler in Wintersportarten konfrontiert sehen.
t-online: Herr Freund, wie blicken Sie auf das Thema Wintersport und Klimawandel?
Severin Freund: Es ist ein Thema, das mich persönlich spaltet. Ich habe eine fünfjährige Tochter, die das letzte Jahr das erste Mal auf Skiern stand. Ich muss schon sagen, dass ich mir dabei überlegt habe, ob es wahnsinnig viel Sinn macht, weil sie vielleicht nicht mehr Ski fahren kann, wenn sie älter ist. Bei mir hat dann aber die Verbundenheit mit dem Wintersport gesiegt und ich habe sie auf Ski gestellt. Das sind Gedanken, die man vor 15 Jahren noch nicht hatte.
Hat sich Ihre Sicht auf das Thema nach Ihrem Karriereende noch einmal verändert und Ihren Blick geschärft?
Das glaube ich nicht. Ich habe seit Beginn meiner Karriere viel darüber nachgedacht. Ich komme aus dem Bayerischen Wald, das war der erste Nationalpark in Deutschland. Bei mir ist eine grundsätzliche Naturverbundenheit da. Deswegen habe ich mir da auch schon immer Gedanken gemacht. Ich bin froh, dass ich während meiner Karriere davon noch nicht so betroffen war. Aber es ist auch klar, dass die Probleme zunehmen werden.
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Sie sind in Ihrer Karriere zu allen möglichen Weltcup-Rennen gereist. Ist das noch zeitgemäß?
Wenn man es Weltcup nennt und Nationen aus aller Welt teilnehmen, dann gehört es dazu, dass er auch auf verschiedenen Kontinenten stattfindet. Trotzdem glaube ich, dass man es gut planen kann. So wie in dieser Saison. Der Start ist im Norden, da sind die Bedingungen besser. Das ist eine gute Sache. Trotzdem sollte alles an Reisen vermieden werden, was vermeidbar ist.
Gibt es dennoch für Sie eine Einschränkung?
Ja, es ist eben auch Leistungssport, und dafür braucht es eine gute Vorbereitung und verschiedene Schanzen. Die Auswirkungen, die der Leistungssport am Klimawandel hat, sind nicht wahnsinnig groß. Aber, man muss sich bewusst machen, dass der Sport eine Vorbildwirkung hat und besser werden kann.
Was genau meinen Sie?
Wichtig dabei ist eine kluge Saisonplanung, so wie in diesem Jahr. Man startet im hohen Norden, dann kommt man nach Mitteleuropa. Danach geht es mit einer Tour durch Polen und drei Springen innerhalb von einer Woche weiter, bevor die Skiflug-WM, auch im mitteleuropäischen Raum, startet. Im Anschluss kommt der Übersee-Block. Ob man dann zurück nach Europa oder beispielsweise weiter nach Japan fliegen könnte, müsste sich ein Mathematiker ansehen und die Emissionen ausrechnen. Die Fis muss aktiv und wach bleiben und den Prozess weiter optimieren.
Inzwischen gab es auch Mattenspringen im Weltcup. Ist das vielleicht die Lösung der Zukunft?
Das Mattenspringen ist ein gangbarer Weg, der wahrscheinlich auch in Zukunft irgendwann immer mehr zum Einsatz kommen wird. Das war letztes Jahr sozusagen ein Testlauf, ob so etwas überhaupt geht. Am Ende hat es funktioniert. Ich bin trotzdem kein großer Freund vom Start des Weltcups im Oktober oder Anfang November. Ich bin dafür, dass man sich auf die Kernwinterzeit konzentrieren sollte. Auch, wenn es in Zukunft so sein sollte, dass Weltcups auf Matten stattfinden und nicht mehr auf Schnee. Matten können auch weiß gestaltet werden, die Farbe ist beliebig. Dann sieht das Mattenspringen noch ein bisschen mehr nach Winter aus als im Moment.
Macht es als Athlet einen Unterschied, ob man auf Matte oder auf Schnee landet?
Für mich persönlich macht es leider einen Unterschied. Es ist eher ein emotionaler Unterschied, der sich über sehr viele Sprünge auf Schnee und dann vom Übergang von Matte auf Schnee eingeschlichen hat. Wenn irgendwann eine Generation kommt, die gar nicht mehr so sehr auf den Schneespuren aufwächst, dann kann sich das verändern.
Gibt es sonst Unterschiede?
Es gibt bis auf die Optik und die Tradition keinen Grund, dass es nicht auch auf Matte gehen würde. Es ist genauso sicher oder unsicher, wie so eine Sportart wie Skispringen eben ist. Und genauso fair oder unfair.
Dennoch: Was machen diese Veränderungen und schneefreien Bilder mit Ihnen?
Natürlich macht es sentimental, wenn man auch andere Bilder kennt und es anders erlebt hat. Auf der anderen Seite muss ich aber auch sagen, dass ich daran denke: Die Sportart Skispringen trifft es noch ganz gut, weil man, verglichen mit anderen Sportarten, sehr "wenig" Schnee braucht, um eine Schanze zu präparieren. Es geht nur um den Auslauf. Der Anlauf muss überhaupt nicht mehr mit Schnee präpariert werden, weil es die Kunsteisspuren sind. Solange es die Temperaturen zulassen, kann man es vernünftig weiter so machen. Man muss nur schauen, dass man mit der Ressource Wasser und mit Energie effizient umgeht.
Die Effizienz betrifft auch die Veranstalter der Weltcup-Springen.
Jeder einzelne Veranstalter kann etwas tun, dass er CO2-sparsam regenerative Energien einsetzt. Dass man mit der Ressource Wasser sparsam umgeht und dann beschneit, wenn es gut machbar ist. Das ist ein Prozess, in dem die Fis, die Verbände und die Veranstalter weiter besser werden können. Nur so bleibt das Skispringen glaubwürdig. Die Leute müssen merken, dass sich etwas tut und sich Gedanken um eine bessere Zukunft gemacht werden.
Im Ski Alpin haben sich viele Athleten für eine klimafreundlichere Fis ausgesprochen. Sollte der Verband transparenter handeln?
Im alpinen Bereich ist der Tourismus stärker als im Skispringen. Deswegen fällt dort auch mehr Gewicht drauf. Daher fällt es den Verantwortlichen im Skispringen vielleicht auch etwas leichter, den Terminplan zu ändern. Ob es transparent gemacht werden muss, weiß ich nicht. Es sollten zumindest alle, die Entscheidungen treffen, und alle, die an den Entscheidungsprozessen beteiligt sind, Bescheid wissen.
Haben Sie das Gefühl, dass das Thema Klimaschutz unter Athleten eine größere Rolle spielt als früher?
Die Diskussion, wo der erste Weltcup stattfindet, die gab es innerhalb der Mannschaften schon seit jeher. Wir haben vor Jahren auch gesagt, als der Saisonstart mehr nach Mitteleuropa gedrängt hat, dass es eigentlich cool gewesen wäre, den Überseeblock – zum Beispiel Amerika – zum Anfang der Saison zu machen. Im Norden sind die Temperaturen wie früher und Schanzen können effizienter präpariert werden. Dort ist zwar wiederum der Zuschauerdrang nicht so hoch, aber es gefällt mir so, wie jetzt der Saisonstart in Kuusamo in Finnland, besser, als wenn es in Mitteleuropa losgehen würde.
Wie kann das Skispringen auch für junge Athletinnen und Athleten nachhaltig ohne Schnee attraktiv sein?
Ich glaube die Grundfaszination der Sportart bleibt auch auf Matte. Sie verliert vielleicht ein bisschen was von der Magie, die natürlich Bilder von einem verschneiten finnischen Ruka haben. Andere Sportarten haben diese Magie aber grundsätzlich nicht.
Das Training spielt eine wichtige Rolle. Was muss da getan werden?
Ich weiß aus dem deutschen Verband, dass es Überlegungen gibt, dass man manche Schanzen gar nicht mehr für den Winter präpariert, sondern im Sommerbetrieb lässt, damit es den Kindern die Möglichkeit gibt, das ganze Jahr über zu trainieren. Der Grund ist, weil es von den Wettergegebenheiten im Winter so wäre, dass man zu selten springen könnte. Eine Überlegung ist auch, dass man lokal die Kräfte bündelt und nur eine Schanze im Winter präpariert wird, bevor jeder Verein vor Ort versucht, für sich alleine da etwas zu machen. Ich finde, das sind kluge Überlegungen und geht in die richtige Richtung.
Was würden Sie sich für die Zukunft wünschen?
Einen Skisprung-Weltcup, sagen wir in 25 Jahren, der so wie heute noch von Ende November bis Ende März stattfinden kann – und das ganz ohne schlechtes Gewissen.
- Eigenes Telefongespräch mit Severin Freund